Russland

Faustpfand des Kreml?

Der Journalist wurde vom Inlandsgeheimdienst FSB in Jekaterinburg verhaftet. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Er ist der erste Journalist aus einem westlichen Land, dem seit dem Zerfall der So­wjetunion in Russland Anklage wegen Spionage droht. Am Mittwoch vergangener Woche erfolgte in Jekaterinburg die Festnahme des US-Amerikaners Evan Gershkovich. Als Moskauer Korrespondent des »Wall Street Journal« hielt er sich nicht zum ersten Mal im Ural auf, wo sich die russische Rüstungsindustrie konzentriert.

In einer Erklärung des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB heißt es, Gershkovich habe im Interesse der amerikanischen Regierung Daten über einen Betrieb eruiert, die dem Staatsgeheimnis unterliegen. Darauf stehen bis zu 20 Jahre Haft.

verdacht Kremlsprecher Dmitrij Peskow kommentierte den Vorfall umgehend: Es handele sich keineswegs nur um einen Verdacht, vielmehr sei der Amerikaner »auf frischer Tat ertappt« worden. Details über die Vorwürfe gegen den Journalisten bleiben unter Verschluss. Isoliert von der Außenwelt befindet er sich vorerst bis zum 29. Mai im berüchtigten Moskauer Lefortowo-Gefängnis.

Seinem Anwalt Daniil Berman wurde die Teilnahme am Haftprüfungstermin verwehrt, pro forma war lediglich ein Pflichtverteidiger zugelassen. Peskow beschwichtigte ausländische Medien, die um die Sicherheit ihrer nach Russland entsandten Korrespondenten besorgt sind, mit der Aussage, alle Journalisten mit gültiger Akkreditierung könnten weiterhin uneingeschränkt ihrer Tätigkeit nachgehen.

Gershkovich wurde 1991 in New York City in eine jüdische Familie geboren. Seine Mutter kam aus Odessa, der Vater aus Moskau. Sie hatten 1979 die Sowjetunion verlassen, sich später in Detroit kennengelernt und sich schließlich in Princeton niedergelassen. Dort wuchs Evan mit seiner älteren Schwester auf. Zu Hause wurde Russisch gesprochen, was ihn nach seiner Entscheidung für eine journalistische Laufbahn dazu prädestinierte, als Reporter aus dem Geburtsland seiner Eltern zu berichten.

moskau In den USA schrieb er zunächst für die »New York Times«, siedelte aber bereits 2017 nach Moskau über. Dort war er für die lokale englischsprachige Zeitung »Moscow Times« tätig, bis er zur Nachrichtenagentur Agence France-Press wechselte.

Anfang 2022 trat er eine Stelle im Moskauer Büro des »Wall Street Journal« an. Es sei sein »Traumjob« gewesen, beschrieb es Pjotr Sauer im britischen »Guardian«. Mit Gerskhovich, der für ihn eine Art Mentor gewesen sei, verbinde ihn eine enge Freundschaft. Überhaupt pflegte Gershkovich zu vielen Journalisten auch über die Arbeit hinaus intensive Kontakte und empfand es als ungeheures Privileg, weiterhin aus Russland berichten zu können, wo doch viele russische Kollegen das Land verlassen mussten.

Viele Bekannte des Journalisten bescheinigten ihm ein für ausländische Reporter seltenes Vermögen, tief in die Paradoxie des russischen Lebens einzutauchen. In ihren Erzählungen wirkt er wie einer, der seine Arbeit gern und gründlich macht, was sich in seinen Artikeln widerspiegelt. Aber ihn verbinde mit Russland auch eine innige Liebe. Und er wollte verstehen, wie sich das Land vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine verändert. Zwischenzeitlich nach London umgezogen, kehrte er wieder zurück, sich der Risiken, so Sauer, durchaus bewusst.

GEFANGENENAUSTAUSCH So außergewöhnlich der Spionagevorwurf gegen einen westlichen Korrespondenten auch ist, so banal könnten die Hintergründe dafür sein. Gershkovich bietet sich geradezu für einen Gefangenenaustausch an. Zwar dementierte das russische Außenministerium etwaige Vermutungen als verfrüht, aber es gebe genügend Personen, um deren Auslieferung sich Russland bislang vergeblich bemüht.

Einer davon ist der mutmaßliche Auslandsagent Sergej Tscherkassow, der sich mit einer brasilianischen Identität beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag beworben hatte und wegen Dokumentenfälschung nach Brasilien abgeschoben wurde. Wenige Tage vor Gershkovichs Festnahme unterbreiteten die USA Tscherkassow, der zeitweilig dort ansässig war, eine Anklage wegen Spionage.

Interreligiöser Dialog

»Das ist Verrat«

Ein Imam aus den Niederlanden nahm an einer Reise muslimischer Geistlicher nach Israel teil - prompt verlor er seinen Job

von Michael Thaidigsmann  15.07.2025

USA

Düsterer »Nice Jewish Boy«

Seinen ersten Kinofilm sah Ari Aster im Alter von vier Jahren und ist fast daran gestorben. Als junger Hollywood-Regisseur mischt er nun das Horror-Genre auf

von Sarah Thalia Pines  14.07.2025

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

Philosophie

Der Moment des Staunens

Am 13. Juli jährt sich der Geburtstag von Jeanne Hersch zum 115. Mal. Lange wurde die Existentialistin ausgerechnet von der akademischen Forschung marginalisiert – und kaum als jüdische Philosophin wahrgenommen

von Richard Blättel  11.07.2025

Spanien

»Haut ab, ihr Hurensöhne« - Wirt vertreibt Israelis

Ein Gastwirt rastet gegenüber einer Gruppe israelischer Touristen aus, beschimpft sie und verweist sie des Lokals

von Michael Thaidigsmann  11.07.2025

Nachruf

Er bleibt eine Inspiration für uns alle

Der langjährige Zürcher Gemeinderabbiner Marcel Ebel ist verstorben. Eine Würdigung von seinem Nachfolger

von Rabbiner Noam Hertig  10.07.2025

Australien

Judenhass in Down Under

Mit unerwarteter Brutalität und Hemmungslosigkeit breitet sich der Antisemitismus im Land aus. Doch die jüdische Gemeinschaft gibt nicht auf

von Amie Liebowitz  10.07.2025

Großbritannien

BeTe’avon!

Das Jewish Museum London bittet britische Juden um Rezepte fürs Schabbatessen. Auf der Suche nach dem, was schmeckt

von Sophie Albers Ben Chamo  10.07.2025

USA

Die US-Regierung, Trump und der Fall Jeffrey Epstein

Trump wollte die Akten zum Sexualstraftäter Epstein veröffentlichen, seine Mitarbeiter verbreiteten Verschwörungstheorien. Nun wollen sie davon nichts mehr wissen - das macht einige Trump-Fans wütend

von Benno Schwinghammer  09.07.2025

Spanien

Mallorca hat einen neuen Rabbiner

Rund 1000 Juden leben auf der bei deutschen Touristen beliebten Baleareninsel

 09.07.2025