Polen

Guter Ort im Grenzgebiet

Theomim-Gedenkstätte Foto: Vergangenheitsverlag, Berlin

Als Eckard Reiß 1965 erstmals das polnische Slubice besuchte, konnte er noch nicht ahnen, dass er dabei auf einen alten jüdischen Friedhof stoßen würde, der ihn die nächsten fünf Jahrzehnte beschäftigen sollte. Reiß, 1941 in Frankfurt an der Oder geboren, interessierte sich für den ehemaligen Frankfurter Stadtteil Dammvorstadt, der nach dem Zweiten Weltkrieg zur polnischen Stadt Slubice wurde. So machte der gelernte Fernmeldetechniker bei seiner ersten Stippvisite jenseits des deutsch-polnischen Grenzflusses auch Fotos vom alten jüdischen Friedhof der Stadt Frankfurt.

Zusammenarbeit »Man musste damals noch über Crossen nach Slubice reisen, die direkte Verbindung von Frankfurt über die Oder war nicht zugänglich«, erinnert sich Reiß. »Das Erste, was der Reisende von Slubice sah, war der große Davidstern des Friedhofs.« In dem Buch Makom Tov – der gute Ort, das jetzt erschienen ist, wird die Geschichte des Friedhofs erzählt. Es entstand in Zusammenarbeit von Reiß mit Historikern des Instituts für angewandte Geschichte an der Frankfurter Europa-Universität Viadrina.

1399 wurde der Friedhof erstmals urkundlich erwähnt, doch angelegt hat man ihn vermutlich schon rund 100 Jahre früher. Er ist damit eine der ältesten jüdischen Begräbnisstätten Mitteleuropas. Die Nazizeit überstand er fast unversehrt – im Gegensatz zu seinem Eigentümer, der Frankfurter Gemeinde. Als Reiß den Ort Mitte der 60er-Jahre besuchte, war vieles noch intakt. Erst durch Plünderungen und den Bau eines Hotels samt Parkplatz auf dem Gelände wurden viele Gräber und Gebäude unwiederbringlich zerstört.

Erhalt 1999 kamen drei Rabbiner aus den USA und Israel. Sie waren, zunächst erfolglos, auf der Suche nach dem Grab des 1792 verstorbenen Joseph ben Meir Theomim, einst Rabbiner der Frankfurter Gemeinde und Verfasser eines bedeutenden Kommentars zum Schulchan Aruch. 2002 sorgte der Friedhof sogar für diplomatische Verwicklungen, als der polnische Ministerpräsident Leszek Miller in den USA auf die aktuelle Nutzung des Geländes angesprochen wurde – das Hotel war inzwischen in ein Bordell umgewandelt worden.

Die polnische Regierung sorgte dafür, dass der Friedhof in den Besitz der Jüdischen Gemeinde Stettin überging. Die war allerdings mit dessen Erhalt und Restaurierung überfordert, weshalb er 2007 der Warschauer Stiftung zum Schutz des jüdischen Erbes übertragen wurde. Auch keine Ideallösung, bedenkt man die 500 Kilometer Entfernung zwischen Slubice und Warschau.

limitiert »Wir haben praktisch keine Möglichkeit, uns im Alltag um den Friedhof zu kümmern«, erläutert Monika Krawczyk, die Direktorin der Stiftung, im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Angesichts von 1.200 jüdischen Friedhöfen und Hunderten von Massengräbern in Polen könne man sich nur in Notfällen dem Gräberfeld in Slubice widmen. Zwar versuche die Stiftung, die dem polnischen Oberrabbinat untersteht, zur Erhaltung dieses für die »deutsch-polnisch-jüdischen Beziehungen besonders symbolischen Ortes« Fundraising zu betreiben. Doch das sei aufgrund der geringen Mitarbeiterzahl nur eingeschränkt möglich, wirbt Krawczyk um Verständnis. Sie wünscht sich eine engere Kooperation mit den Behörden vor Ort und mit zivilgesellschaftlichen Organisationen wie etwa dem Institut für angewandte Geschichte.

Auch dessen Geschäftsführer Stephan Felsberg sieht in einer verstärkten Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen den Schlüssel zu einer besseren Betreuung des Gedenkorts. In der Regel ist der Friedhof aber derzeit für die Allgemeinheit nicht zugänglich. Eine der wenigen Gelegenheiten dazu organisiert Felsbergs Institut zum Europa-Tag am 9. Mai ab 10 Uhr (Info und Anmeldung per E-Mail: info@instytut.net).

Durch die Forschungen und fotografischen Dokumente von Eckard Reiß konnte inzwischen der genaue Ort des Theomim-Grabes bestimmt und mit einem neuen Stein markiert werden. Und kurz vor seinem 220. Todestag vergangene Woche wurde dem berühmten Rabbiner sowie dem Friedhof, auf dem er beerdigt ist, mit dem reich bebilderten Buch auch ein literarisches Denkmal gesetzt.

Magdalena Abraham-Diefenbach und Eckard Reiß (Hrsg.): »Makom tov – der gute Ort. Jüdischer Friedhof Frankfurt (Oder)/Slubice«. Vergangenheitsverlag, Berlin 2012, 250 S., 12,90 €

Medienbericht

Katar soll mutmaßliches Missbrauchsopfer von Karim Khan ausspioniert haben

Das Emirat scheint sich in den Skandal um den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs eingemischt zu haben, wie Recherchen nun zeigen

 07.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  07.11.2025 Aktualisiert

Hurrikan Melissa

»Ich habe seit einer Woche nicht geschlafen«

Wie ein Rabbiner vom Wirbelsturm in Jamaika überrascht wurde – und nun selbst Betroffenen auf der Insel hilft

von Mascha Malburg  06.11.2025

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025

New York

ADL will Mamdani unter Beobachtung stellen

Die Anti-Defamation League erwartet vom neugewählten New York Bürgermeister nichts Gutes. Jetzt hat die jüdische Organisation angekündigt, man werde genau hinschauen

 05.11.2025

Amsterdam

Wegen IDF-Kantor: Concertgebouw sagt Chanukka-Konzert ab

Die renommierte Musikhalle hat wegen des geplanten Auftritts von IDF-Chefkantor Shai Abramson das alljährliche Konzert abgesagt. Die jüdische Gemeinschaft ist empört und will gegen den Entscheid klagen

von Michael Thaidigsmann  05.11.2025 Aktualisiert

Essay

Mamdanis demokratische Steigbügelhalter

Führende Politiker der Demokraten haben aus Opportunismus die Wahl des Israel-Hassers Zohran Mamdani zum New Yorker Bürgermeister ermöglicht - und so in Kauf genommen, dass aus Worten gegen Israel wieder Gewalt gegen Juden werden könnte

von Menachem Z. Rosensaft  05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025