Ukraine

Mit Tränen in den Augen

36 Menschen starben beim russischen Angriff auf die ukrainische Stadt Sumy am 13. April. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Der 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs in Europa versetzt den Kontinent in alles andere als Feierstimmung. Niemals zuvor klang die Parole »Nie wieder« so hilflos. Die transatlantische Einigkeit, die einst den Sieg über das Dritte Reich sicherte, zerbröckelt. Auf dem Kontinent tobt ein Angriffskrieg mit Gräueltaten, die nach Ansicht einiger Beobachter an Völkermord grenzen.

Die offizielle Anerkennung der besetzten ukrainischen Gebiete als Eigentum des Aggressorstaates wird nun ernsthaft als mögliche Bedingung für einen Waffenstillstand diskutiert – ein Verstoß gegen eines der zentralen Nachkriegs-Prinzipien des Völkerrechts: Eroberung darf kein legitimes Mittel zur Veränderung von Grenzen sein. Russlands Auslands­geheimdienst wendet sich sogar an die USA und schlägt einen neuen gemeinsamen Kampf gegen den »europäischen Nazismus« vor, also gegen ein vereintes Europa, »wie vor 80 Jahren«.

Politischer Querdenker Donald Trump

Es ist schwer vorstellbar, dass selbst ein politischer Querdenker wie Donald Trump eine solche Formulierung attraktiv finden würde. Doch der US-Präsident scheint die Illusion zu teilen, dass die immensen Kriegsopfer der Sowjetunion unsere Sicht auf das heutige Russland irgendwie beeinflussen sollten.

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Die haltlose Verquickung der Russischen Föderation mit der Sowjetunion wird in Europa vielfach als Tatsache akzeptiert. Als der Deutsche Bundestag vor zwei Jahren über die Lieferung von Panzern an die blutende Ukraine debattierte, lag ein spürbares Schuldgefühl für die Sünden des Zweiten Weltkriegs über den Diskussionen: Schließlich hatten damals zuletzt deutsche Panzer über ukrainische Felder auf »Russen« geschossen.

Anachronistische Assoziation

Moskau genießt nicht nur das symbolische Kapital dieser anachronistischen Assoziation von vor 80 Jahren; der Kreml nutzt aktiv diese Narrative, um seine Aggression gegen die Ukraine voranzutreiben. Die demokratisch gewählte Regierung der Ukraine, an deren Spitze ein Jude steht, wird im offiziellen russischen Diskurs immer wieder »Neonazi-Regime« genannt.

Aus Sicht der Ukraine ist der bevorstehende Jahrestag ein schwieriger. Nach dem Zweiten Weltkrieg glaubten wir, dass ein aggressiver Krieg nicht mit der internationalen Anerkennung der Besatzung enden kann. Wir glaubten, auf massenhafte Gräueltaten folge unweigerlich eine Rechenschaftspflicht. Wie es scheint, waren unsere Annahmen über die Lehren aus dem Krieg entweder zu idealistisch, oder sie haben ihre Kraft verloren.

Ein Lied aus der Sowjetzeit, das zur Hymne des Tages des Sieges wurde, sprach von einem »Feiertag mit Tränen in den Augen«. Die Ukrainer haben ihr Kontingent an Tränen längst ausgeschöpft, und in diesem Mai wird es für uns nichts zu feiern geben. Alles, was nun geschieht, fühlt sich an wie eine Verhöhnung all dessen, was wir mit der Erinnerung an den Sieg verbinden.

Der einzige Präzedenzfall sind die Nürnberger Prozesse

Doch eine sinnvolle Gestaltung des 80. Jahrestags ist möglich. Nach Jahren der Diskussion soll am 9. Mai in Kyjiw endlich ein Abkommen mit dem Europarat unterzeichnet werden, das die Einrichtung eines internationalen Sondertribunals für das Verbrechen der Aggression vorsieht, um die Verantwortlichen für den Beginn des Krieges zu verfolgen. Ein Angriffskrieg ist nach der UN-Charta verboten, doch gibt es derzeit keinen wirksamen Rechtsmechanismus für die Strafverfolgung.

Der Internationale Strafgerichtshof, der bereits einen Haftbefehl gegen Putin wegen Kriegsverbrechen erlassen hat, ist für das Verbrechen der Aggression nicht zuständig, obwohl jede von der russischen Armee begangene Gräueltat direkt auf die Entscheidung des Kreml-Diktators zurückzuführen ist, den Krieg zu entfesseln. Der einzige Präzedenzfall einer solchen Bestrafung sind die Nürnberger Prozesse gegen die Nazi-Elite. Die mögliche Einrichtung eines Tribunals für Putin am Tag des Sieges wäre zumindest symbolisch ein Zeichen dafür, dass trotz der vielen Herausforderungen, vor denen die internationale Gemeinschaft steht, nicht alle Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg vergessen sind.

Der Autor ist Historiker und dokumentiert in Kyjiw die russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine.

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