Grossbritannien

Koscher Fläschlach

In den Tagen vor Purim kommen jeden Tag Dutzende Kunden in meinen Laden», erzählt David Margulies (31), Inhaber von Kosher Wine und The Grapevine UK. Obwohl es an den ersten frühlingshaften Tagen noch kalt ist, trägt der leicht untersetzte Mann ein kurzärmeliges weißes Hemd, aus dem unten die Zizit heraushängen; ans Ohr hat er sich einen Bluetooth-Kopfhörer geklemmt, in der rechten Hand hält er ein Smartphone.

Vor Margulies liegen Zettel mit Bestellungen. «Wir bereiten das alles in unseren Geschäftsräumen selbst vor», sagt er mit Stolz in der Stimme und zeigt auf ein Dutzend Geschenkkörbe, die in durchsichtige Plastikfolie eingewickelt sind. In ihnen liegen teurer Whisky oder Likör und koschere Pralinen. Die beliebten Körbe – auf der anderen Seite des Ladens stehen weitere auf Weinkartons – werden bei Margulies als Geschenksendungen zu Purim gekauft.

Die Wand hinter Margulies ist bis hoch an die Decke mit Whisky aller möglichen Sorten gefüllt. Vor ihm an der Theke steht ein unausgepackter Karton mit koscherem Kedem-Wein. Wo immer man in diesem Laden hinschaut, stehen oder liegen Flaschen. «Fläschlach» nennt sie Margulies auf Jiddisch, als er seinem Assistenten Benyamin Schneck (23) ein paar Anweisungen erteilt und ihn nach der letzten Lieferung fragt.

sortiment Wie viele Sorten er hier im Sortiment hat? «Was auch immer Sie mir für eine Zahl nennen – ich habe doppelt so viele!», behauptet Margulies. Was hier im Laden stehe, seien nur etwa zehn Prozent des Gesamtbestands. Der Rest sei im Lagerhaus. Aber es sind nicht nur Spirituosen, die es bei Margulies gibt. Wer möchte, kann hier auch Traubensaft kaufen oder Havanna-Zigarren, ganz nach Geschmack, Lebensstil und Größe des Portemonnaies.

Das große Schaufenster zeigt, dass Purim vor der Tür steht. «Purim Sameach» steht da auf Hebräisch in bunten Farben, dazwischen Partyhütchen und Papierschlangen, jede Menge Korken und – wie zu erwarten – Flaschen koscheren Weins. Purim, ja, das sei für ihn die geschäftigste Zeit des Jahres, sagt Margulies.

Wieder wendet er sich an Schneck, der gerade ein paar Kartons mit Flaschen aus einem roten Kleintransporter holt. «Das ist nicht alles von der Lieferung», bemerkt Margulies auf Jiddisch.

Marktführer Margulies bezeichnet sich selbst als Marktführer auf dem Gebiet koscherer Spirituosen in London. Neben diesem Laden in Oldhill, dem Zentrum des orthodoxen Stamford Hill, hat er noch ein weiteres Geschäft in Hendon, dem anderen stark jüdisch bewohnten Zentrum im Londoner Norden.

Gekommen sei ihm die Geschäftsidee, als er vor zehn Jahren zu Besuch in Antwerpen war und dort gleich drei koschere Spirituosenläden vorfand. «In Antwerpen leben viel, viel weniger Juden als in London, doch damals gab es bei uns nicht einen einzigen vergleichbaren Laden!» Kurz entschlossen bat Margulies daraufhin seinen Vater um Startkapital, um in London ein solches Geschäft für koscheren Wein aufzubauen. Von Wein und Spirituosen wusste Margulies damals nicht viel. «Man lernt das aber über die Jahre von selbst», sagt er.

Margulies’ Waren kommen aus aller Welt: aus Frankreich, Schottland, Israel, Irland ... Es gebe auch einen neuen, koscher zertifizierten Whisky aus Belgien. Echt koscher sind aber nur die Weine. Was den Whisky betrifft, gibt es in der orthodoxen Community eine unaufhörliche Debatte. Rabbi Moshe Feinstein (1895–1986) war der Meinung, nicht koschere Spirituosen seien akzeptabel, wenn sie eins zu sechs mit koscherem Wein gemischt werden. Üblicherweise ist nur eins zu 60 zulässig. Die Debatten im Internet hierzu sind endlos. Doch Margulies lässt sich darauf nicht groß ein – er verkauft einfach beides und überlässt die Entscheidung den Kunden.

Margulies’ Klientel besteht nicht ausschließlich aus Juden. Vor einiger Zeit hat einmal ein nichtjüdischer Kunde bei ihm ein ganz rares Tröpfchen für 100.000 Pfund gekauft. So gesehen, ist Kosher Wine ein großer Kontrast in der Straße, in der neben jüdischen Utensilien vor allem Brot, Gemüse und Kleidung verkauft wird. Mit seinem Spirituosengeschäft, gelegen zwischen einem Fischladen und einem Waschsalon, scheint Margulies tatsächlich das beste Geschäft im Viertel zu haben – auch wenn ihm der Laden gegenüber, der unter anderem Kommentare zur Heiligen Schrift verkauft, das ganz bestimmt absprechen würde, spirituell gesehen.

Favoriten Zu den beliebtesten unter seinen Getränken gehören derzeit japanischer Whisky und Sake, sagt Margulies. Benyamin Schneck, sein Kollege, verrät außerdem seine persönlichen Favoriten. In Sachen Whisky sei er gerade auf den schottischen Macallan Ruby gekommen, von dem die Flasche umgerechnet nicht weniger als 280 Euro kostet. Für den Schabbat empfiehlt Schneck den israelischen Segal, Marke Unfiltered, für etwa 60 Euro das «Fläschlach». Dies und noch viel mehr kann man bei Kosher Wine auch online bestellen. Margulies berichtet von Lieferungen in die USA, nach Deutschland und in andere Länder.

Margulies geht ins Hinterzimmer. Auch dort steht alles bis zur Decke voll mit Kartons und Flaschen. Er greift nach einer Kiste Whiskyflaschen und räumt die einzelnen Flaschen vorn im Laden ins bereits übervolle Regal.

Dass seine Kundschaft an Purim etwas tiefer ins Glas schaut, ist allgemein bekannt. Man muss sich dafür nur am Vorabend des Festes auf den Straßen von Stamford Hill umsehen. Da begegnen einem heitere Gesellschaften aus den verschiedenen orthodoxen Gemeinden in allerlei Kostümen.

frauen Und die Frauen? Trinken sie auch das Hochprozentige? «Zum Teil ja», antwortet Margulies. «Aber für sie kauft man auch Liköre und Gin.» Da klingelt sein Telefon, und er ist sofort vertieft in die Details einer Bestellung. Damit fertig, blickt er auf und bedauert, mehr Zeit habe er leider nicht. Vor Purim sei viel zu tun.

Wie schnell sein Laden gewachsen ist und dass sein Leben einmal so hektisch werden könnte, überrasche ihn bis heute, sagt Margulies. «Man muss ein Geschäft machen, so oder so», sagt er. Und wenn es dann noch derart gut läuft, ist das sicherlich ein Grund zu einem herzlichen L’Chaim – um diese Zeit besonders zum Wohle Mordechais und Esthers.

Ungarn

Die unmögliche Geige

Dies ist die zutiefst berührende Geschichte eines Musikinstruments, das im Todeslager Dachau gebaut und 70 Jahre später am Balaton wiedergefunden wurde

von György Polgár  17.04.2025

Medien

Noa Argamani ist auf der »Time 100«-Liste

Alljährlich präsentiert das »Time Magazine« die 100 einflussreichsten Menschen der Welt. 2025 ist auch eine freigelassene israelische Geisel dabei

 17.04.2025

USA

Neuauflage von Weinstein-Prozess startet

Vor gut einem Jahr überraschte ein Gericht in New York die Welt und hob das historische Vergewaltigungsurteil gegen Harvey Weinstein auf. Nun wird über die Vorwürfe erneut verhandelt

von Benno Schwinghammer  14.04.2025

Türkei

Die Optimistin

Liz Behmoaras schrieb über das jüdische Leben im Land – und für das Miteinander. Ein Nachruf

von Corry Guttstadt  14.04.2025

Ägypten

Gefährliches Paradies

Der Sinai ist einer der wenigen Urlaubsorte im Ausland, den Israelis auf dem Landweg erreichen können. Gern auch zu Pessach. Aber zu welchem Preis?

von Matthis Kattnig  11.04.2025

Feiertag

Putzen, Plagen, Playmobil

Neben Mazza und Haggada bietet Pessach Raum für ganz neue, individuelle Rituale. Wir haben uns in sieben Familien in Europa und Israel umgehört

von Nicole Dreyfus  11.04.2025

Israel-Boykott

Johnny Rotten nennt Hamas »einen Haufen von ›Judenvernichtern‹ «

Eine irische Zeitung hat versucht, den Ur-Punk Johnny Rotten vorzuführen, der sich kraftvoll gegen einen Boykott Israels wehrt. Das ging gründlich schief

von Sophie Albers Ben Chamo  10.04.2025

USA

Eine Hochschule und ihr LGBTQ-Klub

Die einen feiern den »Meilenstein für queere Juden«, die Yeshiva University rudert zurück. Nicht nur die orthodoxe Gemeinschaft ist verwirrt

von Sophie Albers Ben Chamo  10.04.2025

Vereinigte Arabische Emirate

EU kritisieren Todesstrafe für Mörder von Chabad-Rabbiner

Ein in den Vereinigten Arabischen Emiraten lebender Rabbiner wurde verschleppt und ermordet. Ein Gericht verurteilte drei Täter zum Tod. Der Auswärtige Dienst der EU äußert Bedauern

 10.04.2025