Frankreich

Madame Le Pen und die Juden

Buhlt um jüdische Stimmen: Parteichefin Marine Le Pen auf dem Parteitag im November Foto: dpa

Frankreich

Madame Le Pen und die Juden

Aus Sorge vor Islamisten sympathisieren immer mehr Gemeindemitglieder mit dem Front National

von Nina Schönmeier  16.03.2015 16:49 Uhr

Der rechtsextreme Front National (FN) spaltet Frankreichs jüdische Gemeinde: Die einen wählen die Partei, die anderen kritisieren sie wegen antisemitischer Tendenzen. Die Départementswahlen in Frankreich haben am Sonntagmorgen begonnen. Im ersten Durchgang gilt der Front National als klarer Favorit. Nach Hochrechnungen könnte er bis zu 30 Prozent der Stimmen erhalten. Paradoxerweise wählen immer mehr Juden die Partei. Sie sehen in ihr einen Schutz gegen radikale Islamisten.

Die Parteivorsitzende Marine Le Pen hat das jüdische Wählerpotenzial erkannt und buhlt offen um Stimmen. »Es besteht eine Gefahr für Juden in Frankreich. Sie sollten aufseiten jener kämpfen, die sich über die Gefahr des islamistischen Fundamentalismus im Klaren sind«, sagte sie vor Kurzem.

Bei vielen Gemeindemitgliedern rennt sie mit dieser Aussage offene Türen ein. Sogar der Vorsitzende des offiziellen Vertretungsorgans der jüdischen Gemeinde (CRIF), Roger Cukierman, erklärte, man habe Le Pen persönlich nichts vorzuwerfen. Nach Kritik ruderte er allerdings zurück und erklärte: »Ich würde niemals FN wählen.«

Statistik Genaue Zahlen darüber, wie viele Juden für den Front National stimmen, gibt es nicht. Dies liegt vor allem daran, dass die Einordnung in die Kategorie »jüdische Wähler« auf freiwilliger Selbstauskunft beruht.

Die letzte seriöse Studie aus dem Jahr 2012 belegt jedoch, dass die Sympathien für den Front National wachsen: So erhielt die Kandidatin und Parteivorsitzende Marine Le Pen bei der Präsidentschaftswahl rund 13 Prozent der Stimmen jüdischer Wähler. Zum Vergleich: Ihr Vater Jean-Marie Le Pen, der für seine antisemitischen Äußerungen bekannt ist, erhielt 2007 nur rund vier Prozent der jüdischen Stimmen.

Jérôme Fouquet, Direktor des Meinungsforschungsinstituts IFOP, bestätigt, dass bei jüdischen Wählern »die Stimmabgabe zugunsten des Front National stark gewachsen ist, auch wenn sie deutlich unter dem nationalen Durchschnitt liegt«. Fouquet weist darauf hin, dass es um das Jahr 2000 mit dem Beginn der zweiten Intifada einen »Rechtsruck« in der Gemeinde gegeben hat.

Wie kann man als Jude für eine Partei stimmen, in der es noch immer antisemitische Tendenzen gibt, fragen sich viele Gemeindemitglieder. »Wer Front National wählt, hat den Geschichtsunterricht verpasst«, kritisiert der Toulouser Anwalt Erick Lebahr. Der Antisemitismus gehöre »zur DNA der Partei«, sagt er.

Auch der Politikwissenschaftler Jean-Yves Camus, der vor einigen Jahren zum Judentum übergetreten ist, meint, es sei allgemein bekannt, dass man als Jude nicht Front National wählen könne, wegen des rechtsextremen Gedankenguts der Partei. »Wer es trotzdem tut, ist kurzsichtig.«

Kandidaten In einigen französischen Städten gibt es Juden, die bei den Wahlen nicht nur für den Front National stimmen, sondern sogar für die Partei kandidieren. Sie sehen im Front National diejenige Kraft im Land, die den radikalen Islamismus am wirksamsten bekämpft.

Jean-Richard Sulzer, Wirtschaftswissenschaftler und Regionalrat in Nord-Pas-de-Calais, betont, immer mehr Juden seien angesichts der Entwicklung des radikalen Islamismus froh, dass es den Front National gibt. Seiner Ansicht nach könnte der FN in Zukunft die Stimmen von rund einem Drittel der jüdischen Wähler holen. »Durch die Terroranschläge vom Januar werden sich auf jeden Fall viel mehr Wähler für uns entscheiden«, prophezeit er. Der Front National will unter anderem die Einwanderung stark beschränken und laut Sulzer staatliche Subventionen für den Bau von Moscheen streichen. Konkrete Maßnahmen zum Vorteil jüdischer Gemeinden gebe es im FN-Programm jedoch nicht, räumt Sulzer ein.

Eine weitere Ursache dafür, dass immer mehr Juden mit dem Front National sympathisieren, liegt darin, dass sich das Image der Partei gewandelt hat, seit Marine Le Pen im Januar 2011 die Führung übernommen hat. Die 46-Jährige gilt nicht als Antisemitin und hat sich in der Öffentlichkeit auch noch nie derartig geäußert.

»Die Tatsache, dass Marine Le Pen eine wesentlich gemäßigtere Richtung einschlägt als ihr Vater, der die Partei bis 2011 führte, ist für viele Juden ein wichtiger Faktor«, meint der Anwalt Gilles Goldnadel. Seiner Ansicht nach hat die jüdische Gemeinschaft viel mehr vom »Linksislamismus« zu befürchten als von einer rechten Partei. »Dass viele Juden angesichts dieser Gefahr Front National wählen, ist nicht überraschend.«

Abweichler Die neue FN-Spitze geht mit antisemitischen Abweichlern demonstrativ hart ins Gericht. Sobald sich ein FN-Politiker zu judenfeindlichen Äußerungen hinreißen lässt, verliert er medienwirksam sein Amt oder wird aus der Partei ausgeschlossen. So geschehen im Fall des Kandidaten Alexandre Larionov, der sich im südfranzösischen Aveyron zur Wahl stellte.

Die Parteispitze verbannte ihn sofort, als bekannt wurde, dass er vor einigen Jahren auf Facebook geschrieben hatte, man »müsse die Juden ein für alle Mal vernichten«. Ein anderer Politiker wurde vor der Europawahl im vergangenen Jahr von der Liste gestrichen, weil er in einem sozialen Netzwerk ein Foto von einer brennenden Israel-Flagge gepostet hatte.

Erick Lebahr hält diesen scheinbaren Imagewandel allerdings nicht für glaubwürdig: »Man darf sich nicht nur das Schaufenster anschauen, sondern muss auch einen Blick ins Hinterzimmer werfen«, sagt er. Sogar in der Führungsriege des FN gebe es nach wie vor Antisemiten und Schoa-Leugner, wie zum Beispiel den Europa-Abgeordneten Bruno Gollnisch, der 2004 wegen missverständlicher Erklärungen zum Holocaust vor Gericht kam, letztlich aber nicht verurteilt wurde. Auch die Bewegung »Gleichheit und Versöhnung« des Rechtsextremisten, Antizionisten und Holocaust-Leugners Alain Soral steht dem Front National nahe. Er selbst war noch bis 2009 Parteimitglied.

Manche Vertreter jüdischer Gemeinden kritisieren außerdem, dass der Front National in seinem Programm Maßnahmen vorschlägt, die das jüdische Leben erschweren könnten. Zum Beispiel will der FN sparen, indem er die Subventionen an Vereine zurückschraubt. Davon wären die zahlreichen jüdischen Schulen und vermutlich auch die jüdische Dachorganisation CRIF betroffen.

Jean-Yves Camus weist darauf hin, dass der Front National das Tragen der Kippa und jedes anderen religiösen Zeichens in der Öffentlichkeit sowie das rituelle Schlachten verbieten will. Der Front National sei also auch in dieser Hinsicht für Juden nicht zu einer salonfähigen Partei geworden. Erick Lebahr gibt zu bedenken: »Die Feinde meiner Feinde sind noch lange nicht meine Freunde.«

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