Redezeit

»Ich fühle mich geehrt«

Frau Heydemann, Sie wurden von der Website Jewrotica zu einer der »Ten Sexiest Rabbis« gewählt. Was bedeutet das für Sie?
Immer, wenn man gemeinsam mit anderen klugen und begeisterten Rabbinern in einer Liste genannt wird, ist es natürlich eine große Ehre. Ich denke, dass es eine Art Spaß-Wettbewerb ist, aber nicht ausschließlich, denn man sieht, dass der Begriff »sexy« in einem anderen, größeren Rahmen definiert wird als das, was man auf einem Magazin-Cover sieht. Die Website legt »sexy« als klug oder mit besonderer Ausstrahlungskraft versehen aus. In meinem Fall bedeutet es, Talmud oder Tora zu lehren. Sexy bedeutet auch, Menschen zu inspirieren, etwas zu wagen. Dafür ausgezeichnet zu werden, ist großartig. Auch die anderen Kandidaten auf der Liste sind beeindruckende Menschen, und ich fühle mich geehrt, mit ihnen gewählt worden zu sein.

Wie ernst zu nehmen sind denn solche Listen?
Amerikas Besessenheit in Bezug auf irgendwelche Ranglisten ist wirklich dumm. Es gibt die Newsweek-»Top 50 most influential Rabbis«-Liste, die des »Forward« und so weiter. Nach der Liste von Newsweek veröffentlichte die Website »My Jewish Learning.com« ihre »Top 20 Real American Rabbis«-Aufstellung. Fast jede Stadt hat ihre »36 unter 36«- oder »40 unter 40«-Bestenliste von interessanten oder einflussreichen jungen Erwachsenen. Ich sehe den Grund dieser Nominierungen darin, die gute und interessante Arbeit einiger hervorzuheben. Aber einmal ganz ehrlich: Es gibt diese Rankings natürlich auch, um Traffic auf den Webseiten der Ersteller zu generieren, und um die Leute dazu zu bringen, die Magazine zu kaufen. Außerdem ermöglichen diese Listen Menschen, dass sie direkt auf das Ergebnis reagieren, indem sie auf die Aufstellung schauen und sagen »Hey, das ist mein Rabbiner«. Dieser ganze Prozess spiegelt unsere moderne Kultur wider, die von Berühmtheiten besessen ist.

Haben Sie denn Feedback auf Ihre Wahl bekommen?
Ja, die Leute haben mich sehr bestärkt und rührend reagiert. Einige haben mich auf Facebook getaggt oder die Nachricht bei Twitter reingestellt.

Was sind denn die Herausforderungen für eine junge Rabbinerin heute?
Fakt ist: Die Mehrheit der Gemeindemitglieder sind Familien mit Kindern und Menschen über 60. Dazwischen gibt es dieses große Loch, das seit vielen Jahren wächst. Früher hat man seine Synagogenmitgliedschaft zwischen 22 und 28 Jahren an den Nagel gehängt. Aber dann kam man mit Anfang 30 wieder zurück, war verheiratet und hatte Kinder. Heute heiraten junge Leute durchschnittlich mit Mitte 30. Man wartet lange, ehe man Kinder bekommt. Nach dem College gibt es eine Periode, in der die Menschen jung, frei und sehr interessiert sind an allen möglichen kulturellen, intellektuellen und sozialen Dingen. Damit muss sich jede jüdische Gemeinde auseinandersetzen.

Wie geht Ihre Gemeinde damit um?
Wenn wir nicht etwas anbieten, das zum Leben der Menschen passt, das sie berührt und bewegt, sie Neues lehrt, miteinander verbindet und ihnen besser zu verstehen gibt, wer sie sind und wo sie in dieser Welt stehen – wenn wir all das nicht tun, sondern die gleichen alten Schritte vollziehen und den Gebeten nicht etwas Einzigartiges hinzufügen, dann ist es nicht verwunderlich, dass wir keine jungen Menschen anziehen. Ich mache den Leuten keinen Vorwurf, dass sie sich für etwas anderes entscheiden. Was wir bei Mishkan versuchen, ist, eine Gemeinschaft für Juden und ihre Partner aufzubauen. Für junge Erwachsene, Menschen aus der LGBTQ-Szene, interreligiöse Paare und für diejenigen, die sich vielleicht unsicher über ihre Stellung in der Synagoge sind. Für junge Erwachsene ist das Judentum eine überwältigende Kraft, und wir möchten ihnen helfen, das in ihrem Leben zu erkennen und mit anderen Menschen, die sie lieben, zu teilen.

Sie sind nicht nur Rabbinerin, sondern auch Sängerin. Warum ist die Verbindung von Musik und Religion so wichtig?
Musik war schon immer das Kernstück des Judentums. Sie ist eng mit den Gebeten verbunden. In jedem Land muss sich Musik den Menschen anpassen. Sefardische oder portugiesische Melodien klingen ganz anders als deutsche und polnische. Beide sind gleichberechtigt. Aber wenn man spanische oder portugiesische Klänge aus dem 14. Jahrhundert in einer deutschen Synagoge des 18. Jahrhunderts spielt, wird das nicht zusammenpassen. Und die Menschen können wahrscheinlich nicht so darauf reagieren und von der Musik bewegt sein.

Was schlagen Sie vor?
In vielen Synagogen wird noch Musik aus dem frühen 20. Jahrhundert gespielt. Und diese Musik spricht vielleicht nicht mehr die Leute an, die in den 60er-, 70er-, 80er- oder 90er-Jahren groß geworden sind. Man muss also auf die Menschen, die zu uns kommen und beten wollen, eingehen. Zu einer Zeit, als Juden vertrauter mit Gebeten waren, gab es ein wichtiges und dynamisches Zusammenspiel zwischen dem persönlichen Gebet und der Kunst des Kantors. Heute scheinen die Menschen für diese Fertigkeit keine Geduld mehr zu haben, obwohl ich denke, dass sie sich danach sehnen, einfach nur zu singen. Wir von Mishkan jedenfalls versuchen, ihnen das zu ermöglichen.

Mit der Rabbinerin sprach Katrin Richter.

www.mishkanchicago.org

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