Frankreich

»Ich liefere nicht an Juden«

Unterwegs zum Kunden: Deliveroo-Bote Foto: imago images/Hans Lucas

Der Satz hat in Frankreich Schockwellen ausgelöst: »Ich liefere nicht an Juden.« Anfang Januar hatte in Straßburg ein Bote des Fahrradlieferdienstes Deliveroo die Auslieferung von Essensboxen zweier jüdischer Restaurants an die Kunden storniert, als er erfuhr, dass es sich um »israelische Küche« handelte.

Einer der beiden Restaurantbetreiber meldete sich umgehend beim »Nationalen Büro zur Wachsamkeit gegenüber Antisemitismus«. Der Verein beauftragte den Rechtsanwalt Raphaël Nisand, wegen »Diskriminierung beim Angebot einer Dienstleistung nach Ethnie, Rasse oder Religion« bei der Polizei Anzeige zu erstatten.

AUFKLÄRUNG Der jüdische Zentralverband CRIF erklärte: »Der Alltagsantisemitismus öffnet die Tore für Hass aller Art, wir dürfen nicht zulassen, dass diese Taten ohne Antwort bleiben.« Auch aus der Regierung kamen klare Forderungen.

Die Innenstaatssekretärin Marlène Schiappa bestellte Deliveroo-Generaldirektorin Melvina Sarfati El Grably ein und forderte eine umfassende Aufklärung des Vorfalls sowie Konsequenzen für den Lieferboten. Die Deliveroo-Chefin versicherte, man werde dem als Subunternehmer selbstständig arbeitenden Fahrer, sobald man ihn ausfindig gemacht habe, keinerlei Aufträge mehr erteilen.

In den sozialen Netzwerken und den Kommentarzeilen einschlägiger Blogs fanden sich unterstützende Stimmen – auch von rechts. So war sich das Wochenblatt »Valeurs actuelles« sofort sicher, dass hinter der antisemitischen Diskriminierung keine rechtsgerichteten Motive zu suchen sind, sondern eine ausgemachte islamistisch-linke Allianz am Werke war.

Der jüdische Zentralverband CRIF erklärte: »Der Alltagsantisemitismus öffnet die Tore für Hass aller Art, wir dürfen nicht zulassen, dass diese Taten ohne Antwort bleiben.«

Die öffentliche Verhandlung vergangene Woche in der Straßburger Strafkammer offenbarte, dass es sich um einen 19-jährigen Mann aus Algerien handelt, der sich seit einem Jahr illegal in Frankreich aufhält und seinen Job unter der Identität eines Bekannten ausübte, dem er dafür 150 Euro im Monat überlassen musste.

ausweisung Er selbst beschrieb sich vor Gericht als Fußballspieler bei einem Vorortverein. Er sehe darin seine Chance auf ein besseres Leben und verdiene derzeit seine Brötchen als Lieferbote. Antisemitismus, sagte er, liege ihm fern, der Auftrag sei einfach nicht lukrativ genug gewesen. Der Richter ließ sich nicht erweichen: vier Monate Haft, danach Ausweisung aus Frankreich.

Das Urteil und dessen Begründung waren unmissverständlich: »Ich gemahne Sie, der Sie nicht in Frankreich aufgewachsen sind, dass man in diesem Lande jeden gleichermaßen respektiert, egal welcher Religion jemand angehört.«

Der Verurteilte soll den beiden Restaurants darüber hinaus eine Entschädigung von 1000 Euro für den entstandenen Schaden zahlen. Außerdem muss er deren Anwaltskosten erstatten und zudem den vier als Nebenkläger aufgetretenen Organisationen jeweils 800 Euro überweisen.

urteil Die klagenden Parteien begrüßten das Urteil weitgehend. Einer der Nebenkläger scheint in dem Urteilsspruch jedoch eine Zweischneidigkeit auszumachen: Er beklagte nach dem Prozess das auf die Ausbeutung der Schwächsten ausgelegte Subunternehmersystem des Lieferdienstes.

Manche haben den Eindruck, dass da ein schnelles Exempel der republikanischen Entschlossenheit an dem 19-jährigen illegalen Arbeitsemigranten statuiert wurde. Die Kläger wissen, dass die Geldstrafen eher symbolischer Natur bleiben werden, der Verurteilte wird sie kaum aufbringen können.

Ob die beiden jüdischen Nebenkläger doch klüger beraten waren? Sie hatten ihre Forderungen an den jungen Mann von vornherein auf einen symbolischen und damit vielleicht wirkungsvolleren Akt beschränkt: Sowohl das Israelitische Konsistorium des Departments Bas-Rhin als auch der CRIF verlangten von ihm einen symbolischen Euro. Und den werden sie wohl tatsächlich erhalten.

Meinung

Die Columbia und der Antisemitismus

Ein neuer Bericht offenbart: An der US-Eliteuniversität sind die Nahoststudien ideologisch einseitig und jüdische Studenten nicht sicher. Es ist ein Befund, der ratlos macht

von Sarah Thalia Pines  22.12.2025

Frankreich

Jüdische Kinder vergiftet, aber Antisemitismus spielt keine Rolle

Ein Kindermädchen, das ihre jüdischen Arbeitgeber vergiftet hatte, wurde nun in Nanterre verurteilt - allerdings spielte ihr Antisemitismus im Urteil keine Rolle. Das sorgt für Protest

 22.12.2025

Australien

Gedenken am Bondi Beach – Forderung nach Aufklärung

Kerzen, Schweigen, Applaus und Buh-Rufe: Am Strand in Sydney trauern Tausende um die Opfer des Anschlags. Was die jüdische Gemeinde und Australiens Politik jetzt fordern

 22.12.2025

Belgien

IS droht mit Anschlägen auf Synagogen und Kirchen

Die Hintergründe

 18.12.2025

Sydney

Jüdische Bäckerei schließt wegen Antisemitismus

Nach Jahren der Anfeindungen und dem schwersten antisemitischen Anschlag auf australischem Boden hat eine beliebte jüdische Bäckerei für immer geschlossen

 18.12.2025

Strassburg

Glühwein und Kippa

In der selbst ernannten »Weihnachtshauptstadt« lebt eine traditionsbewusste jüdische Gemeinde. Wie passt das zusammen? Eine Reise zu koscheren Plätzchen und Pralinen mit »Jahresendgeschmack«

von Mascha Malburg  23.12.2025 Aktualisiert

Meinung

Weitermachen oder die jüdische Resilienz

Verfolgung, Exil und Gewalt konnten es nicht brechen: Die Widerstandsfähigkeit des jüdischen Volkes prägt seine Geschichte bis heute

von Nicole Dreyfus  18.12.2025

Australien

Bericht: Die Heldentat von Ahmed Al-Ahmed sorgt auch in Syrien für Jubel

Die Berichterstattung über den »Helden von Sydney« hat auch dessen Heimatort erreicht und bringt Stolz in eine Trümmerlandschaft

 18.12.2025

Berlin

Ehrung von Holocaust-Überlebenden

Die »International Holocaust Survivors Night« ehrt jedes Jahr Überlebende der Schoah. Die virtuelle Veranstaltung hat sich inzwischen zu einer Feier entwickelt, an der Teilnehmende aus fast 20 Ländern mitwirken

 18.12.2025