Budapest

»Moralischer Holocaust am Ungartum«

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán Foto: picture alliance/dpa

Anlässlich des ungarischen Nationalfeiertags am 15. März werden traditionell hohe staatliche Ehren verliehen. In diesem Jahr erhielten unter anderem Henriett Kiss, Direktorin der Budapester Rumbach-Synagoge, Zoltán Neumark, Pianist und Dozent am Rabbinerseminar, sowie Shmu­el Raskin, Rabbiner der Einheitlichen Ungarischen Israelitischen Glaubensgemeinschaft (EMIH), des lokalen Ablegers von Chabad, das Ungarische Verdienstkreuz für ihre vorbildliche Arbeit in den jüdischen Gemeinden.

Gleichzeitig zeichnete der Präsident der Republik, Tamás Sulyok, zwei Literaten aus: Der Dichter und Essayist Kornél Döbrentei erhielt den Kossuth-Preis, die höchste staatliche Anerkennung für Kunst und Kultur. An den Publizisten Mihály Takaró wurde der Széchenyi-Preis für Wissenschaftler vergeben. Das Problem: Beide fallen immer wieder durch antisemitische Äußerungen auf.

»Falsche Propheten in Verkleidungen und Masken«

So hatte Döbrentei in einer Rede auf einer rechtsradikalen Demonstration vor einigen Jahren über Juden gewettert: »Falsche Propheten in Verkleidungen und Masken – nur ihre Bärte sind echt – dirigieren den moralischen Holocaust am Ungartum.« Aus Protest traten 160 Mitglieder aus dem Ungarischen Schriftstellerverband aus, darunter die auch in Deutschland bekannten Autoren Péter Nádas, Magda Szabó, Péter Esterházy und György Konrád.

Eine berüchtigte Äußerung von Takaró war, dass er die bedeutende avantgardistische Literaturzeitschrift am Beginn des 20. Jahrhunderts, »Nyugat« (Abendland), als »jüdisches Schmuddelblatt« diffamierte. Er behauptete auch, der jüdische Literaturnobelpreisträger Imre Kertész könne nicht als Ungar betrachtet werden.

Kornél Döbrentei und Mihály Takaró waren von der rechtsnationalen Regierung bereits im Jahr 2019 ausgezeichnet worden.

Kornél Döbrentei und Mihály Takaró waren von der rechtsnationalen Regierung bereits im Jahr 2019 ausgezeichnet worden. Der Verband der Ungarischen Jüdischen Gemeinden Mazsihisz machte seinen Protest in einer Pressemitteilung deutlich. Diese Ehrungen stünden im völligen Widerspruch zu dem von der Regierung Orbán verkündeten Null-Toleranz-Prinzip gegen Antisemitismus, hieß es.

»Es gibt keine Erklärung dafür, warum diese beiden Antisemiten im Jahr 2025 wieder geehrt werden mussten. Wir akzeptieren nicht, dass sie diese Anerkennung aufgrund ihrer Arbeit verdient haben. Nein, das haben sie nicht«, so das Schriftstück. Die regierungsfreundliche jüdische Glaubensgemeinschaft EMIH schwieg.

Während mehrere Medien den Text von Mazsihisz publizierten, lehnte die staatliche Ungarische Presseagentur die Veröffentlichung mit der Begründung ab, dass Mitteilungen »die Privatsphäre oder die Rechte anderer nicht verletzen dürfen, insbesondere nicht die Würde, die Ehre, den Ruf, das Privatleben, die persönlichen Daten, die Rechte an geistigem Eigentum oder die Geschäftsgeheimnisse anderer«.

»Dominanz rechtsextremer Ansichten im offiziellen kulturellen Diskurs«

Auch die etwa 400 Mitglieder zählende Gesellschaft der Belletristiker meldete sich zu Wort: »Beide haben durch ihr öffentliches Wirken erheblich zur Verbreitung des antisemitischen Sprachgebrauchs in Ungarn und zur zunehmenden Dominanz rechtsextremer Ansichten im offiziellen kulturellen Diskurs beigetragen.«

Auf Anfrage eines Nachrichtenportals an den Staatschef, ob ihm der Protest von Mazsihisz bekannt sei beziehungsweise, ob er wisse, dass die beiden Herren bereits früher ausgezeichnet worden seien, verwies das Präsidialamt lediglich auf einen Paragrafen des Grundgesetzes, wonach ein Sonderausschuss der Regierung die Aufgabe habe, dem Präsidenten Empfehlungen zur Auszeichnung verschiedener Personen vorzulegen. Auf die konkrete Frage ging man nicht ein.

Interreligiöser Dialog

»Das ist Verrat«

Ein Imam aus den Niederlanden nahm an einer Reise muslimischer Geistlicher nach Israel teil - prompt verlor er seinen Job

von Michael Thaidigsmann  15.07.2025

USA

Düsterer »Nice Jewish Boy«

Seinen ersten Kinofilm sah Ari Aster im Alter von vier Jahren und ist fast daran gestorben. Als junger Hollywood-Regisseur mischt er nun das Horror-Genre auf

von Sarah Thalia Pines  14.07.2025

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

Philosophie

Der Moment des Staunens

Am 13. Juli jährt sich der Geburtstag von Jeanne Hersch zum 115. Mal. Lange wurde die Existentialistin ausgerechnet von der akademischen Forschung marginalisiert – und kaum als jüdische Philosophin wahrgenommen

von Richard Blättel  11.07.2025

Spanien

»Haut ab, ihr Hurensöhne« - Wirt vertreibt Israelis

Ein Gastwirt rastet gegenüber einer Gruppe israelischer Touristen aus, beschimpft sie und verweist sie des Lokals

von Michael Thaidigsmann  11.07.2025

Nachruf

Er bleibt eine Inspiration für uns alle

Der langjährige Zürcher Gemeinderabbiner Marcel Ebel ist verstorben. Eine Würdigung von seinem Nachfolger

von Rabbiner Noam Hertig  10.07.2025

Australien

Judenhass in Down Under

Mit unerwarteter Brutalität und Hemmungslosigkeit breitet sich der Antisemitismus im Land aus. Doch die jüdische Gemeinschaft gibt nicht auf

von Amie Liebowitz  10.07.2025

Großbritannien

BeTe’avon!

Das Jewish Museum London bittet britische Juden um Rezepte fürs Schabbatessen. Auf der Suche nach dem, was schmeckt

von Sophie Albers Ben Chamo  10.07.2025

USA

Die US-Regierung, Trump und der Fall Jeffrey Epstein

Trump wollte die Akten zum Sexualstraftäter Epstein veröffentlichen, seine Mitarbeiter verbreiteten Verschwörungstheorien. Nun wollen sie davon nichts mehr wissen - das macht einige Trump-Fans wütend

von Benno Schwinghammer  09.07.2025

Spanien

Mallorca hat einen neuen Rabbiner

Rund 1000 Juden leben auf der bei deutschen Touristen beliebten Baleareninsel

 09.07.2025