Türkei-Wahl

»Ich bin hoffnungsvoll«

Herr Molinas, die AKP hat am Sonntag die Wahlen mit deutlicher Mehrheit gewonnen. Wohin steuert die Türkei?
Die Wähler haben für Stabilität gestimmt. Dies geschah hauptsächlich aus wirtschaftlichen Interessen, da nach den Wahlen vom Juni Unsicherheit herrschte und eine ohnehin schon angeschlagene Wirtschaft sich mit dem Chaos durch die gescheiterten Koalitionsgespräche und durch den wieder beginnenden PKK-Terror verschlechterte. Die Rede des Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu nach den Wahlen war sehr gemäßigt. Er sagte, dass die AKP der Polarisierung und Spaltung in der Gesellschaft entgegenwirken möchte. Ich bin hoffnungsvoll, da er weiß, dass ein polarisiertes Land nicht regiert werden kann. Allerdings bleibt die Zukunft offen, und wir werden sehen, wie sich alles entwickelt.

Wie bewerten Juden das Wahlergebnis?

Da die türkischen Juden davon überzeugt sind, dass sie keine wirkliche Macht haben, sind sie nur Beobachter des Geschehens. Sie glauben auch nicht wirklich daran, dass sich etwas ändern wird. Das einzige Problem der türkischen Juden ist momentan der Antisemitismus in den Medien und im Internet. Ansonsten sind sie mit keinen weiteren Schwierigkeiten konfrontiert, was ihre religiösen Freiheiten angeht. Wir werden aber sehen, welche neuen Schritte die neue Regierung diesbezüglich unternehmen wird.

Erwarten Sie Einschränkungen der Religionsfreiheit?
Nein, so etwas schließe ich aus. Die AKP hat in den vergangenen 13 Jahren auch keine Religionsfreiheiten beschnitten, ganz im Gegenteil. Der türkische Staat und die Regierung haben alles getan, was in ihrer Macht lag, um die religiösen Freiheiten der türkischen Juden zu garantieren. Sie haben die Synagoge in Edirne restauriert und ein prachtvolles Gebäude daraus gemacht. In der Geschichte der Türkischen Republik wurden während der Regierungszeit der AKP die größten religiösen Freiheiten eingeräumt.

Rechnen Sie jetzt noch mit einem Gesetz gegen Hassverbrechen?
Das kann nur in Bezug auf die Vorbereitungen einer neuen türkischen Verfassung bewertet werden, da auf der politischen Agenda vorrangigere Probleme sind, die gelöst werden müssen. Ein Gesetz gegen Hassverbrechen wird in naher Zukunft nicht verabschiedet werden.

Welche Konsequenzen hätte eine neue Verfassung für die jüdische Gemeinde?
Die neue Verfassung wird keine direkten Regelungen für Minderheitenrechte mit sich bringen, sondern eine demokratischere und transparente Demokratie sicherstellen, die westlichen Standards einer Demokratie entspricht. Je besser dies gestaltet wird, desto besser wird sich das auf Minderheitenrechte, Menschenrechte und Freiheiten auswirken. Wir wollen ja keine positive Diskriminierung, sondern gleichberechtigte Bürger dieses Landes sein.

Man hört in der Türkei immer wieder: Es gibt keine Kurden, keine Armenier, keine Juden – es gibt nur Türken. Inwiefern bringt Sie das in Identitätskonflikte?
Die Aussage ist sehr störend, aber dies wird nicht von der AKP-Regierung gesagt – sondern von Ultranationalisten, und derartige Aussagen werden auch weniger. Allerdings hören die Diskriminierung und die Hassreden gegenüber Minderheiten nicht auf.

Was bedeutet Erdogans Wahlsieg für die türkisch-israelischen Beziehungen?
In geostrategischer Hinsicht könnte die Sicht auf Israel positiver werden, da die Türkei kaum mehr Freunde unter ihren Nachbarn hat. Daher wird die Türkei bemüht sein, sich wieder mit ihnen anzufreunden, aber Israel wird ganz unten auf der Liste stehen – aus historischen und ideologischen Gründen. Aber ich halte es für wahrscheinlich, dass sich die Beziehungen eher verbessern werden, als dass sie sich verschlechtern.

Mit dem Chefredakteur der türkisch-jüdischen Wochenzeitung »Salom« sprach Cigdem Toprak.

Spanien

Mallorca als Vorbild

Das Stadtparlament von Palma hat eine Antisemitismus-Resolution verabschiedet – anders als der Rest des Landes

von Sabina Wolf  26.07.2024

Sport

Der Überflieger

Artem Dolgopyat ist in Israel ein Star. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio gewann der Turner Gold, 2023 wurde er Weltmeister. Nun tritt er in Paris an

von Martin Krauß  26.07.2024

Europäisches Parlament

»Zittert. Das hier ist nur der Anfang«

Die frisch gebackene französische Abgeordnete Rima Hassan hetzt gegen Israel

von Michael Thaidigsmann  25.07.2024

Ausstellung

Olympioniken im KZ Buchenwald

Auf dem Ettersberg bei Weimar treffen unterschiedlichste Biografien aufeinander

von Matthias Thüsing  25.07.2024

Frankreich

»Man ist schließlich französisch«

Ganz Paris feiert die Olympischen Spiele. Ganz Paris? Nicht alle Juden fühlen sich vom erwünschten »Wir-Effekt« angesprochen. Denn das Land bleibt zerrissen

von Sophie Albers Ben Chamo  25.07.2024

USA

Die zweite Wahl?

Mit dem Rückzug von Joe Biden und der Kandidatur von Kamala Harris könnte das Rennen um die Präsidentschaft noch einmal richtig spannend werden

von Michael Thaidigsmann  24.07.2024

Jüdische Emigration

Die Niederlande - Ein Ort der Zuflucht für Juden?

Die Historikerin Christine Kausch nimmt das Leben jüdischer Flüchtlinge in den Blick

von Christiane Laudage  24.07.2024

Vor 80 Jahren

Von Rhodos nach Auschwitz

1944 wurden 2000 Jüdinnen und Juden von Rhodos nach Auschwitz deportiert. Nur wenige überlebten

von Irene Dänzer-Vanotti  23.07.2024

Jerusalem

Nach Gaza entführter Holocaust-Experte für tot erklärt 

Der Historiker Alex Dancyg ist in der Geiselhaft umgekommen

 22.07.2024