»The Ark«

Mazze aus der Arche

Marc J. Swatez, der Chef der gemeinnützigen jüdischen Organisation »The Ark« (Die Arche) würde gern mit dem Mythos aufräumen, in Chicago lebten keine armen Juden. Die gebe es durchaus, sagt er – sogar in den wohlhabenden Stadtteilen und Vororten. »Sie leben in einem schönen Haus, haben ein schönes Auto – und plötzlich verlieren sie ihren Arbeitsplatz.«

Swatez ist Geschäftsführer einer Orga­nisation, die mehr als 4000 jüdische Familien in Chicago und Umgebung mit Nahrungsmitteln, medizinischen Leistungen und anderem Lebensnotwendigen versorgt. Zu Pessach gehören dazu auch koschere Mahlzeiten und Mazzot.

Die Situation werde für die Betroffenen sofort besser, wenn sie einen neuen Job finden, sagt Swatez und erklärt, dass zurzeit 46 Prozent der Klienten seiner Organisation in den gut situierten nördlichen Vororten von Chicago leben. Die Hälfte dieser Leute habe einen Hochschulabschluss, doch in den heutigen Zeiten sei Bildung »weder ein Ticket für ein gutes Leben noch eine Garantie«.

statistik Laut dem Statistischen Bundesamt leben in den USA rund 14 Prozent der Menschen in Armut – in Chicago sind es sogar 20 Prozent, darunter auch viele Juden. So gelten nach einer Studie des Chicago Jewish United Fund (JUF) und der Jewish Federation of Metropolitan Chicago aus dem Jahr 2010 rund 30.000 jüdische Einwohner der Stadt als arm.

The Ark kümmert sich vor allem um Erwachsene im erwerbsfähigen Alter, die aufgrund von Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung oder Krankheit nicht ausreichend für ihre Familien sorgen können. 46 Prozent von ihnen geben ein Drittel ihres Einkommens für Miete oder die Zahlung von Hypotheken aus. Etwa 16 Prozent der Arche-Klienten sind Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion.

Gegründet wurde The Ark im Jahr 1971. Damals taten sich ein jüdischer Arzt und ein Rabbiner zusammen, um die Idee einer jüdischen Bürgerinitiative aufzugrei­fen und im Stadtteil Albany Park ein Krankenhaus für Arme zu errichten. Die beiden suchten nach einem Weg, die Kluft zwischen den religiösen Juden in der Stadt und den politisch engagierten, linken jüdischen Gruppierungen zu überbrücken.

Budget Die erste Aufgabe der Organisation be­stand darin, Geld zu beschaffen. Bald klopften zahlreiche Freiwillige an, die helfen wollten und eine breite Spanne von Dienstleistungen und Hilfen für die Bedürftigen anboten.

Im Jahr 1991 zog die Arche nach Rogers Park, dem Zentrum der orthodoxen Gemeinschaft. Später wurde auch ein Büro im Vorort Northbrook eröffnet, um die wachsende Zahl jüdischer Familien dort zu erreichen.

Heute verfügt die Arche über ein jährliches Budget von rund sechs Millionen Dollar. Es gibt 50 Angestellte und mehr als 2000 Freiwillige. Die Palette an kostenlosen Dienstleistungen umfasst ärztliche Versorgung, Sozialarbeit, ei­ne Tafel, Unterstützung bei der Arbeitssuche und vieles mehr.

Die Arche betreibt eine eigene Augenarztpraxis, die jedes Jahr mehr als 250 Patienten kostenlos mit Brillen versorgt. Erst kürzlich kam auch eine Zahnarztpraxis hinzu. Zahnpflege ist in den Vereinigten Staaten besonders teuer. Wer schlechte Zähne hat, vermeidet es zu lächeln, hat üblen Mundgeruch und kann mitunter keine feste Nahrung kauen.

»Wenn so ein Mensch zu einem Vorstellungsgespräch kommt, denkt der Arbeitgeber: ›Der taugt nichts‹«, meint Swatez. Er freut sich, dass die Arche jetzt endlich auch an diesem Punkt Abhilfe schaffen kann.

Tiefkühl-Pizza Insgesamt verteilt die Arche jedes Jahr rund eine Million Dollar in Form von Lebensmitteln, Medikamenten oder Direktzahlungen. In Zusammenarbeit mit örtlichen Einzelhändlern versorgt sie pro Monat mehr als 1500 Menschen. Erst kürzlich spendete ein großer Supermarkt 75 Tiefkühlpizzen für die Arche-Tafel.

»Unsere Tafel ist nicht nur für diejenigen gedacht, die es sich nicht leisten können, Nahrungsmittel zu kaufen, sondern für alle, die am Essen sparen, damit sie Geld übrig haben, um jüdisch zu leben«, sagt Swatez.

Tatsächlich handelt es sich bei vielen Klienten um Familien, die große Mühe haben, finanzielle Stabilität mit einer jüdischen Lebensweise in Einklang zu bringen. In einem Artikel für das Magazin »Commentary« rechnete der New Yorker Historiker Jack Wertheimer kürzlich vor, dass koscheres Geflügel in den USA 50 bis 100 Prozent mehr kostet als nichtkoscheres.

Auch die Mitgliedschaft in einem Gemeindezentrum oder einer Synagoge hat ihren Preis – sie kann eine Familie schnell zwischen 1000 und 3000 Dollar im Jahr kosten. Und einige jüdische Tagesschulen verlangen für ein Kind einen Jahresbeitrag zwischen 15.000 und 20.000 Dollar.

Kaschrut Wertheimer ist zu folgendem Ergebnis gelangt: »Eine engagierte jüdische Familie, die die Kaschrut hält und ihre drei Kinder auf jüdische Schulen schickt, muss mit 50.000 bis 110.000 Dollar pro Jahr rechnen, nur um ein jüdisches Leben zu führen.«

Für religiöse Juden sei keine Zeit im Jahr teurer als Pessach, sagt Swatez. Aber als orthodoxe Einrichtung wisse man das und könne entsprechend helfen.

In den vergangenen Wochen hat The Ark viele Feiertagspakete an bedürftige Familien verteilt. An Pessach veranstaltet die Organisation zwei gemeinschaftliche Sederabende. Aber auch Familien, die ihren eigenen Seder ausrichten wollen, werden bedacht: Sie erhalten von der Arche einen Braten für das Festmahl zu Hause. Und auch in diesem Jahr verteilt sie wieder Mazzot an einkommensschwache Familien.

Seit einiger Zeit hilft die Arche Bedürftigen dabei, religiöse Bestattungen für ihre Angehörigen zu organisieren. Außerdem gibt es jeden Tag einen Torakurs, und am Schabbat kann man ein kostenloses koscheres Mittagessen bekommen.

Bevölkerung Swatez weiß, dass die Arche nicht die einzige jüdische Wohltätigkeitsorganisa­tion ist. Doch in vielen anderen Gemein­den werden sie zum Teil staatlich finan­ziert – das hat zur Folge, dass sie verpflichtet sind, der allgemeinen Bevölkerung zu dienen.

Dies ermöglicht es ihnen zwar, genügend Geld einzutreiben, sodass sie letztlich auch die jüdische Gemeinschaft mitversorgen können. Doch in den Augen von Swatez ist die Arche einzigartig, weil sie fast ausschließlich durch private Spenden finanziert wird und dadurch »maßgeschneidert jüdische Unterstützung« anbieten kann.

Spanien

Mallorca als Vorbild

Das Stadtparlament von Palma hat eine Antisemitismus-Resolution verabschiedet – anders als der Rest des Landes

von Sabina Wolf  26.07.2024

Sport

Der Überflieger

Artem Dolgopyat ist in Israel ein Star. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio gewann der Turner Gold, 2023 wurde er Weltmeister. Nun tritt er in Paris an

von Martin Krauß  26.07.2024

Europäisches Parlament

»Zittert. Das hier ist nur der Anfang«

Die frisch gebackene französische Abgeordnete Rima Hassan hetzt gegen Israel

von Michael Thaidigsmann  25.07.2024

Ausstellung

Olympioniken im KZ Buchenwald

Auf dem Ettersberg bei Weimar treffen unterschiedlichste Biografien aufeinander

von Matthias Thüsing  25.07.2024

Frankreich

»Man ist schließlich französisch«

Ganz Paris feiert die Olympischen Spiele. Ganz Paris? Nicht alle Juden fühlen sich vom erwünschten »Wir-Effekt« angesprochen. Denn das Land bleibt zerrissen

von Sophie Albers Ben Chamo  25.07.2024

USA

Die zweite Wahl?

Mit dem Rückzug von Joe Biden und der Kandidatur von Kamala Harris könnte das Rennen um die Präsidentschaft noch einmal richtig spannend werden

von Michael Thaidigsmann  24.07.2024

Jüdische Emigration

Die Niederlande - Ein Ort der Zuflucht für Juden?

Die Historikerin Christine Kausch nimmt das Leben jüdischer Flüchtlinge in den Blick

von Christiane Laudage  24.07.2024

Vor 80 Jahren

Von Rhodos nach Auschwitz

1944 wurden 2000 Jüdinnen und Juden von Rhodos nach Auschwitz deportiert. Nur wenige überlebten

von Irene Dänzer-Vanotti  23.07.2024

Jerusalem

Nach Gaza entführter Holocaust-Experte für tot erklärt 

Der Historiker Alex Dancyg ist in der Geiselhaft umgekommen

 22.07.2024