Japan

Jüdisch in Fernost

»Mazal tov«-Rufe erklingen oft an diesem Freitagabend. Ein junges israelisch-amerikanisches Paar verbringt seine Flitterwochen im Fernen Osten; ein Barmizwa-Junge bereist Japan gemeinsam mit seinen Eltern; ein junger Amerikaner hat gerade einen Forschungsaufenthalt in der Antarktis hinter sich gebracht und trifft seinen Vater in Tokio: Im Gemeindesaal des Jewish Center Chabad Japan hat sich eine äußerst bunte, internationale jüdische Gemeinde versammelt, um als zweite weltweit – nach Australien – den Schabbateingang zu begehen.

Wobei das Wort »Gemeinde« vielleicht nicht ganz zutrifft, sind doch die allermeisten Frauen und Männer, die an diesem Frühlingsabend in den Tokioter Takanawa-Bezirk gekommen sind, entweder als Touristen oder geschäftlich, also nur für kurze Zeit, in Japan. Die meisten Jüdinnen und Juden bleiben nur drei bis fünf Jahre, sagte Rabbiner Mendi Sudakevich in einem Interview mit der »Times of Israel«. Japans jüdische Gemeinschaft ist stets im Fluss. Umso überraschter reagiert der Rabbiner, als ein junger Teilnehmer mit großer sichtbarer Davidstern-Halskette berichtet, er lebe schon seit einem Jahr in Tokio.

»Und Sie sind zum ersten Mal hier?«, fragt Rabbiner Sudakevich ungläubig. Eine Pariserin, die zusammen mit ihrem Sohn, einem Modedesigner, Japan bereist, erzählt, sie habe den Mann mit der Davidstern-Halskette einfach im Hotel angesprochen und dann mitgebracht. Lediglich ein älterer Israeli, der stolz betont, einer in der Öffentlichkeit überaus bekannten IDF-Dynastie anzugehören, gibt sich als dauerhafter Bewohner Tokios zu erkennen.

Kein einfaches Pflaster für jüdisches Gemeindeleben

Japan ist kein einfaches Pflaster für jüdisches Gemeindeleben. Juden kamen erst Mitte des 19. Jahrhunderts in das zuvor mehr als 200 Jahre lang vom Rest der Welt abgeschottete ostasiatische Inselreich. Es waren Kaufleute, die sich in Hafenstädten wie Yokohama, Nagasaki und Kobe niederließen. Die einzige seit Längerem bestehende jüdische Gemeinde ist die vor dem Ersten Weltkrieg gegründete »Jewish Community of Kansai« im südwestlich von Tokio gelegenen Kobe.

Während der Schoa konnte diese Gemeinde jüdische Flüchtlinge aus Europa aufnehmen, die Visa vom japanischen Generalkonsul im litauischen Kovno (Kaunas), Chiune Sugihara, erhalten hatten. 1940 stellte er unter dem Eindruck der akuten Lebensgefahr für die jüdische Bevölkerung rund 3500 Durchreisevisa aus. Er soll bis zur Schließung des Konsulats am 4. September 1940 bis zu 20 Stunden am Tag Visa ausgestellt haben, um so viele Menschen wie möglich zu retten. Yad Vashem erkannte Sugihara 1984 als »Gerechter unter den Völkern« an.

Die einzige seit Längerem bestehende jüdische Gemeinde ist die von Kobe.

Heute wird die Gemeinde in Kobe von Rabbiner Shmuel Vishedsky betreut. Eine weitere Chabad-Gemeinde besteht in der alten Kaiserstadt Kyoto. Wie groß die Gemeinschaft in Japan ist, lässt sich schwer beziffern. Das Außenministerium gibt die Zahl der dauerhaft ansässigen israelischen Staatsbürger auf seiner Website mit 720 an. Im eingangs erwähnten Interview vom März 2023 schätzte Rabbiner Suda­kevich die jüdische Bevölkerung Japans auf 1500 Menschen.

Ein Minjan aus zehn Betern ist daher nicht selbstverständlich: Jahrelang sei der in seiner Gemeinde nicht zustande gekommen, so Rabbiner Mendi Sudakevich. Erstaunlicherweise versammelt sich in der beengten Tokioter Betstube an diesem Freitagabend jedoch nicht nur ein Minjan – irgendwann ist kein einziger Stuhl mehr frei.

Aus den verschiedenen Ecken der Welt

Die Betenden gehören diversen Altersgruppen an und kommen aus den verschiedenen Ecken der Welt. Unter ihnen ist auch ein junger Japaner, der sich dem Judentum besonders verbunden fühlt. Nicht alle sind mit dem Siddur und der Liturgie zum Schabbateingang vertraut. Während einige Männer mühelos als Vorbeter einspringen, scheinen andere die jüdische Tradition in der Ferne Ostasiens würdigen zu wollen, ohne religiös allzu »musikalisch« zu sein.

Noch vor Beginn des Kabbalat Schabbat erzählt ein aus London angereister Sitznachbar namens Steve von seiner Mutter, einer geborenen Susman aus Frankfurt. Vor der Schoa sei sie dort als Mitglied der neo-orthodoxen Israelitischen Religionsgesellschaft (IRG) aufgewachsen, bis ihr die rettende Flucht nach Großbritannien gelungen sei.

Steve zeigt Fotos von seinem Frankfurt-Besuch im Jahr 2023 – unter anderem nahm er an einer Führung in der Westend-Synagoge teil und besichtigte eine Ausstellung im Hochbunker an der Friedberger Anlage, die an die 1938 am selben Ort zerstörte große IRG-Synagoge und das jüdische Leben im Frankfurter Ostend erinnert. Zum Kiddusch können Steve und seine Frau nicht bleiben – dafür begegnet man dort unvermittelt einem jungen Frankfurter und begreift, wie klein die (jüdische) Welt ist.

Launige Gespräche an reichlich gedeckten Tischen

Die mitunter launigen Gespräche an den reichlich gedeckten Tischen drehen sich um Flugzeiten von und nach Australien, Israel und Japan, um koschere Hotelprojekte in Tokio und den beträchtlichen Aufwand, Pessach-Lebensmittel rechtzeitig nach Japan liefern zu lassen. Generell sind fast ausschließlich importierte koschere Lebensmittel vor Ort erhältlich – zu überhöhten Preisen, wie Chabad Tokio auf seiner Website warnt. Laut Rabbiner Mendi Sudakevich schächtet Chabad vor allem importierte Hühner und, in geringerem Umfang, auch Rinder. Ansonsten wird Japan-Reisenden empfohlen, die notwendigsten koscheren Produkte von zu Hause mitzubringen.

Derweil hält Rabbiner Sudakevich die Gemeinde mit zwischenzeitlichen Ansprachen bei Laune, während Rebbetzin Chana und ihr Team für das leibliche Wohl sorgen. An den Tischen ist überwiegend Hebräisch zu hören. Etliche israelische Paare und auch ganze Familien haben sich an diesem Freitagabend versammelt. Da ist etwa ein Mann aus Rechovot, der die Ostasien-Niederlassungen seines Arbeitgebers, eines US-Technologiekonzerns, bereist.

Israel und Japan pflegen seit bald sieben Jahrzehnten wirtschaftliche Beziehungen. 1956, vier Jahre nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen, wurde die israelisch-japanische Freundschaftsvereinigung IJFS gegründet, aus der später auch die Handelskammer IJCC hervorging. Als er 1997 erstmals nach Tokio kam, hätten viele Israelis in Japan gearbeitet, berichtet Rabbiner Sudakevich im Interview mit der »Times of Israel«.

Japan-Reisenden wird empfohlen, die koscheren Produkte von zu Hause mitzubringen.

Ein beständiger japanisch-israelischer Austausch besteht auch in Kultur, Wissenschaft und Technologie – sowie auf politischer Ebene. Am 18. März fanden in Tel Aviv die nunmehr vierten gemeinsamen Konsultationen für Auswärtige Angelegenheiten und Sicherheit – der sogenannte Pol-Mil Dialogue – statt.

Die am 7. Oktober 2023 von der Hamas und weiteren Terrororganisationen verübten Massaker im Süden Israels hat das japanische Außenministerium »konsequent und unmissverständlich« verurteilt und mehrfach die Freilassung aller im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln gefordert. Zugleich zeigt sich Japan besorgt über die vielen zivilen Opfer der israelischen Militäroperation in Gaza und betont die Notwendigkeit, die humanitäre Lage im palästinensischen Küstenstreifen zu verbessern.

Während Japans Regierung um Ausgewogenheit bemüht ist, zeigt sich die Öffentlichkeit eher anti-israelisch gestimmt: Im Nachgang des 7. Oktober fanden zahlreiche Kundgebungen statt, deren Teilnehmer den »Genozid« in Gaza anprangerten und die »Befreiung« des Küstenstreifens forderten. »Die Mehrheit der japanischen Öffentlichkeit ist seit dem Sechstagekrieg 1967 propalästinensisch und anti-israelisch eingestellt«, kommentiert es der israelische Historiker und Japanologe Rotem Kowner gegenüber dem israelischen Newsportal »Ynet«.

Stereotype Vorstellungen

Ebendort wurde gerade über einen israelischen Touristen berichtet, der beim Einchecken in einem Hotel in Kyoto gezwungen wurde, eine Erklärung zu unterschreiben, dass er während seines Militärdienstes keine Kriegsverbrechen begangen habe. Kowner beobachtet gleichzeitig eine gängige Bewunderung für Juden, die sich aus stereotypen Vorstellungen von hoher Intelligenz und ökonomischem Einfluss speise.

In Judenhass umschlagender Philosemitismus ist an diesem Freitagabend bei Chabad Tokio allerdings genauso eine Randnotiz wie die japanisch-israelischen Beziehungen. Jüngste politische Verwicklungen bleiben indes nicht unerwähnt: Als sich ein junger Mann aus Toronto vorstellt, fragt ihn Rabbiner Mendi Sudakevich, was er als Kanadier denn von den USA halte. Der junge Mann beteuert, dass er Amerika liebe, woraufhin ein Gast aus San Francisco einwirft: »Bist du also dafür, den Vereinigten Staaten beizutreten?« Das gelöste Lachen im Gemeindesaal zeigt, dass die jüdische Gemeinschaft auch in Zeiten eskalierender Konflikte zusammenhalten kann.

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