Schweiz

Können Judenwitze lustig sein?

Herr Friedman und Herr Raya, erzählen Sie uns einen Witz.
Hamza Raya: Welche Sprache spricht man im Himmel?
Sam Friedman: Keine Ahnung. Hebräisch?
Raya: Gut, dann müsste ich Hebräisch lernen. Doch für den Fall, dass ich in die Hölle komme, kann ich schon Albanisch.

Noch einen?
Friedman: Was haben Juden und Damenschuhe gemeinsam? In 39 gab es mehr als in 45.
Raya: Der ist gut. Der ist sogar genial.

Warum finden Sie diesen Witz genial?
Raya: Weil es die Verknüpfung von Damenschuhen, also etwas Trivialem, und der Schwere der Geschichte ist.

Aber die Geschichte wird brutal banalisiert. Es gibt jüdische Leser, Holocaust-Überlebende und deren Nachkommen, die das sehr verletzt.
Raya:
Wem der Witz nicht gefällt oder wer ihn nicht erträgt, soll ihn nicht konsumieren. Wir verlangen keinen Beifall. Nie würde ich sagen, jemand hätte zu wenig Humor, weil ihm nicht gefällt, was wir erzählen. Es ist absolut legitim, etwas nicht lustig zu finden.

Aber wieso der Holocaust?
Raya:
Wir machen nicht nur Auschwitz-Witze. Wir bedienen alle möglichen Stereotypen.

Wird es dadurch besser?
Friedman:
Darf ich einen Witz über Araber erzählen? Warum gibt es bei Arabern Fahrkunde- und Sexualkundeunterricht nicht am selben Tag? Weil es das Kamel nicht aushalten würde.
Raya: Hier lache ich auch. Ich bin ja Araber. Und eben darum geht es: das Über-sich-selbst-lachen-Können. Viele Leute können das nicht. Sie nehmen alles persönlich. Das ist dieser enorme Narzissmus, der dann jedes Mal hochkommt. Aber die Persönlichkeit des Einzelnen ist doch völlig peripher. Es geht auch nicht zwingend um den Witz an sich oder um die Pointe, obwohl es von dieser abhängt, ob etwas lustig ist oder nicht. Ich bin davon überzeugt, dass sich die Identifikation mit Religion oder Nationalität exakt in dem Moment auflöst, wenn ich über mich selbst lache.
Friedman: Viele Leute regen sich über Dinge auf, die gar nichts mit ihnen selbst zu haben. Das spaltet die Gesellschaft und schafft noch mehr Grenzen, anstatt sie zu überwinden.

Gibt es eine gewisse Erwartungshaltung in der Gesellschaft?
Friedman:
Die woke-linke Community haben wir uns noch nicht vorgenommen, weshalb sie wohl noch schweigt.
Raya: Und wenn, dann staune ich darüber, wie viel Energie Menschen dafür aufwenden, um uns in den Kommentarspalten ihr Unbehagen mitzuteilen

Herr Raya, Sie treten in Zürich mit Ihrer Comedy-Reihe »Dini Muetter« auf. Passen Sie Ihre Jokes Ihrem Publikum an?
Ich spüre rasch, was ankommt und was nicht. Dieses Gefühl trainiert man als Comedian schnell. Am Anfang kamen fast nur Migranten, mittlerweile kommen auch viele alteingesessene Schweizer. Ich nenne das, was ich mache, deshalb Urban Comedy. Dazu gehört auch »political incorrectness«.

Was motiviert Sie, so ins Extrem zu gehen? Wieso müssen Witze rassistisch sein?
Friedman:
Unsere Botschaft ist eigentlich genau das Gegenteil davon. Aber weil den Leuten immer zuerst »rassistisch« einfällt, ist uns wichtig zu zeigen, dass wir trotzdem miteinander befreundet sein können, selbst wenn wir uns gegenseitig einen humoristischen Spiegel vor die Nase halten. Das verstehen viele Leute nicht. Sie legen jedes Wort auf die Waagschale. Wer sich unser Video ansieht, sollte verstehen, das sind zwei, die sich mögen, ein Jude und ein Araber, und das sind doch zwei ganz coole Typen.
Raya: Es heißt doch, Humor sei Schmerz plus Zeit. Wenn einer vom Fahrrad fällt, sich das Knie aufschlägt und dann darüber lacht, hat er durchaus mehr gewonnen, als wenn er sich Wochen später immer noch darüber aufregt, dass er vom Rad gefallen ist. Humor ist ein Coping-Mechanismus, um mit Stress umzugehen. Wie gesagt, ich zwinge niemanden dazu mitzulachen, auch nicht in meinen Comedy-Shows, aber es macht das Leben einfacher. Man wird widerstandsfähiger.

Herr Friedman, Vorfahren von Ihnen wurden im Holocaust ermordet. Schaudert es Sie nicht in dem Moment, wenn darüber gelacht wird? Gibt es für Sie keine rote Linie?
Friedman:
Meine Großeltern waren beide Holocaust-Überlebende. Meine Großmutter wurde gerettet, weil sie »arisch« aussah. Deshalb darf ich keinen Witz darüber machen? Es ist doch gerade der Humor, der die Schwere und den Schmerz erträglich macht.
Raya: Und das ist sein gutes Recht. Niemand, auch nicht seine jüdischen Brüder und Schwestern, haben das Recht, ihm vorzuschreiben, wie er diesen Schmerz zu verarbeiten hat. Ich erlebe es genauso. Es gibt Schweizer, die mir vorschreiben wollen, über wen ich meine Jokes machen soll. Ich darf Araber-Witze machen! Gerade auch deshalb, um meine eigenen Diskriminierungserfahrungen zu reflektieren.

Wurden Sie schon rassistisch angegriffen?
Raya: Wenn ich wollte, würde ich überall Rassismus finden. Und ja, vielleicht muss ich ein oder zwei Bewerbungen mehr schrei
ben als mein Schweizer Kollege. Dann schreibe ich eben fünf mehr. Aber mit Fingerzeig und Schuldzuweisungen komme ich nicht dagegen an.
Friedman: Aber mit Humor. Das macht dich auch sympathisch. So versuche ich es auch.

Erzählen Sie.
Friedman:
Wenn ich zum Beispiel als »Saujude« diffamiert werde, was auch schon geschehen ist, dann bin ich zu dieser Person gegangen und habe gesagt: »Du kannst über mich sagen, was du willst. Aber die Sau und der Jude gehören nicht zusammen, weil Juden kein Schweinefleisch essen.« Das nimmt schon mal ein wenig Wind aus den Segeln. Und ich entlarve mein Gegenüber als ungebildet.

Herr Friedman, Sie sind Co-Präsident des Fußballklubs Hakoah in Zürich. Reagieren Sie auch so souverän, wenn Zuschauer antisemitische Parolen skandieren?
Nein, hier hat Antisemitismus absolut nichts verloren. Wenn es um die Kinder auf dem Fußballplatz geht, kenne ich gar nichts! Dann verlassen wir geschlossen den Platz. Auch wenn ein gegnerischer Spieler sich entsprechend äußert. Da würde ich alles dafür geben, dass dieser vom Schweizerischen Fußballverband bestraft oder gesperrt wird. Im Sport oder auch auf dem Pausenhof haben Rassismus und Antisemitismus nichts zu suchen.

Was ist der Unterschied zu Comedy und Satire?
Raya:
Im Humor gibt es keine Grenzen. Es kommt immer darauf an, wer den Witz erzählt. In welchem Rahmen oder Kontext. Es macht selbstverständlich einen Unterschied aus, ob ich einen Witz auf einer Comedy-Bühne oder auf einer Beerdigung erzähle. Der gleiche Witz funktioniert vielleicht auf der Straße gegenüber einem Wildfremden, bei einem Betroffenen hingegen nicht.

Aber wenn Sie von Kontext sprechen, definieren Sie doch selbst die Grenze.
Friedman:
Wenn einer am Stammtisch antisemitische Witze erzählt und sich auch sonst über Juden oder andere ethnische Minderheiten lustig macht oder sie diffamiert, bewegt er sich auch in einem komplett anderen Kontext, als wir es tun.
Raya: Hinzu kommt die Intention. Man kann zweimal den gleichen Satz mit einer völlig anderen Absicht formulieren. Ist er liebevoll gemeint oder werden dabei Antisemitismus, Islamophobie oder Rassismus scheinheilig hinter Humor kaschiert? Hier ziehe ich tatsächlich eine scharfe Trennlinie. Wenn also ein jüdischer Freund neben mir sitzt und wir gemeinsam lachen, dann haben wir gewiss eine andere Intention. Wenn der Türke, der Albaner, aber auch der Deutsche oder der Schweizer sehen, dass Juden und Araber sich gegenseitig nicht zu ernst nehmen, sind wir schon einen Schritt weiter.
Friedman: Auch wenn wir damit nicht den Weltfrieden bringen, leisten wir in unserem unmittelbaren Umfeld einen Beitrag zur Verständigung. Wenn der 15-Jährige, der vor ein paar Wochen in Zürich den Juden attackiert hat, unser Video gesehen oder uns gar getroffen hätte, hätte er vielleicht von seiner Tat abgesehen.

Was hat Sie dazu veranlasst, dieses Video gerade jetzt zu drehen?
Friedman:
Eigentlich wollten wir es schon vor dem 7. Oktober tun. Aber dann kam der Krieg. Hamza hat immer gesagt, dass wir der Welt zeigen müssen, dass es auch anders geht, als immer nur Hass zu transportieren.
Raya: Wir leben beide in der Schweiz, und da sollte es doch möglich sein, ein positives Zeichen zu setzen. Selbst wenn die Witze manchmal flach sind, bin ich davon überzeugt, dass es extrem wichtig ist, mit Stereotypen zu jonglieren, gerade auch, um sie aufzulösen.

Herr Friedman, Sie sind in einer ultraorthodoxen Familie aufgewachsen. Der jüdische Humor hat eine lange Tradition.
Auch hier wird mit Stereotypen liebevoll umgegangen. Vor allem in den USA gibt es sehr viele jüdische Comedians.

Haben Sie Vorbilder?
Raya:
Natürlich Sam! (lacht) Ich habe keine Vorbilder. Das ist jetzt auch ein Klischee, aber die jüdische Community hat einen extrem starken Sinn für Humor. Ich brauche mich nicht weiter zu erklären, um zu sagen, dass das historisch bedingt ist, weil man keine andere Wahl hat, als auf diese Weise den erlebten Schmerz zu ertragen.

Und wieso haben Sie das Video erst Ende Januar veröffentlicht?
Friedman:
Raya war einer der Ersten, die sich nach dem 7. Oktober bei mir gemeldet haben. Ich habe am 7. Oktober sehr viele Freunde verloren, und zwar nicht in Israel, sondern in der Schweiz. Das musste ich erst einmal verdauen. Aber wir haben uns schon früher stundenlang über Israel unterhalten.
Raya: Auch darüber, was in Israel seit 1948 alles schiefgelaufen ist. Und ja, wir haben verschiedene Ansichten, aber wir können normal darüber sprechen, ohne uns die Köpfe einzuhauen.
Friedman: Stimmt, ich sehe einiges anders als du. Und das ist legitim. Aber ich fand es damals sehr stark von dir, als du vor ein paar Jahren auf mich zugekommen bist, als in Israel die Gewalt wieder zunahm.
Raya: Ich wollte die andere Sichtweise hören.

Wie haben Sie beide einander kennengelernt?
Raya:
Das muss etwa zehn Jahre her sein. Da wurden jüdische Fußballspieler in Zürich angegriffen. Ich habe damals öffentlich Stellung bezogen und diesen Akt verurteilt. So kamen wir in Kontakt.

Nehmen Sie auch Stellung zum Krieg in Gaza und Israel?
Raya:
Auch das ist eine Frage des Kontextes. Aber derzeit sind die Gemüter dermaßen erhitzt, dass ich mich auf das konzentriere, was ich am besten kann: aufs Comedymachen.
Friedman: Make hummus not war.

Ein Witz zum Schluss auf Schweizerdeutsch?
Friedman:
En Jud und en Araber gönd zäme in Usgang. Da frögt de Kolleg. »Hey, händ ihr scho öppis vor hüt?« Da gäbet die zwei zur Antwort: »Mir händ im Fall kei Vorhüt.«

Mit den beiden Freunden sprach Nicole Dreyfus. Sam Friedman und Hamza Raya haben im Januar das Video »Jude vs. Araber« auf Social Media veröffentlicht, das bereits Zehntausende Klicks gesammelt hat.

Nach Rechtsruck

Auschwitz Komitee zur Österreich-Wahl: »Neues alarmierendes Kapitel«

Erstmals hat die rechte FPÖ in Österreich eine Nationalratswahl für sich entschieden. Das Internationale Auschwitz Komitee zeigt sich besorgt

 01.10.2024

Mexiko

Claudia Sheinbaum tritt Präsidentinnenamt an

Sie ist die erste Frau und die erste jüdische Person an der Spitze

 01.10.2024

Los Angeles

»Wenn die Wellen gut sind«

Omer Levy hat nach dem 7. Oktober den Shabbat Surf Club gegründet. Ein Gespräch über das Weitermachen, die Hohen Feiertage und Westsamoa

von Katrin Richter  01.10.2024

Analyse

In Österreich schlägt die Stunde des Bundespräsidenten

Der Alpenrepublik stehen turbulente Zeiten bevor

von Stefan Schocher  30.09.2024

Nationalratswahl

Rechtsruck in Österreich

Die rechtspopulistische FPÖ mit Parteichef Herbert Kickl ist erstmals stärkste politische Kraft – eine Zäsur für das Land

von Matthias Röder  29.09.2024

USA

Borscht-Belt-Renaissance

Tausende jüdische Familien genossen einst am Rande der Catskills nördlich von New York ihre Sommer. Nach Jahrzehnten des Verfalls wird die Region nun wiederentdeckt. Unser Autor hat sich dort umgeschaut

von Sebastian Moll  29.09.2024

Frankreich

Sinn in der Sinnlosigkeit

Laura Blajman Kadar hat das Nova-Festival-Massaker überlebt. Seit einem Jahr reist die Franko-Israelin durch Europa

von Laura Blajman Kadar  29.09.2024

Österreich

»Herbert Kickl hätte uns deportiert«

Die FPÖ könnte bei der Nationalratswahl am Sonntag stärkste Partei werden. Was würde das für jüdisches Leben bedeuten?

von Stefan Schocher  28.09.2024

Porträt

Erste jüdische Präsidentin in Mexiko: Iztapalapa als Vorbild

Am 1. Oktober wird Claudia Sheinbaum als Mexikos neue Präsidentin vereidigt. Ihr Vorgänger López Obrador hinterlässt ein von Gewalt gezeichnetes Land. Doch es gibt auch Projekte, die hoffen lassen - etwa im Bezirk Iztapalapa in Mexiko-Stadt

von Wolf-Dieter Vogel  27.09.2024