Österreich

Fragen nach der Messerattacke

Der Angriff sei die eine Sache, so Oskar Deutsch, aber da sei vor allem ein anderer Aspekt, der dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) zu denken gibt: die fehlende Zivilcourage.

Im 3. Wiener Gemeindebezirk Landstraße wurde am vergangenen Donnerstag ein Rabbiner angegriffen. Er stand an ei­ner Straßenbahnhaltestelle, als laut Zeugen eine etwa 50-jährige mittelgroße Frau in grauem Mantel auf ihn zukam, ihn beschimpfte, ihn gegen das Schienbein trat, ein Messer aus ihrer Handtasche zog und ihn damit bedrohte.

Schließlich schlug sie dem Rabbiner den Hut vom Kopf, entriss ihm die Kippa und flüchtete. Augenzeugen zufolge soll sie bei dem Angriff geschrien haben: »Schlachtet alle Juden!«

Verfassungsschutz Außer dem Rabbiner standen zehn bis 15 Menschen an der Haltestelle. Niemand schritt ein oder verständigte die Sicherheitskräfte. »Den Notruf setzte der Rabbiner selbst ab«, so Oskar Deutsch. In der IKG spricht man von einer »verstörenden« Tat. Die Frau ist noch nicht gefasst. Das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ermittelt. Man geht nicht von einer geplanten Tat aus und auch nicht von einem Angriff mit islamistischem Hintergrund. Dies spiegelt sich auch in den politischen Reaktionen wider.

»Der Angriff auf einen Rabbiner zeigt uns, dass Antisemitismus auch in unserer Gesellschaft besteht«, sagte Österreichs Innenminister Karl Nehammer in einer ersten Reaktion. Es würden »alle Maßnahmen getroffen, um diesen offensichtlich antisemitisch motivierten Angriff rasch aufzuklären«. Es handle sich um eine »Attacke auf das jüdische Leben in Wien«.

Wie in anderen europäischen Ländern hat sich in den vergangenen Monaten auch in Österreich das politische Klima zugespitzt.

Auch Kanzler Sebastian Kurz und Bundespräsident Alexander Van der Bellen verurteilten den Angriff ausdrücklich, ebenso Vertreter der Kirchen und der muslimischen Glaubensgemeinschaft.

angriffe Wie selten zuvor in der jüngeren Geschichte des Landes war die jüdische Gemeinschaft in Österreich in den vergangenen Monaten mehreren Angriffen ausgesetzt: im Sommer 2019 die Zerstörung von Porträts von Schoa-Überlebenden auf der Wiener Ringstraße, im Frühjahr dann eine Serie von Angriffen auf die Synagoge und den Präsidenten der jüdischen Gemeinde in Graz, Anfang November der Terroranschlag in der Nähe des Wiener Stadttempels und nun der Angriff auf den Rabbiner.

Wer die Porträts auf der Wiener Ringstraße zerstört hat, ist nach wie vor nicht geklärt. Die Angriffe in Graz und der Anschlag in Wien waren die Taten von Islamisten. Der jetzige Angriff auf den Rabbiner ist anscheinend die Tat einer Antisemitin mitteleuropäischer Herkunft.

Generell verzeichneten Beobachtungsstellen in den vergangenen Jahren einen signifikanten Anstieg antisemitischer Übergriffe in Österreich.

Hygienedemos »Jeder Fall trägt zur Verunsicherung bei«, sagt Oskar Deutsch. Man lasse sich aber nicht beirren. »Die Kultusgemeinde tut ihr Möglichstes, um ihre Mitglieder zu schützen und gegen Antisemitismus vorzugehen.« Doch sei das eigentlich nicht die primäre Aufgabe der jüdischen Gemeinden. »Was wir tun, ist, unser Leben zu leben und allen Antisemiten täglich zu zeigen: Wir leben!«

Wie in anderen europäischen Ländern hat sich in den vergangenen Monaten auch in Österreich das politische Klima zugespitzt. Eine antisemitische Rhetorik dringt langsam in den politischen Mainstream vor. So versuchten sich in letzter Zeit Impfgegner, Esoteriker und Verschwörungstheoretiker auf sogenannten Hygienedemos unter anderem auch mit antisemitischen Äußerungen zu überbieten.

Die Bedrohungen kämen aus vielen Richtungen, ein Gefährdungsranking sei nicht zielführend, so Oskar Deutsch. »Antisemitismus sollte man immer begegnen, vor allem, wenn er in Worten daherkommt und nicht erst, wenn jemand zur Tat schreitet«, sagt er. Denn »Zivilcourage beginnt in der Schulklasse, auf Facebook, am Stammtisch«.

Spanien

Mallorca als Vorbild

Das Stadtparlament von Palma hat eine Antisemitismus-Resolution verabschiedet – anders als der Rest des Landes

von Sabina Wolf  26.07.2024

Sport

Der Überflieger

Artem Dolgopyat ist in Israel ein Star. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio gewann der Turner Gold, 2023 wurde er Weltmeister. Nun tritt er in Paris an

von Martin Krauß  26.07.2024

Europäisches Parlament

»Zittert. Das hier ist nur der Anfang«

Die frisch gebackene französische Abgeordnete Rima Hassan hetzt gegen Israel

von Michael Thaidigsmann  25.07.2024

Ausstellung

Olympioniken im KZ Buchenwald

Auf dem Ettersberg bei Weimar treffen unterschiedlichste Biografien aufeinander

von Matthias Thüsing  25.07.2024

Frankreich

»Man ist schließlich französisch«

Ganz Paris feiert die Olympischen Spiele. Ganz Paris? Nicht alle Juden fühlen sich vom erwünschten »Wir-Effekt« angesprochen. Denn das Land bleibt zerrissen

von Sophie Albers Ben Chamo  25.07.2024

USA

Die zweite Wahl?

Mit dem Rückzug von Joe Biden und der Kandidatur von Kamala Harris könnte das Rennen um die Präsidentschaft noch einmal richtig spannend werden

von Michael Thaidigsmann  24.07.2024

Jüdische Emigration

Die Niederlande - Ein Ort der Zuflucht für Juden?

Die Historikerin Christine Kausch nimmt das Leben jüdischer Flüchtlinge in den Blick

von Christiane Laudage  24.07.2024

Vor 80 Jahren

Von Rhodos nach Auschwitz

1944 wurden 2000 Jüdinnen und Juden von Rhodos nach Auschwitz deportiert. Nur wenige überlebten

von Irene Dänzer-Vanotti  23.07.2024

Jerusalem

Nach Gaza entführter Holocaust-Experte für tot erklärt 

Der Historiker Alex Dancyg ist in der Geiselhaft umgekommen

 22.07.2024