Grossbritannien

Mit Hashtags gegen Rechtsextreme

Menschen sitzen im Café und warten auf ihre Busse. Die Gegend um den U-Bahnhof Golders Green im Londoner Norden – rund 20 Prozent der Einwohner hier sind jüdisch – macht einen friedlichen Eindruck. In zwei Wochen jedoch wird sich das ändern, dann werden Naziparolen geschrien, wenn die neue rechtsradikale Gruppe New Dawn (Neue Morgenröte) am 4. Juli gegen »jüdische Privilegien« demonstriert.

In den vergangenen Jahren galten die Aktionen der Rechtsradikalen eher Muslimen oder asiatischen Immigranten. Doch die britischen Ultrarechten stecken in der Krise, zum Teil aufgrund des Erfolges der populistischen Anti-EU-Partei UKIP, aber auch aufgrund von Rücktritten und Gesinnungsänderungen einiger Führungsköpfe. Nun versuchen sich Gruppen wie New Dawn als neue ultrarechte Stimme zu etablieren. Um sicherzugehen, dass sie in der Szene gut ankommen, schöpfen sie dann wohl auch aus dem altbewährten antisemitischen Repertoire.

Sicherheit Vorwand für die angekündigte Demonstration ist die jüdisch-orthodoxe Schutzorganisation Shomrim. Sie kümmert sich zusammen mit dem Community Security Trust (CST) um die Sicherheit jüdischer Einrichtungen und wird vom Staat unterstützt. Der jüdischen Bevölkerung stünden also zwei eigene Polizeidienstkräfte zur Verfügung, beklagt sich New Dawn. Das sei »unfair gegenüber dem Rest der britischen Bevölkerung« und ein Zeichen der »jüdischen Privilegien«.

CST-Sprecher Dave Rich sagt, man solle die Aktivitäten der Gruppe nicht überbewerten. Denn als New-Dawn-Gründer Eddie Stampton kürzlich in der Nähe von Stamford Hill, einem Viertel, in dem ebenfalls viele Orthodoxe leben, gegen Juden demonstrieren wollte, seien dem Aufruf nur etwa 30 Anhänger gefolgt. Dennoch hat der konservative Parlamentsabgeordnete für Golders Green, Michael Freer, in einem Treffen mit (der ebenfalls konservativen) Innenministerin Theresa May gefordert, die Demonstration am 4. Juli zu verhindern. May antwortete ihm jedoch, sie könne die Demo nicht verbieten. Nur wenn sie in Gewalt ausartet oder Menschen verschreckt würden, könne die Polizei einschreiten. Das Ministerium habe die Londoner Polizei dementsprechend angewiesen.

Widerstand Passanten in Golders Green finden, dass Nazis in ihrer Gegend nichts zu suchen haben. Janet, eine 60-jährige orthodoxe Jüdin, meint, die Nazis seien feige, denn sie kämen am Schabbat. Doch Tricia Vangreens, Managerin eines der vielen lokalen Second-Hand-Läden, ist das egal. Mit ihrem gefärbten Haar und den pinken Fingernägeln sieht sie nicht gerade wie eine heroische Makkabäerin aus – doch sie erklärt vehement, dass sie sich auf alle Fälle gegen die Nazis stellen werde, sie kommen, ob nun Schabbat sein mag oder nicht. Ihrem Arbeitskollegen Gino zeigt sie auf dem iPhone einen Ausschnitt aus dem Film Skokie.

Darin geht es um einen Schoa-Überlebenden in Chicago, der einen Nazimarsch durch seinen Stadtteil nicht schweigend hinnehmen möchte. »Ich werde es so machen wie in dem Film«, sagt Tricia mit dunkler Stimme. Auch zwei Männer in einem der vielen Straßencafés wollen die Nazis nicht ungeschoren durch Golders Green marschieren lassen.

Das London Jewish Forum und die antifaschistische Gruppe »HOPE Not Hate« haben inzwischen eine Aktion gegen den Naziaufmarsch gestartet, der sich auch die jüdische Dachorganisation Board of Deputies angeschlossen hat. Per #GoldersGreenTogether und Twitter-Adresse @GG_together sollen sich Ortsansässige mit dem Slogan »Golders Green Together« fotografieren.

Außerdem will man als Aktionen gegen die Nazidemo einen Rundbrief und eine Zeitung produzieren, die die Vielfalt von Golders Green feiern soll. Am Tag vor der Demo soll dann das ganze Viertel mit grün-goldenen Schleifen geschmückt werden, »um so zu beweisen, dass Golders Green eine starke, diverse und vereinte Gemeinschaft ist«. Die Nazis »werden es nicht schaffen, Golders Green zu spalten«, heißt es in einer Erklärung der beiden Organisationen.

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