Polen

Pogrom aus Habgier

Erinnern an das Pogrom: Für die Regierungspartei PiS kommt der Jahrestag ungelegen. Foto: imago/BE&W

Am liebsten würden Polens Nationalpopu­listen die Zeit vordrehen, oder zurück – Hauptsache, der 80. Jahrestag des Pogroms von Jedwabne würde nicht am 10. Juli stattfinden. Denn im Land halten sich eine hochrangige amerikanische Delegation und viele Israelis auf, die gegen die geplante Verjährung von Eigentumsansprüchen aus der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit protestieren. Diese Verjährung würde auch viele Schoa-Überlebende und ihre Nachkommen treffen. Sie werden am Sonntag mit den polnisch-jüdischen Gemeinden der Opfer von Jedwabne gedenken.

Das vom Sejm, der ersten Kammer des polnischen Parlaments, bereits in erster Lesung angenommene »Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung« wird zurzeit im Senat, der zweiten Kammer, verhandelt. Anders als der Sejm, der von der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) dominiert wird, hat der Senat, in dem die Opposition eine hauchdünne Mehrheit hat, auch Gutachten in Auftrag gegeben. Zudem sollen Betroffene eine Chance bekommen, dem Senat ihre Argumente vorzustellen.

Die PiS fürchtet, dass polnisch-jüdische Alteigentümer, die während des Krieges beraubt oder danach unter den Kommunisten enteignet wurden, die geplante Verjährung kippen könnten.

EIGENTUM Das Pogrom von Jedwabne jährt sich am 10. Juli zum 80. Mal. Damals hatten katholische Polen in der nordostpolnischen Kleinstadt mehr als 400 ihrer jüdischen Nachbarn bei lebendigem Leib in einer Scheune verbrannt und danach deren Eigentum unter sich aufgeteilt: Bauernhöfe, Vieh, Möbel, Kleidung, Schmuck und Geld.

Vorausgegangen war am 22. Juni 1941 der Überfall des Deutschen Reichs auf die Sowjetunion und die bis dahin sowjetisch besetzten Ostgebiete Polens. SS-Männer hatten das Pogrom in Jedwabne zwar angestiftet, waren am Eigentum der jüdischen Opfer aber nicht interessiert.

Das Pogrom von Jedwabne jährt sich am 10. Juli zum 80. Mal.

Überlebende, die rechtzeitig hatten fliehen können, aber auch Verwandte der Ermordeten konnten in der Zeit der kommunistischen Volksrepublik weder das von Polen geraubte Eigentum zurückbekommen noch das Erbe antreten oder ei­ne Entschädigung erhalten.

Das Pogrom von Jedwabne war nicht das einzige. Im Grenzstreifen, der sich durch Länder wie die baltischen Republiken, Polen, Belarus, die Ukraine und Rumänien erstreckte, griff 1941 die lokale Bevölkerung Hunderte Male zu Äxten, Heugabeln und Messern, um die jüdischen Nachbarn zu berauben und ermorden. Oft stifteten SS-Männer und Wehrmachtssoldaten zu Pogromen an, aber nicht immer.

JAHRESTAG Für die PiS kommt der Jahrestag ungelegen. Denn die ganze Welt wird wieder darüber reden, dass es nicht nur die Schoa gab, für die Deutsche und Österreicher Schuld und Verantwortung tragen, sondern auch zahlreiche Pogrome. Das Motiv war neben Antisemitismus oft Habgier.

Das Gesetzesprojekt zur Verjährung der Eigentumsansprüche hat diesen Dämon in Polen wieder zu neuem Leben erweckt. So meinte Premier Mateusz Morawiecki, das souveräne Polen gegen Ansprüche aus Israel verteidigen zu müssen: »Solange ich Premier bin, wird Polen nicht für die Verbrechen der Deutschen bezahlen.« Dabei geht es bei den laufenden Reprivatisierungsprozessen polnisch-jüdischer Erben, die heute vor allem in den USA und in Israel leben, gar nicht um deutsche Verbrechen, sondern zumeist um Immobilien, die von den Kommunisten unrechtmäßig enteignet wurden.

Bei den Prozessen handelt es sich um wenige Tausend in ganz Polen. Nur selten wird das nach Pogromen geraubte Eigentum zurückgefordert. Obwohl dies seit Jahren bekannt ist, schüren Politiker, Journalisten, Kirchenleute und rechte Organisationen immer wieder die Angst vor der »Rückkehr der Juden«. Ende Juni schütteten Rechtsradikale der »Allpolnischen Jugend« einen Haufen Schutt vor Israels Botschaft in Warschau. »Das ist euer Eigentum« stand zynisch auf einem handgemalten Schild.

2001, am 60. Jahrestag des Pogroms von Jedwabne, hatte der damalige Staatspräsident Aleksander Kwasniewski die Größe besessen, die Juden Polens um Verzeihung zu bitten: »Ich entschuldige mich in meinem und im Namen derjenigen Polen, deren Gewissen durch dieses Verbrechen berührt wurde.« Andrzej Duda, Polens heutiger Präsident, hat die Chance, sich am 80. Jahrestag zu den anderen rund 70 Pogromen im Jahr 1941 zu erklären.

Amsterdam

Wegen IDF-Kantor: Concertgebouw sagt Chanukka-Konzert ab

Die renommierte Musikhalle hat wegen des geplanten Auftritts von IDF-Chefkantor Shai Abramson das alljährliche Konzert abgesagt. Die jüdische Gemeinschaft ist empört und will gegen den Entscheid klagen

von Michael Thaidigsmann  05.11.2025 Aktualisiert

Kommentar

Mamdanis demokratische Steigbügelhalter

Führende Politiker der Demokraten haben aus Opportunismus die Wahl des Israel-Hassers Zohran Mamdani zum New Yorker Bürgermeister ermöglicht - und so in Kauf genommen, dass aus Worten gegen Israel wieder Gewalt gegen Juden werden könnte

von Menachem Z. Rosensaft  05.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025

Spanien

Francos Erbe

Das Land, das den Sefardim einst ihren Namen gab, verlangt seinen Juden heute einiges ab

von Valentin Suckut  03.11.2025

»Nobody Wants This«

Alle wollen Esther

Einer der Gründe, die Netflix-Serie zu sehen, ist Jackie Tohn. Die Schauspielerin mit dem Blick, der Stahl schmelzen kann, tanzt gern auf vielen Hochzeiten

von Sarah Thalia Pines  03.11.2025

Slowakei

Neues Leuchten in Trenčín

Eine restaurierte Synagoge wird zum Herzstück der Kulturhauptstadt 2026 – und zum Zeichen jüdischer Erneuerung

von Kilian Kirchgeßner  03.11.2025

USA

Unsicher in New York

Zohran Mamdani ist der mögliche nächste Bürgermeister der Metropole – und für viele Juden ein Problem

von Mark Feldon  30.10.2025

Judenhass

»Ich werde Selbstmordattentäter diese Nacht«: Mann plante Messerangriff auf Juden

Der arabischstämmige Mann wurde im letzten Moment von der Polizei festgenommen. Nun stand er vor Gericht

von Nicole Dreyfus  30.10.2025