München

Flucht vor dem Brexit

Der Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, Pinchas Goldschmidt, bringt am Türrahmen des Eingangs die Mesusa an. Foto: Robert Gongoll

Kurz nach Rosch Haschana ist am Dienstagabend das Zentrum für jüdisches Leben in München und der neue Hauptsitz der Europäischen Rabbinerkonferenz (CER) feierlich eröffnet worden. Vor dem Eingang am Prinz-Ludwig-Palais in der Türkenstraße hängt nun gut sichtbar das entsprechende Schild, und vor den Büroräumen in der dritten Etage bezeugt die angebrachte Mesusa, dass das Zentrum seine Arbeit aufgenommen hat.

Rabbiner und Rebbetzins aus ganz Europa werden künftig in München die Gelegenheit haben, an CER-Bildungsveranstaltungen zu halachischen und rabbinischen Fragen teilzunehmen. Auch sollen in der bayerischen Landeshauptstadt künftig internationale Tagungen zu aktuellen, das Judentum betreffenden Themen stattfinden. So ist für 2024 eine Konferenz zum Thema »Werte« geplant.

In den Gesprächen am Rande klang eine gewisse Verstörtheit über die Aiwanger-Affäre durch.

»München wird mit der Ankunft der Europäischen Rabbinerkonferenz noch mehr zu einer Hauptstadt des jüdischen Lebens in Europa«, betonte Charlotte Knobloch bei der Einweihung. »In Bayern schlägt heute das Herz des europäischen Judentums. Ich bin überwältigt, dass so etwas möglich ist.«

Die 90-jährige Präsidentin der örtlichen Kultusgemeinde kennt ihre Heimatstadt noch aus deren dunkelsten Zeiten im Nationalsozialismus. Knobloch hat miterlebt und sich dafür engagiert, dass sich jüdisches Leben in der bayerischen Landeshauptstadt nach und nach wieder entfaltet hat. Mit dem neu eröffneten Zentrum gibt es nun einen weiteren Ort mit Ausstrahlungskraft.

EINLADUNG Dass die CER ihren Hauptsitz nach 67 Jahren von London nach München verlegt, ist einerseits auf den Brexit zurückzuführen. Innerhalb der EU kann die Dachorganisation, die mit rund 800 aktiven Rabbinern die größten jüdischen Gemeinden Europas vertritt, besser agieren als außerhalb. Ein weiteres wichtiges Argument für den Umzug war zweifellos die Einladung des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) an die Konferenz der europäischen Rabbiner 2022 in München.

Der neue Standort habe zugleich eine symbolische Bedeutung, betonte Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, der CER-Präsident, in seiner Ansprache: »Die Verlegung des Hauptsitzes nach München symbolisiert Hoffnung und eine Botschaft an alle dunklen Kräfte, die das jüdische Volk bedrohen. München, ein Ort mit einer tragischen Geschichte, zeigt heute ein blühendes jüdisches Leben. Diese Entwicklung ist ein Beweis dafür, dass Antisemitismus keinen Erfolg haben wird.«

Diese Auffassung teilten am Dienstagabend auch die beiden Mitglieder der bayerischen Staatsregierung vor Ort. Der Leiter der Staatskanzlei, Florian Herrmann (CSU), betonte, es sei eine große Ehre, dass »ein weiterer Leuchtturm jüdischen Glaubens in Bayern Heimat gefunden« habe. Der Freistaat stehe zu seinem Schutzversprechen für jüdisches Leben. »›Nie wieder‹ ist unsere Staatsräson und ein immerwährender Auftrag für alle in Politik und Gesellschaft«, so Herrmann. Bayern unterstütze das neue Zentrum mit 1,5 Millionen Euro pro Jahr.

BEGEGNUNGEN Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) lobte das Programm »Welcome a Rabbi«. Dabei gehen Rabbiner in Schulklassen und beantworten Fragen. Diese Begegnungen ermöglichten ein gegenseitiges Kennenlernen. Das sei vor allem für die Kinder und Jugendlichen wichtig, die bisher noch keinen Kontakt zu Juden hatten. Es sei angedacht, das Programm auf andere Bildungseinrichtungen auszuweiten, so Piazolo.

Für die Stadt München sprach am Dienstagabend die Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne). »Herzlich willkommen (…). Wir freuen uns, dass Sie da sind und bleiben«, sagte die Kommunalpolitikerin und erinnerte an das blühende jüdische Leben in München vor dem Holocaust, das grausam zerstört wurde.

Angesichts von immer noch vorhandenem Antisemitismus sei es nötig, in den gesellschaftlichen Diskurs einzutreten. Sie freue sich darüber, dass die CER sich hier ebenfalls engagieren wolle, so Habenschaden.

HÄPPCHEN Anschließend gab es Häppchen und Gespräche, etwa mit der neuen israelischen Generalkonsulin in München, Talya Lador-Fresher. Der Evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der katholische Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg und der griechisch-orthodoxe Metropolit Apostolos Malamoussis bekundeten die Verbundenheit der christlichen Konfessionen mit dem Judentum.

»Die Verlegung des Hauptsitzes nach München symbolisiert Hoffnung und eine Botschaft an alle dunklen Kräfte.«

Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, CER-Präsident

Und neben den Vizepräsidenten des Bayerischen Landtags, Wolfgang Heubisch (FDP) und Thomas Gehring (Bündnis 90/Die Grünen), gratulierten auch die Intendantin des Bayerischen Rundfunks, Katja Wildermuth, und der Antisemitismusbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Ludwig Spaenle, zum Umzug. Boris Mints und Joelle Aflalo, Vorsitzender des Förderrats der CER und seine Stellvertreterin, sowie Dayan Menachem Gelley, Vorsitzender des Europäischen Beit Din, mischten sich unter die internationale Gästeschar.

In den Gesprächen am Rande überwog zwar eine heitere Grundstimmung, doch immer wieder klang hier und da eine gewisse Verstörtheit über die »Flugblatt-Affäre« des stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger durch.

Dennoch spürten die Teilnehmer der Einweihungsfeier, dass sich zwischen den verschiedenen Akteuren viel Vertrauen entwickelt hat und dass Zuversicht und Stolz auf das bisher Erreichte überwiegen. Am Standort München kann in Zukunft viel Gutes geschehen.

Baku/Malmö

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