Hintergrund

Wie ein EU-Gerichtsurteil koschere Schlachthäuser in Bedrängnis bringt

Koschere Fleischerei (Symbolfoto) Foto: Daniel Zylbersztajn

Einer der wichtigsten Aspekte sei, sagt Rabbiner Jacob Werchow, »dass das Tier nicht leidet«. Werchow überwacht im Schlachthaus Quality Poultry die Produktion. Aus dem Gebäude in Ungarn stammen fast 40 Prozent des koscheren Geflügels in Europa, zum Teil wird auch nach Israel exportiert.

Die Methoden, die in dem erst dreieinhalb Jahre jungen Betrieb in dem Dorf Csengele praktiziert werden, orientieren sich an der Kaschrut. Sie stehen zugleich im Fokus einer aktuellen Debatte, die nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs eine neue Dimension erreicht hat. Auf der einen Seite steht dabei die Religionsfreiheit, auf der anderen der Tierschutz.

Das oberste Gericht der EU bestätigte im Dezember die Rechtmäßigkeit einer Regelung in der belgischen Region Flandern, die das Schlachten von Tieren ohne vorherige Betäubung verbietet. Ähnliche Gesetze gibt es auch in mehreren anderen europäischen Ländern. Jüdische und muslimische Verbände werten dies als unzulässige Einschränkung der Religionsfreiheit und massive Diskriminierung. Einige sehen darin sogar eine noch weiter gehende Diskriminierung. 

ZENTRALRAT Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zeigte sich zum Beispiel erschüttert über das Urteil und sprach von einem Angriff auf die Religionsfreiheit. »Es bedeutet einen schwerwiegenden Eingriff in die durch die EU-Charta garantierte, freie Religionsausübung und ist geeignet, jüdisches Leben in Europa massiv zu gefährden«, so Schuster. Man hoffe, dass es keine Nachahmer in Europa finde und andere EU-Staaten die religiöse Schlachtung weiterhin ermöglichten.

Unternehmen wie Quality Poultry können angesichts des Urteils zunächst einmal auf neue geschäftliche Möglichkeiten hoffen. Denn der grenzüberschreitende Handel mit Fleisch, das »koscher« oder »halal« ist, bleibt erlaubt. Die Nachfrage nach Importen aus Ländern wie Ungarn dürfte also steigen. Trotzdem überwiegt auch in Csengele die Sorge, dass in Zukunft ein europaweites Verbot drohen könnte. Dies wäre auch aus historischer Sicht heikel. 

»Die Entscheidung betrifft nicht nur die jüdische Gemeinschaft in Belgien, sie betrifft uns alle«, sagt Rabbi Slomo Koves vom Verband der ungarischen jüdischen Gemeinden, dem der Schlachthof im Süden des Landes gehört. Dass die belgische Regelung von dem EU-Gericht eine »moralische Zustimmung« erhalten habe, könnte »einen Prozess auf größerer Ebene« in Gang setzen, warnt er. »Wenn man der Logik weiter folgt, wäre der nächste Schritt der, dass solches Fleisch in diesen Ländern auch nicht mehr verkauft werden dürfte.« 

STAATEN Prinzipiell schreibt die EU bereits seit 1979 vor, dass Tiere vor dem Schlachten betäubt werden. Allerdings dürfen die Mitgliedstaaten Ausnahmen aus religiösen Gründen gewähren. Die meisten Staaten taten dies lange Zeit auch. Inzwischen ist das rituelle Schächten aber nicht nur in Teilen Belgiens komplett verboten, sondern auch in Slowenien, Dänemark und Schweden sowie in den nicht zur Europäischen Union gehörenden Ländern Schweiz, Norwegen und Island. 

Religiöse Verbände argumentieren, dass moderne Betäubungsverfahren wie Elektroschock oder Bolzenschuss ein Tier vor dem eigentlichen Schlachten verletzen oder töten können und das Tier dadurch unnötig leidet. Laut Koves ist solches Fleisch zudem damit nicht koscher.

Koves und Werchow sagen, die koschere Schlachtmethode sei aus ihrer Sicht nicht grausamer als die Verfahren in der konventionellen Fleischproduktion. Es werde nicht nur darauf geachtet, dass die Messer stets in einwandfreiem Zustand seien. Den Schächtern werde auch beigebracht, den Schnitt in einer einzigen, glatten Bewegung durchzuführen. Dadurch würden die Nerven der Tiere durchtrennt und die Blutversorgung des Gehirns werde innerhalb von Sekunden gestoppt. 

»Wenn man uns das Recht auf koscheres Essen verbietet, werden damit unsere Menschenrechte eingeschränkt. Und das weckt bei uns, gerade in Europa, sehr böse Erinnerungen.«

Mit einem Verbot der koscheren Methode werde »Tierrecht vor Menschenrecht« gestellt, kritisiert Koves - unabhängig davon, wie man zu den jeweiligen Vor- und Nachteilen stehe. »Wenn man uns das Recht auf koscheres Essen verbietet, werden damit unsere Menschenrechte eingeschränkt. Und das weckt bei uns, gerade in Europa, sehr böse Erinnerungen.« 1933 hatten die Nationalsozialisten in Deutschland kurz nach ihrer Machtergreifung ein Schächtverbot verhängt. 

Gegen das regionale Verbot in Flandern hatten jüdische und muslimische Gruppen beim belgischen Verfassungsgericht geklagt. Dieses leitete den Fall an den Europäischen Gerichtshof weiter. In der belgischen Region Wallonien ist das Schlachten ohne Betäubung ebenfalls verboten. In der Hauptstadtregion Brüssel ist es noch erlaubt - auch dort gibt es aber entsprechende Initiativen.

Die Regierung in Ungarn, die an der Finanzierung des Schlachthauses in Csengele beteiligt war, steht in der Frage auf der Seite der religiösen Gemeinschaften. Ministerpräsident Viktor Orban hat das Urteil des EU-Gerichts gemeinsam mit jüdischen Gruppen als ein Angriff auf die Religionsfreiheit scharf kritisiert. Koves und andere Rabbiner in Europa suchen derzeit nach Möglichkeiten, die Entscheidung des Gerichts anzufechten. ap

USA

Personifizierter Hass

Menschen wie Nick Fuentes waren lange ein Nischenphänomen. Nun drängen sie in den Mainstream und sind gefährlicher denn je

von Sophie Albers Ben Chamo  26.11.2025

Meinung

Die polnische Krankheit

Der Streit um einen Tweet der israelischen Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem zeigt, dass Polen noch immer unfähig ist, sich ehrlich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen

von Jan Grabowski  26.11.2025

USA

Ein Stadtneurotiker wird 90

Woody Allen steht als Autor, Regisseur und Schauspieler für einzigartige Filme. Doch bis heute überschatten Missbrauchsvorwürfe sein Lebenswerk

von Barbara Schweizerhof, Sophie Albers Ben Chamo  26.11.2025

Orange Day

Palina Rojinski spricht über Gewalt in früherer Beziehung

Wie viele Frauen hat auch die Moderatorin einst in einer Beziehung Gewalt durch ihren Partner erfahren. Darüber spricht sie nun auf Instagram. Sie will anderen Mut machen, sich Hilfe zu holen

 25.11.2025

Kultur

André Heller fühlte sich jahrzehntelang fremd

Der Wiener André Heller ist bekannt für Projekte wie »Flic Flac«, »Begnadete Körper« und poetische Feuerwerke. Auch als Sänger feierte er Erfolge, trotzdem konnte er sich selbst lange nicht leiden

von Barbara Just  25.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  24.11.2025

Hollywood

80 Jahre Goldie

Die quirlige Schauspielerin feiert ihren runden Geburtstag – und ist nicht zu bremsen

von Barbara Munker, Sophie Albers Ben Chamo  23.11.2025

TV-Tipp

TV-Premiere: So entstand Claude Lanzmanns epochaler Film »Shoah«

Eine sehenswerte Arte-Dokumentation erinnert an die bedrückenden Dreharbeiten zu Claude Lanzmanns Holocaust-Film, der vor 40 Jahren in die Kinos kam

von Manfred Riepe  21.11.2025

USA

Zwölf Familien, eine Synagoge

Die meisten Juden in Nordamerika leben in Großstädten, auf dem Land gibt es nur wenige Gemeinden – aber gerade dort wächst eine besonders starke Identität. Ein Besuch in der Kleinstadt Rome im Bundesstaat Georgia

von Katja Ridderbusch  21.11.2025