Man will an diesem Mann einen Makel finden. Etwas Schmutziges. Also der vorsichtige Versuch: Gibt es irgendeinen merkwürdigen Geruch, den er gut findet? Carlos Huber lächelt. Und zwar so, dass man nicht sicher sagen kann, ob das nun ein Hugo-Boss- oder ein Calvin-Klein-Lächeln ist. In jedem Fall ist es ein Lächeln aus dem Bilderbuch. So wie auch seine Karriere. Und seine Antworten. Huber lächelt fast immer.
Ein Septembermorgen in Downtown Manhattan. Little Italy heißt das Viertel, in dem früher die Mafia operierte und in dem heute Vintage-Cocktail-Kleider 1500 Dollar kosten. Die Sonne strahlt, Indian Summer. Carlos Huber ist zu spät. 25 Minuten. Er entschuldigt sich. Der Tag sei stressig. In ein paar Stunden fliege er nach London. »Die nächsten Wochen sind die wichtigsten des Jahres«, sagt er. »Es sind die Wochen, in denen wir den Händlern und Journalisten die neuen Produkte präsentieren.« Von London geht es nach Paris. Weiter nach Italien. Dann Australien und Dubai.
Und jetzt die fast unvermeidliche Frage: Welchen Duft trägt er, der Duftexperte, an einem langen Reisetag wie diesem? »Heute? L’Etrog! Ich wollte etwas Frisches, Leichtes.« Huber muss es dezent aufgetragen haben, man riecht es nicht. Zumindest nicht aus einem Meter Distanz, und so viel Körperabstand sollte man grundsätzlich halten.
Zeitkapseln Carlos Huber wird diese Fragen nach Duft, Gestank und den Sinnen gewohnt sein. Der 35-Jährige riecht hauptberuflich. Huber gründete 2011 die Parfümlinie »Arquiste«. Ein Worthybrid aus »Arquitectura«, »History« und »Artiste«. Und dieser Name geht nicht nur weich über die Lippen, er hat auch einen Hintergrund. Huber war jahrelang Architekt, ehe er vor ein paar Jahren die Branche wechselte. Doch er legte seine erste Profession nicht vollständig ab, er kombiniert sie mit seiner jetzigen. Und so nähert sich der junge Mann den Düften, die er entwickelt, auf eine ungewöhnliche Art und Weise. Er hat sich zum Ziel gesetzt, besondere Momente der Weltgeschichte einzufangen und sie in Flaschen zu füllen. Seine Flakons sind Zeitkapseln. Carlos Huber ist der Denkmalpfleger unter den Parfümeuren. »Ich baue meine Düfte wie Gebäude«, sagt er.
Blaues Jeanshemd, ockerfarbene Hose, über den weißen Turnschuhen blitzen blau-weiß geringelte Socken hervor. Wie im Katalog. Huber ist braun gebrannt, trägt Viertagebart, an der linken Hand eine silberne Uhr, an der rechten bunte Bändchen. Man sieht, dass er regelmäßig joggt und ins Fitnessstudio geht. Das Büro in Little Italy teilt er sich mit einer anderen Firma. Der Platz ist begrenzt. »Ziel ist ein eigener Shop hier in New York«, sagt Huber, dessen spanischer Akzent sich über die tiefe Stimme legt.
Huber wuchs in Mexiko City auf. Seine Vorfahren kommen aus Polen und wanderten in den 20er-Jahren nach Lateinamerika aus – obwohl das Ziel seines Urgroßvaters damals eigentlich New York war, die Stadt, in der Huber heute lebt. Doch die Anlaufstelle für Immigranten auf Ellis Island war zwischenzeitlich geschlossen, und so zog der Urgroßvater weiter nach Mexiko.
Carlos Huber ging auf eine jüdische Schule, in seiner Familie spielte Religion jedoch keine übergeordnete Rolle. »Wir halten die Hohen Feiertage, gehen am Jom Kippur in die Synagoge, aber ich selbst war nie sehr religiös«, sagt Huber.
Doch im Religionsunterricht passte er auf. Jahrzehnte später erwies sich die jüdische Bildung aus einem ganz besonderen Grund als hilfreich. In seiner Grundschule hatten ihn die Lehrer über die einzelnen Feiertage unterrichtet. Auch über das Sukkotfest, bei dem die seltene Zitrusfrucht Etrog eine besondere Rolle spielt. Der Etrog, entweder gelb oder grün und an der Haut meist vernarbt, gehört zum Sukkot-Feststrauß und wird traditionell mit dem Apfel des Paradieses identifiziert. Auf Märkten kommen manche Käufer mit der Lupe, um die Frucht zu inspizieren. Sie ist von hohem Wert. So wurde es Carlos Huber als kleiner Junge beigebracht.
Marokko Im Jahr 2008 – Huber arbeitete gerade als Innenarchitekt für Ralph Lauren, begann sich aber mehr und mehr für Parfüms zu interessieren – traf er einen Landschaftsarchitekten. »Der fragte mich: Du bist doch jüdisch, oder? Und dann erzählte er von seinem Haus in Marokko und dem Etrogfeld, das so unglaublich rieche. Ich erinnerte mich an diesen speziellen Geruch aus meiner Kindheit. So entstand die Idee, ein Parfüm zu entwickeln, das wie der Etrog riecht«, sagt Huber. Doch bis dahin vergingen Jahre.
Nach dem Abitur hatte Huber in Mexiko und in Paris Architektur studiert. Doch der Beruf des Architekten war ihm nicht genug. »Ich wollte mich spezialisieren. Und habe an der Architektur immer den historischen Part geliebt. Also habe ich mich in New York an der Columbia University beworben.« Von 2006 bis 2008 studierte er dort Denkmalpflege. Seine Abschlussarbeit schrieb er über das 1580 erbaute und derzeit leer stehende Kloster Jesus Maria in Mexiko City. Dabei konzentrierte er sich auf das Verhältnis von öffentlichem Raum und privater Schirmherrschaft. Als seine Arbeit ausgezeichnet wurde, hatte ihn sein Professor, der bekannte Buchautor Jorge Otero-Pailos, längst ins Herz geschlossen. »Er wurde mein Mentor, und wir haben nach dem Studium zusammengearbeitet«, sagt Huber. Sie vereint die Überzeugung, dass die Erfahrung eines Gebäudes wichtiger sein kann als das Bauwerk selbst. Huber erinnert sich an einen Moment, als sie zusammen in Venedig ein Gebäude aus dem 14. Jahrhundert restaurierten: »Ich habe den alten Stein und das Wasser der Lagune gerochen und mir gewünscht, diesen Duft des alten Venedig einzufangen.« Der Weg war also bestimmt.
Die Arbeit als Innenarchitekt erfüllte ihn nicht. Und genau in dieser Phase der Zweifel und Unzufriedenheit lernte Huber einen Mann kennen, der sein Leben verändern sollte: den Parfümeur Rodrigo Flores-Roux, der wie Huber aus Mexiko stammt. »Wir wurden Freunde, und irgendwann habe ich ihn gefragt, ob er mich unterrichten könne.« Sie trafen sich über ein Jahr lang jeden Donnerstag um 18 Uhr, der Schüler bekam Hausaufgaben auf. »Ich habe gelesen und gelesen und Schritt für Schritt gelernt«, sagt Huber.
Sortiment Seine 2011 gegründete Parfümlinie »Arquiste« wird mittlerweile weltweit verkauft. Doch die Zahl der Läden ist gering. In Deutschland sind es nur fünf Geschäfte, unter anderem das KaDeWe. Zehn Düfte und neuerdings auch Kerzen gehören zum Sortiment. Und jeder Duft hat seine eigene Geschichte. Mit »L’Etrog«, einem der erfolgreichsten Parfüms, will Carlos Huber den Geruch von Sukkot in Kalabrien im Oktober 1175 einfangen. »Der zitronige Duft des Etrogs, eine regionale Spezialität, erfrischt die Luft, während belebende Myrte und saftige Dattel die süße Wärme der mediterranen Nacht umhüllen«, heißt es schwülstig in der Beschreibung. Huber entwickelte »L’Etrog« zusammen mit seinem Lehrer Rodrigo Flores-Roux und einem weiteren Großmeister: dem Franzosen Yann Vasnier, über den das Forbes-Magazin einmal schrieb, dass er »einer der coolsten Menschen ist, die du nicht kennst«.
Die Inhaltsstoffe für »L’Etrog« bekommt Huber aus Süditalien, Südfrankreich und Marokko. Produziert wird das Parfüm in New York. 55 Milliliter kosten 165 Dollar. Mit »L’Etrog Acqua« hat Huber außerdem ein verwandtes Aroma für den Morgen entwickelt.
Ein weiterer Duft heißt »Aleksandr«. Huber will die Träger damit ins Jahr 1873 zurückversetzen. Das Parfüm ist dem russischen Dichter Alexander Puschkin gewidmet, »einem hitzköpfigen Gentleman, der an einem frostigen Winternachmittag in St. Petersburg sein Morgenbad beendet«, wie es in der Beschreibung heißt. Alexander wirft seinen Pelz über und zieht die Lederstiefel an, reitet mit dem Schlitten an Tannen entlang auf eine Lichtung zu und »wartet dort auf ein verhängnisvolles Duell«.
Viel Pathos liegt da in der Luft. Und natürlich ist es auch PR. »Ich will die Leute neugierig machen«, sagt Huber, der für jeden Duft so lange recherchiert, bis er das Gefühl hat, zu wissen, wie es damals roch.
Schöngeist Carlos Huber ist mit Privilegien gesegnet. Sein Elternhaus – Vater und Mutter sind beide Zahnärzte –, sein Talent, sein Aussehen. Ein charmanter Schöngeist mit 1a-Bildung. Karriere zu machen, war da fast kaum zu vermeiden. Doch der ungewöhnliche Schritt heraus aus der Architekturbranche, hinein in ein neues Feld, verlangte Mut. Es war ein Risiko. Ein Reset zum Anfängerstatus. Neues Business, neues Handwerk, neue Unsicherheit.
Das Risiko hat sich gelohnt. 2013 wurde Carlos Huber von der Fashion Group International als »Rising Star« ausgezeichnet. Vogue, Elle und GQ preisen seine Düfte. Und seine neueste Erfindung, »Nanban«, ein rauchiger, lederiger Duft, mit dem Huber gerade weltweit auf Werbetour unterwegs ist, werde von den Händlern gut angenommen, sagt er.
Wie die Vergangenheit aussah und sich anhörte, können wir über Gemälde, Skizzen, Fernsehen und Radio nachempfinden. Doch wie roch die Vergangenheit? Über diese Frage hat Huber Zugang ins Business gefunden und sich seine Nische geschaffen.
Ist der Parfümeur enttäuscht, wenn Kunden seine Produkte einfach nur mögen, ohne sich tiefer damit zu beschäftigen? »Nein, nein«, sagt er, enttäuscht sei er nicht. »Aber ich freue mich natürlich, wenn sie sich mit der Geschichte auseinandersetzen.«
Huber lebt in einem Apartment im West Village. Im Laufe der Jahre ist New York zu seiner Stadt geworden – auch wenn sie seiner Meinung nach einen Makel hat: den Geruch. »Es ist wirklich eine dreckige Stadt. Fast überall riecht es nach Müll«, sagt Huber. »Ich kann nicht verstehen, warum das nicht gelöst wird.«