Libyen

Maghreb im Herzen

Ist mit einem Konzertprogramm auf Tour, bei dem sie viel über die Geschichte der libyschen Juden erzählt: Miriam Meghnagi Foto: Margrit Schmidt

Libyen

Maghreb im Herzen

Die Römerin Miriam Meghnagi singt von ihrer Kindheit in Tripolis

von Christine Schmitt  22.02.2016 19:34 Uhr

Das Horn eines Schiffes, das in wenigen Minuten ablegen wird, dröhnt über den Hafen und fordert die letzten Passagiere auf, an Bord zu kommen. So zumindest hört sich das Lied »Ya Babur« (»Hier kommt das Schiff«) an, das Miriam Meghnagi geschrieben hat und häufig in Konzerten vorträgt. Als sie das Lied komponierte, sei es ihr wichtig gewesen, die Nostalgie und den Klang des Hoffens auf Freiheit herauszuarbeiten, erklärt Meghnagi.

»Ya Babur« entführt den Zuhörer in Libyens Hauptstadt Tripolis, in die Zeit, als die Juden nach den Pogromen flohen. Ungefähr eine Million Männer, Frauen und Kinder haben Mitte des vergangenen Jahrhunderts muslimische Länder im Nahen Osten und im Maghreb verlassen. Die meisten wanderten nach Israel aus. »Mit dem Klang der Schiffshörner bin ich aufgewachsen«, sagt Miriam Meghnagi – die ihr Alter nicht preisgeben möchte.

Geboren wurde sie in Tripolis als Kind einer alteingesessenen jüdischen Familie. Heute lebt sie in Rom und Tel Aviv und besitzt sowohl die italienische als auch die israelische Staatsangehörigkeit. Im Laufe der Jahrzehnte hat sie sich nicht nur als Sängerin, sondern auch als Musikethnologin und Komponistin einen Namen gemacht. So komponierte sie unter anderem die Musik für Wim Wenders’ Einwandererfilm Il volo.

Tournee Seit einiger Zeit ist Miriam Meghnagi mit einem Konzertprogramm auf Tour, bei dem sie viel über die Geschichte der libyschen Juden erzählt. Es werde überliefert, sagt sie, dass es schon 1000 Jahre vor der Zerstörung des Ersten Jerusalemer Tempels (536 v.d.Z.) Juden in Nordafrika gab. Sie hätten gut mit den Berbern zusammengelebt, erzählt Meghnagi. Später, unter den türkischen Herrschern, wurden Juden als »Dhimmi« geduldet: Sie waren Bürger mit eingeschränkten Rechten. Dieser Status diskriminierte sie zwar, aber er gestattete ihnen die Ausübung ihrer Religion.

Nachdem Libyen 1911 italienische Kolonie geworden war, ging es den Juden anfangs besser als zuvor: Sie wurden wertgeschätzt und erlebten eine Zeit des Wohlstands und des Fortschritts. Doch als 1938 das faschistische Regime an die Macht kam, verschlechterte sich die Lage. Antijüdische Gesetze wurden verabschiedet, der Druck auf die Juden verstärkte sich, und 1941 wurden einige Hundert eingekerkert und nach Deutschland deportiert. »1945, als Libyen von den Engländern kontrolliert wurde, kam es vonseiten der arabischen Bevölkerung zu einem Pogrom, und 1948, kurz nach der Staatsgründung Israels, ein weiteres Mal«, erzählt Miriam Meghnagi. Der größte Teil der Juden flüchtete damals aus dem Land.

Miriam Meghnagi erinnert sich an damals: Sie war das jüngste Kind in der Familie – ein Mädchen nach sechs Jungen. Ihr ältester Bruder floh mit dem Schiff nach Neapel, und sie fürchtete, ihn nie wiederzusehen. Sie weinte so sehr, dass ein anderer Bruder sein Fahrrad nahm und sie zum Kai brachte, um dem wegfahrenden Schiff hinterherzuschauen. »Unser Haus war nicht weit vom Hafen entfernt. Ich hörte immer den Klang der Schiffshörner.« Ein Großteil ihrer Verwandten war zu diesem Zeitpunkt schon längst nach Israel und in die USA emigriert.

Rund 50.000 Juden lebten Anfang der 40er-Jahre im Land. Miriam Meghnagi und ihre Familie gehörten zu den letzten 5000, die innerhalb von zwei Monaten aus dem Land flohen. Bis auf zwei Koffer ließen sie alles zurück. Das war 1967. Sie hätten zwar ihr Zuhause aufgegeben, sagt Meghnagi, doch hatten sie Glück, »denn sie waren als Familie zusammen«.

Staatenlos In Rom bauten sie sich ein neues Leben auf, obwohl sie weder die italienische Staatsangehörigkeit noch eine Arbeitserlaubnis hatten. »Wir waren staatenlos, wie schon in Libyen, und lebten jahrelang unter dem Schutz des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge.« Trotz alledem ging Miriam zur Schule und später auf die Uni, wo sie Philosophie studierte und mit einer Arbeit über die Theorien der Kreativität promoviert wurde.

Doch ausschließlich akademisch arbeitete sie zu keiner Zeit. »Das Singen war immer Teil meines Lebens«, sagt sie. Vor allem jüdische Lieder hat sie in ihrem Repertoire. Es fiele ihr nicht schwer, aus dem Stand heraus ein ganzes Konzert mit Purimliedern zu geben, sagt sie und lacht. »Es gibt so unglaublich viele.« In manchen werde beschrieben, wie glücklich das Volk ist und wie die Leute zusammen Wein trinken, in anderen stehen die Frauen im Mittelpunkt, die gerade Süßigkeiten vorbereiten.

Meghnagi singt in mehreren Sprachen. »Morena«, ein sefardisches Volkslied, trägt sie in Ladino vor. Die Sehnsucht nach Jerusalem drückt sie in »Kiria, ya memti« nach einem Text des jemenitischen Dichters Shalom Shabazi aus. Diese Lied singt sie auf Hebräisch. Um Sehnsüchte geht es auch in »Fi halami, nel Sogno« (Im Traum), das sie in der Sprache ihrer Kindheit verfasst hat, im »tripolitanisch-jüdischen Arabisch«, wie sie es nennt. Miriam Meghnagi ist stets auf der Suche nach weiteren jüdischen Liedern – auch dafür reist sie um die Welt: Sie möchte ihren musikalischen Horizont immer mehr vergrößern.

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