Bayonne, Frankreich
Frankreichs wahres Schokoherz schlägt nicht etwa in Paris, es liegt süß und kakaoig im äußersten Südwesten des Landes, im baskischen Städtchen Bayonne. Der Ort ist neben dem Bayonett nämlich auch für friedlichere Dinge bekannt und hat ihnen ein ganzes Museum gewidmet, das Musée du Chocolat. Es waren portugiesische Juden, die die Kakaobohne nach Bayonne brachten, als sie vor mehr als 400 Jahren vor der spanischen Inquisition fliehen mussten. Bayonne wurde zum Handelszentrum, und alles das zeigt das Musée in einer kleinen Ausstellung.

Wer nach einer ganzen Runde an Informationen dann auch schmecken will, was aus einer Kakobohne alles hergestellt werden kann, der freut sich auf die Verkostungsrunde. Und wer nach so viel Kalorien an die frische Luft möchte, der kann nach Espelette fahren, was für seine Chilis bekannt ist, denn Schokolade mit Chili geht auch. So ausgestattet geht es dann nach Biarritz, um den Surfern zuzusehen, oder man bleibt noch ein bisschen in Bayonne und geht in die kleine Synagoge. Comme on veut. Katrin Richter
Berlin-Spandau, Deutschland
Der Radweg entlang der Havel ist einer der schönsten in Deutschland. Und hält einige Überraschungen in Berlin bereit. Ein Höhepunkt ist für mich jedes Mal, einen Stopp an der einstigen Gartenlaube von Albert Einstein einzulegen. »Mein Spandauer Schlösschen« hat der Physiker es genannt. Ja, er war Laubenpieper. Und die ist immer noch rot angestrichen. Die nachfolgenden Pächter bemühten sich, nichts Wesentliches auf dem kleinen Grundstück zu verändern. 1921 pachteten Einstein und seine zweite Frau Elsa die Parzelle in der Spandauer Kleingartensiedlung Boxfelde (heute Bocksfelde), Burgunderweg 3. Die Siedlung liegt an der »Scharfen Lanke«, einer malerischen Bucht der Havel, wo man auch heute noch gemütlich aufs Wasser schauen kann. Hier konnte Einstein auch seiner großen Leidenschaft, dem Segeln, nachgehen. Häufig segelte er über die Havel und schipperte auch zu seinem Freund, dem Arzt Janos Plesch (1878–1957), nach Gatow zu dessen Villa Lemm. Ihre Hausmusik – Einstein an der Geige, Plesch am Klavier – waren weit über die Havel zu hören, so wird es in der Familie der Schoa-Zeitzeugin Petra Michalski erzählt, deren Familie mit Plesch verwandt war.

Josephine, ihre Tante, war zu Besuch in der Villa und saß als junges Mädchen mit Albert Einstein und Max Liebermann am Tisch. Es gab Spargel und Kartoffeln, die man damals nicht schneiden durfte, sondern aufpieksen musste, dabei rutschte ihr ein Stück von der Gabel und landete auf der Krawatte von Liebermann. Einstein bekam solch einen Lachanfall, dass er sich verschluckte und ihm der Arzt helfen musste. Die Gartenarbeit bereitete ihm weniger große Freude, sodass dieser verwilderte. Als ihm mit Kündigung gedroht wurde, legte er Widerspruch ein. Christine Schmitt
Chișinău, Moldawien
Moldawien ist für Touristen, die Touristen hassen. Es ist das am wenigsten besuchte Land Europas, dabei hat die zwischen Rumänien und der Ukraine gelegene Region einiges zu bieten. Neben Georgien gehört sie zu den ältesten Weinanbaugebieten der Menschheit. Nahe der Hauptstadt Chișinău liegt das Weingut Milestii Mici, wo sich mit einer Länge von etwa 200 Kilometern der größte Weinkeller der Welt befindet, der zur Besichtigung einlädt. Im Weingut Carlevana bei Merenii Noi, 25 Kilometer südöstlich von Chișinău, gibt es auch koscheren Wein. Chișinău war einst ein bedeutsames jüdisches Zentrum, fast die Hälfte der Einwohner waren Juden. Noch heute zählt die Gemeinde rund 10.000 Menschen, es gibt mehrere Synagogen.

Manches dagegen hat den Charme von »Lost Places«, wie etwa die Tzirelson-Synagoge, von der nur noch die Grundmauern stehen. Die Stadt beherbergt zudem die unmittelbar nach der Unabhängigkeit Moldawiens gegründete Itzik-Manger-Bibliothek, die, benannt nach dem gleichnamigen jiddischen Schriftsteller, sich den nationalen Minderheiten des Landes widmet und zugleich so etwas wie das inoffizielle jüdische Kulturzentrum ist. Auch wenn der etwas rustikale Charme des Landes sich nicht auf den ersten Blick erschließt, so gibt es jedem seiner Besucher das Gefühl, ein touristischer Pionier zu sein. Ralf Balke
Frýdlant, Tschechien
Südlich von Görlitz, im Norden Böhmens, wo die Ausläufer des Isergebirges sanft zerfließen, erhebt sich Schloss Frýdlant. Der imposante Renaissance-Bau könnte Franz Kafka inspiriert haben zu seinem düster-entrückten Roman Das Schloss. Kein Ort wird im Buch genannt, doch das schwer zugängliche Schloss auf dem Berg über dem Ort erinnert an die vom Autor entworfene Welt. An die beklemmende Distanz zwischen der Macht »da oben« und der Ohnmacht des Einzelnen.

Kafka, der als Obersekretär bei der Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt in Prag arbeitete, war regelmäßig in Nordböhmen unterwegs, um Schadensfälle juristisch zu beurteilen. Dabei könnte er durchaus auch nach Frýdlant gekommen sein, vermuten Forscher. In dem Städtchen hatten sich Anfang des 20. Jahrhunderts Spinnereien, Webereien und Färbereien angesiedelt sowie kleinere Maschinenbaubetriebe – Branchen, in denen sich damals viele Arbeitsunfälle ereigneten. Kafka mag nicht oft in Frýdlant gewesen sein, doch ist der Anblick des Städtchens mit dem Schloss bis heute eindrücklich genug, um beim Betrachter in Erinnerung zu bleiben. Ein Geheimtipp. Tobias Kühn
La Ghriba, Tunesien
Ich war ein renitenter Teenager, es war zu heiß, und meine Mutter bestand wie immer darauf, mit einem öffentlichen Bus zu fahren, damit man etwas von Land und Leuten sieht. Vom Hotel zu La Ghriba, der ältesten erhaltenen Synagoge Nordafrikas, die sich auf der tunesischen Insel Djerba befindet, war es nicht so weit, wie es sich anfühlte. Gelbe Landschaft mit zerzausten Büschen zog vorbei. Wir stiegen aus und waren allein. Das Gebäude war von müdem Neonweiß, wohl vom permanenten Zurückwerfen der Sonnenstrahlen.

Dann bat uns ein plötzlich auftauchender kleiner Mann mit großem Lächeln einzutreten. Endlich war es kühler und dunkler, und ich staunte über ein blau-weißes Wunder: Der ganze Raum war mit Kacheln ausgekleidet, durch Fenster in der Höhe fiel buntes Licht, in dem das dunkle Braun der Bima und der Bänke schimmerte. Der Mann, von dem ich nicht weiß, ob er Kantor oder Schammes war, zeigte uns voller Stolz einen bröseligen Torbogen. La Ghriba sei von einem Hohepriester gegründet worden, der die Zerstörung des Ersten Tempels überlebt hatte und einen Stein herbrachte. Und der wurde hier verbaut. Mir gefällt die Geschichte besser, in der der Hohepriester ein Mädchen war, aber die habe ich erst später gelesen. So wie die Tatsache, dass Tausende Menschen alljährlich zu Lag BaOmer hierher pilgern und dass das Nebeneinander von Muslimen und Juden in Tunesien lange Zeit stolze Tradition war. Jedenfalls bis zum Irakkrieg und mehreren Anschlägen. Doch während ich unwissend im bunten Licht stand, war ich einfach nur froh, dass meine Mutter mich hergeschleppt hatte. Sophie Albers Ben Chamo
Siena, Italien
Ich war in Siena, um meinen Sohn zu besuchen, der in dieser schönen Stadt auf dem Hügel im Herzen der Toskana studierte. Auf dem Weg zum Treffpunkt durch die Gassen, die irgendwie immer an der wunderschönen Piazza del Campo enden, weckte ein schlichtes Gebäude mit einer sehr großen Doppelflügeltür meine Neugier. Ich stand vor der alten Synagoge. Und wie bestellt, konnte ich mich einer kleinen Gruppe zur Besichtigung anschließen. Eine angenehme Kühle empfing uns und eine elegante Mischung aus Neoklassizismus und Barock.

Die Bima ist von neun Kandelabern gesäumt, das Sichtgitter der Frauenempore mit wunderschönen Blumenornamenten verziert. Die obere Etage wird als Museum genutzt und beherbergt wertvolle Torarollen und rituelle Gewänder. Ein Prunkstück der alten Synagoge, die seit 1786 an dem Ort der noch älteren entstand, ist der Stuhl für den Propheten Elija aus dem Jahr 1860. Und dann ist die Tour auch schon vorbei. Ich halte kurz inne, bevor ich wieder in die Sonne hinaustrete. Dann folge ich der nächsten Gasse – die natürlich an der Piazza del Campo endet, und schließe meinen Sohn in die Arme. Petra Henkel
Venedig, Italien
Ein Selfie in Venedigs Spanischer Synagoge geht immer! Die Sinagoga Scuola Spagnola wurde als geheime Synagoge im 16. Jahrhundert vollendet. Geheim bedeutet hier, dass die Fassade sehr schlicht und das Innere prachtvoll ist. Sie ist auch die einzige Synagoge in der Stadt, in der bis heute am Schabbat und an den Feiertagen orthodoxe Gottesdienste stattfinden. Wenn man sie besucht hat, sollte man es auf keinen Fall versäumen, den geheimen Garten der geheimen Synagoge zu besuchen. Im Giardino Segreto della Sinagoga Spagnola findet man viele biblische Pflanzen, die früher auch im Ritus Verwendung fanden. Neben einer Sukka plätschert ein Brunnen, der den Jordan symbolisieren soll.

Es ist ein herrlicher Ort, um zu entspannen, bevor man die anderen vier Synagogen Venedigs besucht. Und es gibt noch eine kleine geheime Geschichte: Die Zedaka-Box am Eingang der Synagoge stammt aus dem Mittelalter. Es ist auch eigentlich keine Box, sondern eher eine wunderschöne Steinplatte, die an die Bocca della Verità, den Mund der Wahrheit, in Rom erinnert. Der Sage nach musste man bei einer Befragung die Hand dort hineinstecken, und wenn man log, verlor man sie. Verliert man in der Spanischen Synagoge vielleicht sein Ansehen, wenn man nicht genug Zedaka gibt? Marco Limberg
Zypern
Wer sich nach Israel sehnt, aber gecancelte Flüge und Sirenen scheut, dem sei Zypern ans Herz gelegt. In Limmasol gehen die Strandpartys fast so lang wie die in Tel Aviv, im Hinterland kann man durch Olivenhaine streifen wie im Galil, und wer zum Schabbat die volle Synagoge in Larnaka betritt, fühlt sich fast wie in Jerusalem. Das mediterrane Klima lässt in beiden Ländern Feigen- und Granatapfelbäume, Anemonen und Oleander sprießen, in den Tavernen schmecken fein geschnittene Gurken und Tomaten, Bourekas und gefüllte Weinblätter gleich frisch.

Wer sich weiterbilden möchte, kann in Nikosia Zyperns bewegter Geschichte nachspüren, die vertraut wirkt: osmanische und britische Herrschaft, Konflikte, eine geteilte Hauptstadt … Israelis haben die Insel längst für sich entdeckt: Nur 40 Flugminuten von Tel Aviv gibt es hier günstigere Grundstücke, die Möglichkeit, frei von religiösen Vorschriften zu heiraten, und vor allem: eine Pause vom Kriegsalltag. Gerade in den letzten Jahren zog es deshalb Zehntausende hierher. Unter der glühenden Sonne und umgeben von Hebräisch muss man sich in manchen Momenten kurz besinnen, wo man gerade ist. Oder man lässt die Illusion für einen Augenblick zu. Mascha Malburg
Paris
Städtebesuch im Sommer? Natürlich! Und erst recht in Paris! Je heißer desto besser! Wem es dann doch zu heiß wird, der geht an den Strand. Jedes Jahr lockt am Seine-Ufer die »Paris Plage« mit feinem Sand, Sonnenschirmen und Liegestühlen. Aufgetankt mit ausreichend Vitamin D geht es in die Métro bis Saint Paul und schnurstrakts an die Rue des Rosiers zur Bäckerei »Finkelsztajn«, um sich mit Bagels oder Käsekuchen einzudecken. Gestärkt folgt die Erkundung des Marais. Das jüdische Viertel mit dem Spitznamen »Pletzl« (auf Jiddisch »kleiner Platz «) erzählt die Geschichte der Juden, die zwischen 1880 und 1940 aus Osteuropa nach Paris kamen. In der Schoa verlor es seine Bevölkerung. Erst in den 60er-Jahren und mit der Ankunft vieler sefardischer Juden in Frankreich erwachte dieses Viertel wieder zum Leben.

An den Wochenenden teilweise fast überfüllt, ist der Besuch der vielen schönen Läden, koscheren Boulangerien oder der »Librairie du Temple« unverzichtbar. Die Buchhandlung bietet alles, von kabbalistischen Texten über Klassiker jüdischer Denker bis hin zu modernen jüdischen Autorinnen und Autoren. Weiter geht es ins 2. Arrondissement nordwestlich vom Marais, wo sich das Viertel »Le Sentier« befindet, das bis heute für seine Textilgeschäfte berühmt ist. Im 19. Jahrhundert lebten hier viele Juden aus Nordafrika. Mehr jüdische Geschichte, auch zur Dreyfus-Affäre, die einst ganz Frankreich polarisierte, findet sich im »Le Musée d’art et d’histoire du Judaïsme«. Die Kunstliebhaberin geht ins »Musée Nissim de Camondo« an der Rue de Monceau. Nachdem der Durst nach Wissen und Schönem gestillt ist, kündigt sich nun der Hunger an. Wie wäre es zum Abschluss mit indischen Köstlichkeiten, vor allem wenn sie koscher sind? Bon appétit im »Safrane« unweit des Arc de Triomphe. Nicole Dreyfus