Wall Street

Märkte, Mizwot, Millionäre

Entspannt in der Pause: Manuel J. Schnaidman Foto: Tim Schäfer

Manuel J. Schnaidman arbeitet seit 18 Jahren an der Wall Street. Er ist ein Mensch, dem Karriere viel bedeutet. Häufig reist er dienstlich nach Südamerika, Kalifornien und London. Für die Arbeit kann er sich begeistern. Gleichzeitig ist er ein orthodoxer Jude. Er betet drei Mal am Tag, hält den Schabbat nach strengen Regeln. »Du kannst beides miteinander vereinbaren, das ist kein Problem«, sagt der führende Manager der Deutschen Bank.

Schnaidman lebt in Teaneck, einer Gemeinde in New Jersey mit 40.000 Einwohnern, fünf Meilen westlich der George-Washington-Brücke gelegen, die New Jersey mit Manhattan verbindet. Teaneck hat eine große orthodoxe Gemeinschaft. Es gibt 14 Synagogen, vier Jeschiwas, 20 koschere Restaurants, Bäckereien und Supermärkte.

wall street An einem sonnigen Nachmittag nimmt sich Schnaidman Zeit, um über sein Leben und die Arbeit zu sprechen. Wir treffen uns nahe des Firmensitzes der Deutschen Bank in der Wall Street im Süden von Manhattan.

Die Broker und Banker, die hier arbeiten, sind in den vergangenen Monaten sehr in die Kritik geraten. Schnaidman hat die Proteste der Occupy-Bewegung verfolgt. Es liegt vor allem daran, sagt der 51-Jährige, dass es sich um eine relativ kleine Zahl von Beschäftigten handelt, die gleichzeitig recht wohlhabend ist. Einen Vorwurf macht er sich nicht. »Ich verdiene mein Geld auf ehrliche, aufrichtige Art«, sagt er. »Es besteht keinerlei Problem in dieser Hinsicht.«

Schnaidman ist dies wichtig: »Grundsätzlich versuchen wir, nicht mit Statussymbolen anzugeben. Unser Ziel ist es, dies zu limitieren.« Und für wohltätige Zwecke zu spenden, hat für ihn eine große Bedeutung: »Du musst in deinem Leben sehr diszipliniert sein. Du möchtest natürlich das Bestmögliche aus deinem Leben machen. Du fragst dich ständig: Wie kann ich der Gesellschaft helfen, was kann ich besser machen?«

wurzeln Schnaidman nimmt sich Zeit, um zu erzählen, wie er zu seinem Beruf und zu seiner religiösen Überzeugung kam. Und er fängt ganz vorne an: Die Vorfahren seiner Mutter kamen 1913 aus Polen nach New York. Die Familie seines Vaters stammt aus Weißrussland, sie hat sich ebenfalls in der amerikanischen Metropole niedergelassen.

Seit jeher war seine Familie streng religiös. Schnaidmans Vater war Rabbiner in Washington Heights, einem Viertel, das am nördlichen Zipfel Manhattans liegt. Nun ist er im Ruhestand. »In Washington Heights gibt es eine große deutsch-jüdische Gemeinschaft, viele sind orthodox«, erzählt Schnaidman. »Sie kamen aus Frankfurt, noch vor dem Zweiten Weltkrieg.«

Die Vorfahren seiner Frau stammen aus Polen, sie siedelten sich zunächst in Berlin an und verließen die deutsche Hauptstadt, kurz nachdem die Nazis an die Macht gekommen waren. Ein Verwandter hatte ihnen in den USA die nötigen Visa beschafft; so landeten sie schließlich im sicheren Brooklyn.

So wie seine Vorfahren wächst auch Manuel Schnaidman auf: streng religiös. Er besucht eine orthodoxe Grundschule in der Upper West Side nahe des Central Park. »Alle meine Freunde waren orthodox. Du gewöhnst dich einfach daran. Wir aßen koscher. Natürlich wussten wir Schüler aus den Filmen, dass es andere Religionen gibt. Gleichwohl war es für uns natürlich, so zu sein, wie wir waren.«

Im Alter von 13 Jahren wechselt Schnaidman nach Baltimore, Maryland, in ein Internat. »Ich habe meine Eltern vermisst. Im ersten Monat habe ich jeden Abend geweint. Dann hat sich das gelegt.« In der Schule wendet er sich stärker dem Glauben zu, er lernt mehr und mehr dazu. Er betet mehrmals am Tag.

israel Nach dem Abitur geht der 17-Jährige für zwei Jahre nach Israel. Er vertieft sein Studium der jüdischen Lehre. Zurück in den USA, studiert er Finanzwissenschaften und Englische Literatur an der staatlichen Towson University in Maryland. Es reift in ihm die Idee, entweder an der Wall Street, als Anwalt oder in der Wirtschaft einen Job anzustreben. In Israel lernt er per Zufall einige Rohstoffhändler kennen. Das beeindruckt ihn. In diesem Bereich macht er ein Praktikum, arbeitet in der Poststelle, erledigt kleinere Hilfstätigkeiten für führende Mitarbeiter.

Später schließt er einen MBA-Studiengang an der renommierten New York University ab. Mit dem Diplom in der Tasche fängt er im Jahr 1986 bei der mächtigen Zweigstelle der Zentralbank FED im New Yorker Finanzviertel an. 1994 wechselt er zu Bankers Trust. 1999 übernimmt die Deutsche Bank den amerikanischen Konkurrenten. Der spätere Chef des Frankfurter Mutterhauses, Josef Ackermann, leitet seinerzeit das Integrationsteam beider Häuser.

kollegen Schnaidman schätzt bei der Investmentbank vor allem die internationalen Kontakte. »Kürzlich hatte ich ein Abendessen. Ich genoss es, mit Leuten aus Deutschland, Großbritannien, Indien, Amerika und Russland an einem Tisch zu sitzen. Ich war der einzige Jude bei dem Meeting.« Von der multikulturellen Zusammenarbeit ist der Banker hellauf begeistert. »Je öfter ich mit diesen Menschen arbeite, desto mehr stelle ich fest, wie ähnlich wir doch alle sind. Wir richten unser Augenmerk auf die Familie, sind an Sport, den Nachrichten, der Karriere und dem Frieden interessiert.« Dann sagt er: »Unterschiedliche Religionen erweitern den Horizont.«

Trotz seiner Offenheit hält er sich immer strikt an die Speiseregeln. Da macht er keine Ausnahme, wirklich keine einzige. Seine Kollegen wissen und respektieren das. Wenn sich hin und wieder auf Geschäftsreisen keine koschere Mahlzeit organisieren lässt, begnügt er sich stattdessen mit Wasser oder einer Tasse Kaffee.

»Ich mache deswegen keinerlei Aufstand. Mir fiel in meiner Laufbahn auf: Wenn Du dich strikt an eine Regel hältst, sind die Menschen kulant mit Dir und akzeptieren das.« Eine Kippa trägt er indes nicht im Büro. Bevor er zur Arbeit fährt, geht er in seiner Heimatgemeinde in den Tempel zum Beten.

Der Arbeitstag beginnt in der Regel um acht Uhr morgens und endet um 19 Uhr. Freitags versucht er, wegen des Schabbats, rechtzeitig nach Hause zu kommen. Im Winter muss er sich deshalb freitags immer früher, so gegen 15 Uhr, in das Wochenende verabschieden. Während des Schabbats hält er sich an alle Vorschriften: Das Licht bleibt zu Hause stets an, es darf nicht an- und ausgeknipst werden. Kein Fernsehen, kein Computer, kein Handy. Die Familie steht im Mittelpunkt. Es wird gemeinsam gegessen, gebetet.

engagement Schnaidmans Frau ist an Multipler Sklerose (MS) erkrankt. Vor einigen Jahren musste sie deshalb ihren Job aufgeben, sie war Ergotherapeutin an einem Krankenhaus und Pflegeheim. Nun engagiert sie sich für das wohltätige Projekt Ezra, das rund 400 pflegebedürftigen Senioren in der Lower East Side hilft. Für die MS-Forschung spendet die Familie an mehrere Stiftungen. Die Töchter sind 16, 18 und 21 Jahre alt. Mindestens eine scheint in die Fußstapfen des Vaters zu treten. Die 18-Jährige weilt derzeit in Israel für ein Jahr. Der stolze Vater erzählt und erzählt.

Plötzlich blickt Manuel J. Schnaidman auf die Uhr. Er muss schnell zurück zur Arbeit. Wenn es Fragen wegen des Artikels gibt, sei er jederzeit zu erreichen. Außer am Schabbat.

Mexiko

Präsidentschaftskandidatin von Bewaffneten aufgehalten

Steckt ein Drogenkartell hinter dem bedrohlichen Zwischenfall?

 22.04.2024

Meinung

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Fall Samir

Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

USA/Israel

Biden: Pessach-Fest ist besonders hart für Familien der Geiseln

Die abscheulichen Gräueltaten der Hamas dürften niemals vergessen werden, sagt der Präsident

 22.04.2024

Ukraine

Mazze trotz Krieg

Kyivs älteste Synagogen-Bäckerei produziert seit Jahrzehnten, und nun auch bei Raketenbeschuss

von Michael Gold  22.04.2024

Pessach

Der eigene Exodus

Wie erlangt der Mensch persönliche Freiheit? Wir haben sechs Jüdinnen und Juden gefragt

von Nicole Dreyfus  22.04.2024

London

Initiative gegen Antisemitismus: Polizeichef soll zurücktreten

Hintergrund ist ein Vorfall bei einer antiisraelischen Demonstration

 22.04.2024

Columbia University

Nach judenfeindlichen Demos: Rabbiner warnt eindringlich

Jüdische Studierende sind auf dem Campus nicht mehr sicher, sagt Elie Buechler

 22.04.2024

London

Polizeichef steht in der Kritik

Die »Initiative Campaign Against Antisemitism« fordert den Rücktritt von Sir Mark Rowley

 21.04.2024

Großbritannien

Der erste Jude in 1000 Jahren

Nick Rubins ist neuer Sheriff von Nottingham – und hat nur bedingt mit Robin Hood zu tun

von Sophie Albers Ben Chamo  20.04.2024