Meine Kindheit in Jerusalem fiel in die Zeit der sogenannten Zweiten Intifada, mit all den Bombenanschlägen und Selbstmordattentaten in Bussen oder auf dem Mahane-Yehuda-Markt. Man war immer etwas angestrengt, wenn man sich in der Stadt bewegte. Meine Eltern und meine drei Geschwister waren eine normale sefardisch-israelische Familie. Die Großeltern kamen alle aus dem Irak, die meiner Mutter aus dem kurdischen Teil im Norden. Mein Vater ist wie ich in Jerusalem geboren, meine Mutter in Even Sapir, einem Moschaw unweit davon. Unsere Familie war nicht sehr religiös, lebte aber durchaus traditionell.
Nach meinem Schulabschluss habe ich Militärdienst geleistet und bin danach ein Jahr lang gereist – von Australien und Neuseeland ging es über Fidschi bis nach Vietnam, Kambodscha, Burma und Thailand. Es hat eine Weile gedauert, bis ich loslassen konnte. Ich musste lernen, die Zeit zu verbringen, ohne etwas anderes zu tun als abzutauchen in diese fremden Kulturen. Unterwegs traf ich Menschen aus der ganzen Welt. Ich lernte neue und interessante Perspektiven kennen.
Für mich als Israelin aber wurde es manchmal auch ein bisschen anstrengend, weil alle eine Meinung zu meinem Land hatten. Jedes Mal, wenn man erfuhr, woher ich kam, wurde ich darauf angesprochen. Schwierig wurde das mit der Zeit für mich vor allem deshalb, weil es für viele dieser Menschen das erste Mal war, dass sie überhaupt mit einer Israelin sprachen. Mir aber wurden fast jeden Tag von immer wieder anderen die gleichen Fragen gestellt.
Die Gärten in der antiken Welt hatten vielfach einen Gottesbezug
Als ich nach Israel zurückgekommen bin, habe ich angefangen, Archäologie zu studieren. Mein Interesse an diesem Fach galt bald vor allem der Erforschung historischer Gärten. Ich fand es sehr interessant, mich auf diese Weise den Kulturen der damaligen Zeit zu nähern. Die Gärten in der antiken Welt hatten vielfach einen Gottesbezug, wenn man etwa Pflanzen aus einer ganz anderen Gegend im heimischen Garten anpflanzte und sie den Umzug überlebten. Oftmals hatte man diese fremden Pflanzen nach einem Feldzug »erobert«. Insofern waren sie ebenfalls Symbole der Macht über andere Länder und Kulturen.
Diese Gärten symbolisierten aber nicht selten auch den Machtanspruch der jeweiligen Herrscher nach innen. In Israel etwa gilt das für die Gartenkultur der Herodes-Zeit, aber eben auch für die römischen Gärten in Pompeji oder Herculaneum und die im antiken Persien. Schließlich wurden sie zum Vergnügen des Herrschers angelegt, und hierfür mussten in einer Wüstengegend große Mengen Wasser herangeschafft werden, was ja Luxus war und bis heute ist.
Nach dem Bachelorabschluss an der Hebräischen Universität kam ich nach Berlin. Von den israelischen Universitäten kannte ich eine offene Atmosphäre, weshalb man sich eben einem solchen Thema wie den historischen Gärten zuwenden konnte. Allerdings gibt es in Israel für eine intensivere Forschung dazu nicht genug Geld. An den Berliner Universitäten aber musste ich feststellen, dass es kaum ein akademisches Interesse an historischen Gärten gab. Ich hätte in die USA gehen können, wo man an der Cornell University in Ithaca im US-Bundesstaat New York zu antiken Gärten forscht und lehrt. Aber ein solcher Umzug kam für mich nicht infrage. Das war zu weit, zu teuer, zu einsam. Von Berlin aus bin ich in fünf Stunden zu Hause, aber nicht, wenn ich in New York lebe.
Oft hatte man fremde Pflanzen »erobert«, und so waren sie auch
Symbole der Macht.
Inzwischen bin ich an der amerikanisch-jüdischen Touro University im Berliner Grunewald eingeschrieben, um meinen Master in Business Administration zu machen. Ich möchte ihn gern irgendwie mit Archäologie kombinieren, um das Thema der historischen Gärten auf die eine oder andere Weise einer interessierten Öffentlichkeit näherzubringen.
Auf Facebook habe ich die Geschichte der Etz-Hayyim-Synagoge in Chania auf Kreta entdeckt. Das Gebäude diente seit dem 17. Jahrhundert der jüdischen Gemeinde. Zuvor war es zwei Jahrhunderte lang eine katholische Kirche gewesen, ehe die Osmanen das Gebäude der Gemeinde der Romanioten zur Nutzung überließen. Romaniotische Juden gab es in Griechenland seit dem zweiten Jahrhundert, sie waren damit die ältesten jüdischen Gemeinden in Europa überhaupt.
Die Juden auf Kreta nutzten die Etz-Hayyim-Synagoge bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Mit der Ruine passierte nichts bis zum Jahr 1995. Dann kam Nikos Starvoulaki, ein konvertierter Jude und Künstler, nach Chania. Er hatte zuvor das Jüdische Museum in Athen aufgebaut und viele Jahre geleitet.
Er widmete sich bis zu seinem Tod der Restaurierung und Wiederbelebung der Synagoge von Etz Hayyim. Das wurde zu seinem Lebensprojekt. Unter seiner Leitung begannen 1996 die Bauarbeiten, zu einem nicht unerheblichen Teil wurden sie von einem seiner Studienfreunde aus der Familie Rothschild finanziert. Drei Jahre später wurde das Gebäude inmitten des ehemaligen jüdischen Viertels von Chania wieder als Synagoge eingeweiht.
Im ehemaligen jüdischen Viertel von Chania begegnet man uns äußerst skeptisch
Leider lebte Nikos Starvoulaki nicht mehr, als ich zum ersten Mal nach Chania kam, um mich dem Projekt als ehrenamtliche Mitarbeiterin zur Verfügung zu stellen. Seither reise ich regelmäßig dorthin. Anja, eine Frau aus Deutschland, die einst mit Nikos Starvoulaki zusammengearbeitet hat, kümmert sich jetzt um die kleine Synagoge, das einzige noch erhaltene jüdische Monument eines einstmals reichen jüdischen Lebens auf Kreta.
Im ehemaligen jüdischen Viertel von Chania begegnet man uns äußerst skeptisch. Wir dürfen in diese Häuser nicht hinein und sie auch nicht fotografieren. Die griechischen Eigentümer wissen sehr wohl, dass es nicht rechtens war, wie ihre Familien damals an die Immobilien der jüdischen Nachbarn gekommen sind. Einer aber hat uns in einem Nebengebäude, das früher einmal zur Etz-Hayyim-Synagoge gehörte, einen Raum vermietet, in dem sich unsere Bibliothek befindet. Nun aber wollen die Vermieter diesen Gebäudeteil verkaufen. Auf Kreta wird ja heute alles für touristische Zwecke umfunktioniert und zu Geld gemacht.
Für jenen Teil, in dem sich unsere Bibliothek befindet, verlangen sie 300.000 Euro. Wir aber brauchen diesen Raum, weil es in der kleinen Synagoge nirgendwo Platz für unsere Bücher gibt. Also versuchen wir momentan, das Geld zu sammeln, um das angrenzende Gebäude kaufen zu können. Da mit dem Tod von Nikos Starvoulaki aber viele Kontakte zu Geldgebern verloren gingen, kümmere ich mich derzeit um die Gründung eines Fördervereins. Darüber hinaus versuchen wir, international ein akademisches Interesse an den historischen Romaniot-Gemeinden in Griechenland zu wecken.
Hierfür soll die Etz-Hayyim-Synagoge, die sich schon als ein kulturelles Zentrum etablieren konnte, auch zu einem akademischen werden. Zudem stellen wir uns die Frage, wie man das Gebäude als interessante touristische Venue etablieren kann – und auch, wie bei der nichtjüdischen griechischen Bevölkerung ein Bewusstsein für diesen besonderen Ort geschaffen werden kann.
Am Samstag bin ich dann aber ausschließlich für meine Tochter da
Derzeit machen wir gemeinsam mit griechischen Grundschulen ein Projekt, in dem wir ein »tool kit« erstellen, also eine Art Baukasten, mit dessen Hilfe sich Schüler die jüdische Geschichte in Griechenland selbst erschließen und entdecken können. Dann wollen wir eine Website erstellen, die die Namen und Biografien der in der Schoa ermordeten romaniotischen Juden aus Kreta zeigt. Das ist aber nicht ganz einfach. Man braucht schließlich alle Dokumente dazu. Wir hoffen darauf, Nachfahren in den romaniotischen Gemeinden der USA finden zu können.
Da ich neben diesen ganzen Aktivitäten und meinem Studium auch noch alleinerziehende Mutter einer fünfjährigen Tochter bin, sorge ich für unseren Unterhalt, indem ich Online-Bestellungen einer Kosmetikproduktlinie bearbeite. Das alles unter einen Hut zu bekommen, ist oft nicht einfach.
Im kommenden Jahr wird meine Tochter in die Heinz-Galinski-Grundschule in Berlin eingeschult. Von Anfang an wollte ich ihr ein Gefühl fürs Judentum vermitteln. Und da mir der Schabbat sehr wichtig ist, besuchen wir regelmäßig am Freitagabend den Gottesdienst in der Synagoge Pestalozzistraße. Am Samstag bin ich dann aber ausschließlich für meine Tochter da.
Aufgezeichnet von Gerhard Haase-Hindenberg