Nieuw Israëlietisch Weekblad

Gedruckte Einheitsgemeinde

Es ist Geschichte, was hier an den Wänden hängt! Durchnummeriert ziehen sich die frisch ausgedruckten Seiten der Jubiläumsausgabe durch die Redaktion. 152 sind es, und viele davon beleuchten die Entwicklung des Nieuw Israëlietisch Weekblad in all den Jahren. »Eigentlich wollten wir 150 Seiten, aber das ging nicht«, sagt Esther Voet, die Chefredakteurin jener Zeitschrift, die im ganzen Land nur als »NIW« bekannt ist.

Vier Wochen hat die Arbeit an der Sonderausgabe gedauert. Das Rezept? »Gute Planung und sehr viel Liebe für die Zeitung«, sagt die Chefredakteurin. »Wir haben nicht auf eine Stunde mehr oder weniger geachtet.«

Cover In der gegenüberliegenden Ecke ist Art-Direktorin Monique Willemse mit der Auswahl des Covers beschäftigt. Zu den letzten Handgriffen stellt sich Feierstimmung ein, die Gesichter sind fröhlich und gelöst nach einem gemeinsamen Mittagessen in einem nahe gelegenen jugoslawischen Restaurant: »Mit viel Knoblauch«, sagt Voet und lacht.

Nicht nur räumlich ist die Nähe in dieser Redaktion. Es herrscht auch ein herzlicher – und flapsiger – Ton. Man ist einander zum Teil seit Jahren vertraut. Es kommt vor, dass sich die Redakteurinnen mit »Liebes« anreden. »Wir sind ein Hühnerhaufen«, sagt Esther Voet, »dafür sitzen in der Verwaltung nur Männer.« Auf den einzigen Mann, der vorübergehend in der Redaktion arbeitet, fällt die Aufgabe, mit dem Fahrrad zum Kopierladen zu fahren, um schnell zwei Scans von früheren NIW-Titelseiten zu machen. »Entweder du bist Praktikant, oder du bist es nicht«, sagt Esther Voet grinsend, »deine Beurteilung ist noch nicht geschrieben.« Praktikant Barry Vingerling grinst zurück und macht sich auf den Weg.

Widerstände Dass hinter dem Blatt ein steiniger Weg liegt, ist offensichtlich. »Gegen alle Widerstände«, so die Chefredakteurin, habe sich das NIW 150 Jahre gehalten: die chronisch klammen Finanzen, das Verbot unter der deutschen Besatzung ab Ende 1940, die Verluste durch die Ermordung der niederländischen Juden. Doch zwei Mitarbeiter des Herausgebers überlebten, und so erschien das NIW bereits am 17. Mai 1945 wieder, zwölf Tage nach der Befreiung. Esther Voet zeigt ein Original-Exemplar und deutet dann auf ihren Arm. »Ich kann das noch immer nicht anschauen, ohne Gänsehaut zu bekommen. Es wurde auf Toilettenpapier gedruckt, auf einer Presse, die kurz zuvor noch die Nazis benutzt hatten.

Als einzige von fünf jüdischen Zeitschriften überstand das NIW die Schoa. Allerdings war danach die Ausrichtung grundlegend anders. Als man 1865 begann, geschah das in Abgrenzung zum liberalen Judentum. Schon mit dem Namen ging man auf Distanz zum damaligen Israëlietisch Weekblad. Bis 1940 stand auf der Titelseite der Satz: »Um Sie mit der echten Lehre der Wahrheit bekannt zu machen.« Die Grundrichtung war orthodox und antizionistisch. Seit 1945 ist sie eindeutig zionistisch. Allein dem eigenen Verhältnis zu Israel und seiner Entwicklung widmet die Jubiläumsausgabe ganze acht Seiten.

Tradition Heute ist das NIW längst eine Einheitsgemeinde in Zeitungsform und ist sich seiner Position durchaus bewusst. »Wir sind der einzige verbindende Faktor der jüdischen Niederlande«, sagt Voet. Unterschiedliche politische Strömungen, orthodoxes und liberales Judentum, Amsterdam und die »Mediene« genannten Gemeinden außerhalb der Hauptstadt – alles ist im Blatt vertreten, vereint durch die Tradition. »Wenn der Schabbat begonnen hat, Freitagabend nach der Hühnersuppe, blättert jeder die neueste Ausgabe durch«, so Esther Voet. Auf diese Weise findet jedes der rund 4400 Exemplare etwa zehn Leser.

Aus dem Drucker kommen derweil noch immer alte NIW-Titelseiten. Auch sie gehören zur Geburtstagsnummer, ebenso wie die Wahl des »wichtigsten niederländischen Juden aller Zeiten«. Zur Debatte stehen illustre Kandidaten wie Baruch Spinoza (1632–1677), Tobias Asser (1838–1913), der einzige Nobelpreisträger des Landes, oder Henri Polak (1868–1943), Mitbegründer der niederländischen Sozialdemokratie. Dazu gibt es Interviews mit dem früheren britischen Oberrabbiner Jonathan Sacks oder EU-Kommissar Frans Timmermans.

Sarah Whitlau, die stellvertretende Chefredakteurin, beschreibt die inhaltliche Linie so: »Es geht um alles, was heute jüdisch ist – nicht nur um all das, was nicht mehr da ist. Durch den breiten Ansatz haben wir auch viele Themen, die ebenso für Nichtjuden interessant sind. Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Menschen das NIW kennen.« Dass man nun zum Jubiläum endlich einmal »ein wenig in die Scheinwerfer kommt«, findet sie nur angemessen.

Jubiläums-Gala Eine Woche später ist der Festsaal mitten in Amsterdam komplett gefüllt. Ehemalige Chefredakteure plaudern aus dem Nähkästchen, und Abonnenten kommen zu Wort. Es wird viel gelacht, und doch schweifen nach den Pariser Anschlägen bange Blicke in Richtung Tür, wenn diese sich mitten im Programm unversehens öffnet. Die eindringliche Rede der Kolumnistin Nausicaa Marbe zur Bedrohung durch Antisemitismus und Terror verleiht der Beklemmung Ausdruck.

Es sind die Politiker, die die Heiterkeit zurückbringen. Ein Journalist hat einen Film zusammengestellt, in dem Schwergewichte aller Parteien dem NIW gratulieren. Dass dabei gleich zwei Fraktionsvorsitzende erstmals von ihren jüdischen Großmüttern erzählen, löst stürmische Heiterkeit im Publikum aus. Ehrengast Haim Divon, Israels Botschafter in Den Haag, kommentiert in seiner Laudatio trocken: »Alle meine Kollegen beneiden mich um diesen Posten. Wenn Sie so weitermachen, werden die Niederlande der zweite jüdische Staat.«

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