Als der Sturm am schlimmsten wurde, hockte sich die ganze Familie ins Badezimmer – der einzige Raum ohne Fenster. Als sie sich wieder hinaustrauten, sahen sie die Katastrophe: Das jüdische Gemeindezentrum, das Yaakov und Mushkee Raskin hier seit 11 Jahren aufgebaut hatten, war zerstört. Türen waren aus den Angeln gerissen, die Solaranlage vom Dach gefegt. »Wir hatten keinen Strom, keinen Empfang, kein Wasser«, erzählt Rabbi Raskin, den die Jüdische Allgemeine erst Tage nach der Katastrophe erreicht.
»Ich habe eine Woche nicht geschlafen«, entschuldigt sich der Rabbiner. Jetzt aber nimmt er sich ein paar Minuten, um von der Katastrophe zu erzählen, die sein Leben aus den Fugen riss.
Der schlimmste Hurrikan der Geschichte der Insel
»Melissa« war der stärkste Wirbelsturm, der jemals auf Jamaika aufgezeichnet wurde. Vergangene Woche trafen die Böen auf die Insel, dann kam der Regen, sintflutartiger Regen. Und schließlich stieg das Meer – eine Sturmflut. »Es war und ist ein Albtraum«, sagt Rabbiner Raskin. »Der Sturm hat einen Großteil der wunderschönen Landschaft zerstört und so viele Menschenleben mitgerissen.« 49 Todesfälle sind für die Region bestätigt, etliche Menschen werden noch vermisst. »Es ist eine Katastrophe. Eine richtige Krise«, sagt Raskin.
Obwohl sein Haus unter Wasser stand und an den Wänden Löcher klafften, raffte das Ehepaar Raskin sich wenige Stunden nach dem Sturm auf und begann zu recherchieren, wie sie Hilfe organisieren könnten. Sie starteten eine Spendenkampagne und charterten ein Privatflugzeug mit Hilfsgütern, das von Miami aus startete.
Sobald die Güter angekommen waren, verteilte Rabbi Raskin Lebensmittel. Innerhalb einer Woche hatte sich eine Versorgungskette aufgebaut: »Von den Spenden, die die Gemeinde online sammelt, kaufen wir Konserven. Außerdem bekommen wir Mahlzeiten von der World Central Kitchen, die verteilen wir dann auch in den entlegenen Ortschaften«, erzählt Raskin.


»Wir tragen Verantwortung für alle Menschen auf dieser Insel«, findet Yaakov Raskin. 2014 zog der Chabad-Rabbiner mit seiner Frau nach Montego Bay und baute hier unter Palmen ein jüdisches Zentrum auf. Das Haus in der Nähe der Strandpromenade bietet Touristen und jüdischen Einwohnern koschere Mahlzeiten, Gottesdienste und sogar eine Mikwe – die erste in Jamaika seit über 400 Jahren jüdischer Geschichte. Familie Raskin lebt in der oberen Etage und lädt zu Schabbatessen ein. Doch nun hat das Haus eine völlig neue Funktion bekommen.
»Wir sind zu einem Hilfszentrum geworden«
Nach dem Hurrikan haben die Raskins ihr Zuhause geöffnet, um Bewohner und gestrandete Touristen aufzunehmen. »Viele Menschen haben ihre Häuser verloren, ihre Geschäfte. Es gibt Orte, die monatelang keinen Strom und kein Wasser haben werden«, erzählt Raskin. Auch in Montego Bay soll der Strom erst in sechs Wochen wieder fließen. »Dank der Großzügigkeit der Spenden konnten wir Generatoren besorgen. Leute kommen vorbei, um ihre Handys aufzuladen«, erzählt Raskin. »Wir sind zu einem Hilfszentrum geworden.«
Auch viele jüdische Touristen sind auf der Insel gestrandet – im Winter ist hier Hochsaison. Erst gestern habe er versucht, eine ältere Dame in die USA zu evakuieren, erzählt Raskin. »Aber bei der US-Botschaft kam ich nicht durch. Jetzt haben wir sie erstmal in einem Hotel in Kingston unterbringen können.«
Seine Gemeinde versorgt auch israelische Ärzte mit koscherem Essen, die zur medizinischen Nothilfe angereist sind, erzählt Rabbi Raskin. »Wir werden sie auch diesen Schabbat bei uns einladen.«
Viele Israelis sind auf die Insel gekommen, um zu helfen
Etliche israelische Freiwillige sind auf die Insel gekommen. Seit dem Wochenende ist auch IsraAid, die größte unabhängige israelische Hilfsorganisation, vor Ort.
Die NGO teilte mit, sie konzentriere sich zunächst auf das Essentielle: die Versorgung mit Wasser und Sanitäranlagen. Zu den Grundlagen gehört aber auch die psychosoziale Unterstützung, besonders für traumatisierte Kinder.
Erst vergangenes Jahr wurde der Südwesten Jamaikas durch einen Hurrikan schwer getroffen und erlebt nun eine Zerstörung in historischem Ausmaß. Schon damals half IsraAid und konnte nun alte Strukturen reaktivieren. Helfer aus der Dominikanischen Republik und Kolumbien wurden hinzugezogen. »Wie bei früheren Einsätzen in der Region werden wir den betroffenen Gemeinschaften so lange zur Seite stehen, wie sie uns brauchen«, versprach IsraAid-Direktor Michal Bar.
Nach der Soforthilfe will die NGO auch in den langfristigen Wiederaufbau investieren. Auch Rabbiner Raskin will bleiben. »Die Menschen kommen zu uns. Wir dürfen sie nicht im Stich lassen.«