Faktencheck

Ist das viel geteilte Video mit Selenskyj authentisch?

Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj (Archiv) Foto: imago images / ZUMA Press

Ein Video in den sozialen Netzwerken soll angeblich den jetzigen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei einer vor Jahren gehaltenen Hetzrede zeigen. »Bekämpft die Russensäue, die Deutschen, die Judenschweine und anderes Ungeziefer«, heißt es darin. Im Beitragstext (archiviert) dazu steht: »Wolodymyr Selenskyj - Präsident der Ukraine - 2014«. Aber ist der dort wirklich zu sehen?

Bewertung

Nein. Der Redner ist offenkundig nicht Selenskyj. Es handelt sich um Oleh Tjahnybok von der rechtsextremen ukrainischen Partei Swoboda.

Fakten

Das Video stammt dem eingeblendeten Text zufolge aus einer Sendung der ARD-Talkshow »Anne Will«. Diese hatte sich während der Maidan-Revolution und der Annektierung der Krim durch Russland im Jahr 2014 mehrfach mit der Ukraine beschäftigt. Der konkrete Ausschnitt ist ein Einspieler aus der Sendung vom 12. März 2014. Von dieser gibt es im Internet zwar keine Mitschnitte mehr. Aus einem Artikel über die Sendung geht jedoch hervor, dass es darin an diesem Tag auch um rechte und rechtsextreme Tendenzen in der ukrainischen Politik ging.

Auf dem auf Facebook verbreiteten Ausschnitt aus einem Einspieler ist nicht Wolodymyr Selenskyj zu sehen, sondern der ukrainische Politiker Oleh Tjahnybok von der rechtsradikalen Partei Sowoboda (»Freiheit«). Die Aufnahme stammt bereits aus dem Jahr 2004 und wurde im März 2014 nicht nur bei »Anne Will«, sondern auch im ARD-Magazin »Panorama« gezeigt. Dieses korrigierte seine Übersetzung aus dem Ukrainischen allerdings nachträglich.

In einer neuen Fassung, die sich vom Ausschnitt auf Facebook unterscheidet, klingen Tjahnyboks Formulierungen nicht mehr wie ein direkter Aufruf, sondern wie eine Schilderung von früheren Kämpfen und Verbrechen nationalistischer ukrainischer Gruppen: »Sie hängten sich Gewehre um den Hals und gingen in die Wälder. Sie kämpften gegen Russen und Deutschen, gegen Judenschweine und sonstiges Gesindel, welches uns den ukrainischen Staat wegnehmen wollte.« »Panorama« gibt an, die Übersetzung aufgrund von Zuschauerhinweisen angepasst zu haben.

Die aufhetzende Rede wurde offenbar bei einem Treffen ukrainischer Nationalisten im Jahr 2004 in den Karpaten gehalten. Tjahnybok erinnert darin an Stepan Bandera. Dieser kämpfte ab den 1930er Jahren für die ukrainische Unabhängigkeit und mit einer Miliz gegen Polen, Sowjets und Deutsche und auch gegen die jüdische Bevölkerung. Im Zweiten Weltkrieg verbündete er sich zwar zunächst mit Deutschland, wurde von den Nationalsozialisten aber später verhaftet und in einem deutschen Konzentrationslager interniert.

Tjahnybok wiederum ist einer der wichtigsten Vertreter der rechtsextremen und nationalistischen Bewegung in der Ukraine der Gegenwart. Vor und während der Maidan-Revolution im Jahr 2014 engagierte er sich in der Opposition gegen den pro-russischen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Tjahnyboks Partei Swoboda pflegte nachweislich Kontakte zur rechtsextremen NPD in Deutschland, war aber auch an der ersten ukrainischen Regierung nach dem Sturz von Janukowitsch beteiligt.

Es gibt seither immer wieder Kritik an Politikern aus der Ukraine und auch aus der EU, die mit Tjahnybok zusammengearbeitet oder ihn getroffen haben. An der aktuellen ukrainischen Regierung ist Swoboda jedoch nicht beteiligt. Bei der Parlamentswahl 2019 erhielt die Partei nur rund zwei Prozent der Stimmen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist selbst Jude. Dass er gegen Jüdinnen und Juden gehetzt haben könnte, entbehrt jeder Wahrheit. dpa

(Stand: 3.3.2022)

Links

Übersicht mit den Sendungsthemen von »Anne Will« (archiviert)

Ankündigungstext für »Anne Will« am 12.3.2014 (archiviert)

»Welt«-Artikel über die Sendung (13.3.2014) (archiviert)

Bericht mit Foto von Oleh Tjahnybok bei »Ukrinform« (16.10.2013) (archiviert)

»Panorama«-Beitrag unter anderem über Tjahnybok (6.3.2014) (archiviert)

Hinweis von »Panorama« zu korrigierter Übersetzung (17.3.2014) (archiviert)

MDR-Bericht über Stepan Bandera (21.11.2017) (archiviert)

Antwort auf Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion zu Kontakten zwischen Swoboda und NPD (22.8.2013) (archiviert)

»Spiegel« über Regierungsbeteiligung von Sowoboda (3.3.2014) (archiviert)

Ergebnisse der ukrainischen Parlamentswahl 2019 (archiviert)

»Jüdische Allgemeine« über Selenskyj (24.2.2022) (archiviert)

Beitrag auf Facebook (archiviert; archiviertes Video)

USA

Der Lautsprecher

Howard Lutnick gibt sich als Architekt der amerikanischen Zollpolitik. Doch der Handelsminister macht sich mit seiner aggressiven Art im Weißen Haus zunehmend Feinde

von Sebastian Moll  18.04.2025

Ungarn

Die unmögliche Geige

Dies ist die zutiefst berührende Geschichte eines Musikinstruments, das im Todeslager Dachau gebaut und 70 Jahre später am Balaton wiedergefunden wurde

von György Polgár  17.04.2025

Medien

Noa Argamani ist auf der »Time 100«-Liste

Alljährlich präsentiert das »Time Magazine« die 100 einflussreichsten Menschen der Welt. 2025 ist auch eine freigelassene israelische Geisel dabei

 17.04.2025

USA

Neuauflage von Weinstein-Prozess startet

Vor gut einem Jahr überraschte ein Gericht in New York die Welt und hob das historische Vergewaltigungsurteil gegen Harvey Weinstein auf. Nun wird über die Vorwürfe erneut verhandelt

von Benno Schwinghammer  14.04.2025

Türkei

Die Optimistin

Liz Behmoaras schrieb über das jüdische Leben im Land – und für das Miteinander. Ein Nachruf

von Corry Guttstadt  14.04.2025

Ägypten

Gefährliches Paradies

Der Sinai ist einer der wenigen Urlaubsorte im Ausland, den Israelis auf dem Landweg erreichen können. Gern auch zu Pessach. Aber zu welchem Preis?

von Matthis Kattnig  11.04.2025

Feiertag

Putzen, Plagen, Playmobil

Neben Mazza und Haggada bietet Pessach Raum für ganz neue, individuelle Rituale. Wir haben uns in sieben Familien in Europa und Israel umgehört

von Nicole Dreyfus  11.04.2025

Israel-Boykott

Johnny Rotten nennt Hamas »einen Haufen von ›Judenvernichtern‹ «

Eine irische Zeitung hat versucht, den Ur-Punk Johnny Rotten vorzuführen, der sich kraftvoll gegen einen Boykott Israels wehrt. Das ging gründlich schief

von Sophie Albers Ben Chamo  10.04.2025

USA

Eine Hochschule und ihr LGBTQ-Klub

Die einen feiern den »Meilenstein für queere Juden«, die Yeshiva University rudert zurück. Nicht nur die orthodoxe Gemeinschaft ist verwirrt

von Sophie Albers Ben Chamo  10.04.2025