Italien

In Florenz zu Hause

Eine mittelalterliche Märchenkulisse, Wiege der Renaissance, Mekka für Kunst- und Kulturinteressierte: Florenz ist beliebt bei Touristen aus aller Welt. Viele geraten ins Schwärmen, wenn sie an ihren letzten Aufenthalt in der toskanischen Hauptstadt zurückdenken: an die Fülle der prächtigen historischen Fassaden, an den Dom mit seiner berühmten Kuppel von Brunelleschi und den Glockenturm von Giotto, an die Uffizien, die einige der bedeutendsten Werke der gesamten westeuropäischen Kunstgeschichte beherbergen.

Und mittendrin, schon von Weitem gut sichtbar, die Große Synagoge, die mit ihrer imposanten Kuppel das Stadtbild mit prägt. Vor dem schmiedeeisernen Zaun versammeln sich bereits am Morgen Trauben von Touristen, um kurz einen Blick ins Innere zu erhaschen.

meisterwerk Die »Tempio Maggiore« wird von zahlreichen Historikern und Architekten als Meisterwerk bezeichnet. Eröffnet wurde sie 1881. Ihr maurisches Motiv basiert auf dem der Hagia Sophia in Istanbul. Bis heute finden hier Gottesdienste der örtlichen Gemeinde nach sefardischem Ritus statt.

So manches jüdische Paar aus Nordamerika kommt in die Stadt, um dort zu heiraten.

Für viele Juden ist Florenz »vor allem ein sicherer Ort«, sagt Filippo Tedeschi von der jüdischen Gemeinde. »Wir können hier unserer Kultur, unseren Traditionen, unserer Lebensweise und unserer Religion nachgehen.« Mit rund 800 aktiven Mitgliedern sei die jüdische Gemeinde der Stadt nicht besonders groß, aber eben auch nicht gerade klein.

magazin Rechtlich betrachtet, zählt auch die jüdische Sektion in Siena zur Florentiner Gemeinde. Die Juden, die in der Umgebung von Siena leben, treffen sich einmal im Monat am Schabbat sowie an den Feiertagen zum Gebet. Hin und wieder werden auch Veranstaltungen für die Bürger organisiert, wie das öffentliche Zünden der Lichter an Chanukka.

Beide Standorte, Florenz und Siena, stehen im ständigen Austausch miteinander. Das gilt auch für eine weitere jüdische Gemeinde in der Toskana: Livorno. »Wir arbeiten zum Beispiel bei der Herausgabe der Zeitschrift ›Toscana Ebraica‹ zusammen, die alle zwei Monate erscheint. In diesem Magazin werden Artikel über die jüdische Kultur sowie über die Lehren unserer Rabbiner veröffentlicht«, erklärt Tedeschi.

Die jüdische Gemeinde von Florenz entwickelt sich unterdessen stetig weiter. Dazu gehöre auch, dass in den vergangenen Jahren zunehmend Hochbetagte in die toskanische Hauptstadt gezogen sind, um dort ihren Ruhestand zu verbringen. »Das Klima ist gut, es ist ein angenehmes Leben hier, es ist sicher – und die Architektur und Umgebung sind einfach wunderschön«, schwärmt Filippo Tedeschi. Viele der Zugezogenen kommen aus den Vereinigten Staaten und Kanada.

Doch auch jüngere Juden aus aller Welt reisen nach Florenz, um beispielsweise ihre Barmizwa oder Hochzeit in dieser schönen Umgebung zu feiern. »Zehn bis 15 große jüdische Hochzeiten feiern wir hier pro Jahr.« Die Synagoge und die jüdische Gemeinde böten den perfekten Rahmen dafür. Hinzu kämen Familientreffen. Und nicht wenige bleiben auch, um in Florenz zu studieren.

ASSIMILATION Die Geschichte der Juden in Florenz kann über mehr als 700 Jahre zurückverfolgt werden. Einst galt die Stadt mit ihrer stolzen sefardischen Tradition als einflussreiche Gemeinde. Doch auch heute noch ist die jüdische Gemeinde in Florenz eine der größten innerhalb Italiens.

Seit einigen Jahren ist die Zahl der Mitglieder allerdings rückläufig, wofür vor allem zwei Entwicklungen verantwortlich sind: Zum einen kämpfe man mit dem Problem der Assimilation, zum anderen sei die Gemeinde inzwischen ein wenig überaltert. »Die Identität der Gemeinde verändert sich schnell«, so Tedeschi. Das sei manchmal eine Herausforderung.

»Die jüdische Gemeinde von Florenz ist eine Gemeinschaft mit einer alten Geschichte, die sich ständig demografisch verändert. Heute, durch die Internationalisierung der Stadt und durch die Ankunft neuer Familien aus aller Welt, besteht die Herausforderung für uns darin, ein Zuhause für alle Juden zu bieten«, so Präsident Enrico Fink. Im Vordergrund stehen für ihn die Liebe zum jüdischen Glauben und die Achtung und der Respekt gegenüber den jüdischen Gesetzen und Traditionen. Sie seien eine solide Grundlage des Zusammenwachsens.

unterstützung Dass die Gemeinde nach wie vor als sefardisch gilt, aber kaum noch sefardische Mitglieder habe, ist hingegen kaum ein Thema. Die Internationalität gilt vielmehr als neues Selbstverständnis der Gemeinde. Neuerdings kommen auch einige Familien aus der Ukraine hinzu. Doch nicht nur die Unterstützung vor Ort zählt. Anastasia Vendrov, selbst gebürtige Ukrainerin, hat in Eigeninitiative von Florenz aus Hilfsaktionen für Juden wie auch für Nichtjuden in der Ukraine organisiert. Dazu hat sie sämtliche, ihr zur Verfügung stehenden Netzwerke genutzt: ihr jüdisches Frauennetzwerk, Freunde, Nachbarn und Kollegen.

Viele Tonnen Lebensmittel und Kleidung sind auf diese Weise zusammengekommen. Vendrov hat sie in ihrem Wohnzimmer sortiert, beschriftet, Listen über die Verteilung angelegt und am Ende alles verpackt. Anschließend wurden die Hilfsgüter mit einem Transporter nach Charkiw gebracht und an bedürftige Familien verteilt.

»Dabei habe ich nicht nach der Religion gefragt«, sagt Vendrov. Es sei ihr und ihrem Mann einfach ein Anliegen gewesen, den Betroffenen in dieser schweren Zeit zu helfen. »Besonders den alten oder behinderten Menschen in der Ukraine«, sagt sie und zeigt ein Foto von großen Hilfspaketen kurz vor ihrer Verteilung.

studenten Die jüdische Gemeinde in Florenz kann auch mit Angeboten an jüngere Mitglieder punkten. Die Adressaten sind zwischen 18 und 35 Jahre alt. Das Centro Giovanile Ebraico Fiorentino (Zentrum für junge Florentinische Juden) bietet eine Plattform für internationale Studenten. Etliche von ihnen kommen aus Israel und Amerika und finden dort eine Anlaufstelle für jüdisches Leben. Die Räumlichkeiten werden unterdessen von der jüdischen Gemeinde gestellt, deren vierstöckiges Zentrum in den 60er-Jahren gleich neben der großen Synagoge errichtet wurde. Populär unter den jüngeren Mitgliedern sind vor allem Karaoke-Nächte, die im Garten der Gemeinde veranstaltet werden.

Doch wie sieht das jüdische Leben praktisch im Alltag aus? Wer die Via Luigi Carlo Farini entlangspaziert, in der sich das Gemeindezentrum und die große Synagoge befinden, wird neben Schlangen von Touristen vermutlich schon bald jüdischen Familien mit Kindern begegnen. Deren Leben spielt sich zwischen Kindergarten und Synagoge ab.

Die Internationalität gilt als neues Selbstverständnis der Gemeinde.

»Wir haben einen Kindergarten mit rund 25 Kindern, eine Talmud-Schule mit Schülern von sechs bis zwölf Jahren, außerdem gibt es unsere Donnerstags-Aktivitäten, koschere Restaurants. Und wenn wir auch keine eigene koschere Bäckerei haben, so doch immerhin einen Bäcker, der koscheres Brot anbietet«, sagt Filippo Tedeschi. Im Carrefour-Supermarkt um die Ecke findet sich außerdem eine Abteilung für jüdische Lebensmittel. Bei »Ruth›s«, einem koscheren Restaurant in der Via Luigi Carlo Farini, gibt es vegetarische Gerichte, gleich nebenan im eher puristischen Restaurant »Ba Ghetto Firenze« werden mediterrane koschere Gerichte mit orientalischem Flair angeboten.

festival Etliche Veranstaltungen der Gemeinde erfreuen sich nicht nur bei den Mitgliedern großer Beliebtheit: Das Musikfestival Balagan zum Beispiel, in dessen Rahmen von Ende Juni bis Anfang September jede Woche Konzerte stattfinden. Auch dafür wird der Garten der jüdischen Gemeinde geöffnet. »Zwischen 200 und 400 Besucher kommen pro Konzert«, so Tedeschi. In einer magischen Atmosphäre nach Sonnenuntergang findet die jüdische Musik großen Anklang bei einem breiten Publikum.

Wer das Glück hat, am kommenden Tag die wunderschöne Synagoge zu besuchen, kann auch gleich einen Besuch im Jüdischen Museum mit einplanen, das häufig von Schulklassen besucht wird.

Und wie steht es mit dem politischen Klima, insbesondere unter einer neuen rechtspopulistischen Regierung? »Unsere Beziehung zur Stadtverwaltung ist sehr gut«, sagt Tedeschi knapp. Doch was die neue Regierung betreffe, da halten sich die meisten jüdischen Befragten nach wie vor lieber bedeckt.

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