USA

Erde statt Asche

Nach der Halacha nicht erlaubt: die Feuerbestattung Foto: JA

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Erde statt Asche

Immer mehr Menschen lassen sich nach dem Tod verbrennen. Rabbiner versuchen, diesem Trend entgegenzusteuern

von Sue Fishkoff  10.05.2010 16:05 Uhr

Die Zahl der Urnen auf jüdischen Friedhöfen in den USA nimmt stetig zu. Angesichts der wachsenden Zahl von Feuerbestattungen versucht eine USA-weite Dachorganisation jüdischer Bestattungsvereine, die traditionelle Erdbestattung bei den liberalen Juden wieder populärer zu machen. »Unsere Kampagne geht das Thema positiv an, statt lediglich negativ zu sagen: Lassen Sie sich nicht einäschern«, sagt Rabbi Stuart Kelman, Präsident von Kavod v’Nichum, einem Zusammenschluss von Bestattungsvereinen, jüdischen Beerdigungsinstituten und Friedhöfen.

Während die orthodoxe Bewegung Feuerbestattung als Entweihung verbietet, ist sie bei der Reformbewegung erlaubt und wird von den Mitgliedern immer lauter gefordert. Die Konservativen nehmen eine Position dazwischen ein: Sie sprechen sich gegen die Praxis der Einäscherung aus, verbieten Rabbinern aber nicht, an dem Begräbnis teilzunehmen, bevor die Leiche tatsächlich verbrannt wird.

Den jüdischen Quellen zufolge soll der menschliche Körper nach dem Tod wieder zu dem Staub werden soll, aus dem er geschaffen wurde. In der orthodoxen Interpretation heißt das: Der Körper muss als Ganzes beerdigt werden, denn im messianischen Zeitalter stehen die Toten wieder auf. Rabbiner betonen die psychologische Weisheit des jüdischen Bestattungsrituals, das die Trauerzeit begrenzt und die Trauernden zwingt, der Endgültigkeit des Todes ins Auge zu sehen, wenn sie dabei zuschauen, wie der Körper eines geliebten Menschen in die Erde hinabgesenkt wird. »Es kommen oft Leute zu mir, die einen Angehörigen einäschern ließen. Sie meinen, es sei, als wären sie von einem Moment zum anderen verschwunden«, sagte Kelman. Es gebe für sie »keinen Abschluss«. Viele argumentieren auch, das Verbrennen jüdischer Leichen im Holocaust gebiete es, diese Praxis nicht freiwillig auszuüben.

ökologie Laut Rabbi Stephen Pearce von der Reformgemeinde Emanu-El in San Francisco haben über 50 Prozent der Begräbnisse in seiner Gemeinde mit irgendeiner Art von Einäscherung zu tun – eine Zahl, die viele seiner Kollegen als übertrieben hoch einschätzen, obwohl auch sie einräumen, dass die Zahl der Feuerbestattungen in ihren Gemeinden stetig wachse.

Dan Brodsky vom New Mount Sinai Cemetery in St. Louis berichtet, 19 Prozent der Begräbnisse auf seinem Friedhof seien Urnenbeisetzungen, während die Zahl vor vier Jahren noch im einstelligen Bereich lag. Auf nationaler Ebene, sagt Rabbi Richard Address, zuständig für Fragen zur jüdischen Familie bei der Union for Reformed Judaism, habe er bei den von ihm besuchten Reformgemeinden eine »geringfügige« Zunahme der Feuerbestattungen festgestellt.

Pearce vermutet, die Praxis finde sich aufgrund ökologischer Bedenken an der Westküste häufiger. Dort betrachteten viele Menschen die Erdbestattung als Verschwendung begrenzten Raums.

Tatsächlich aber würden Feuerbestattungen die Atmosphäre mit einer Menge karzinogener Stoffe belasten und mehr Energie als Erdbestattungen verbrauchen, sagt Stuart Kelman. Der Rabbiner hat vor wenigen Wochen in Mill Valley, nördlich von San Francisco, den ersten »grünen« jüdischen Friedhof der USA eröffnet: »Gan Yarok« (Grüner Garten).

kosten Als Hauptgrund für das wachsende Interesse an einer Kremierung führen viele Gemeindemitglieder die Kosten an. Für eine jüdische Beerdigung und ein Grab zahlt man 5.000 bis 12.000 Dollar. Eine Feuerbestattung hingegen kostet nur etwa 1.000 Dollar. Viele Rabbiner und Gemeindefunktionäre sind sich darin einig, dass die jüdische Gemeinschaft hier mehr tun muss, um die Beerdigungskosten zu senken. Manche denken darüber nach, für die Verwendung einfacher Holzsärge zu werben.

Viele jüdische Friedhöfe stecken in einem Dilemma: Sie müssen eine größere Gruppe von Juden mit unterschiedlichen religiösen Standards bedienen. Gary Webne, stellvertretender Direktor eines Friedhofsverbands in Virginia, sagt: »Regeln sind nicht in Stein gemeißelt, wir müssen moderne Bedürfnisse ernst nehmen.«

Ralph Zuckerman, geschäftsführender Direktor des Clover Hill Cemetery in Birmingham, Michigan, erinnert sich an den Tag, an dem er einem älteren Mann sagen musste, dass die Frau, mit der er 40 Jahre lang verheiratet gewesen war, nicht mit ihm begraben werden könne, weil sie nie zum Judentum konvertiert war. Die Tränen seien dem Mann über die Wangen gelaufen.

»Diejenigen Juden, die sich keiner der religiösen Strömungen zugehörig fühlen, sind die Mehrheit, und die meisten von ihnen wissen nicht, was die jüdische Tradition über den Tod sagt«, so Zuckerman. Sein Friedhof, der den Konservativen gehört, aber auch Reformjuden und Orthodoxe betreut, wird demnächst spezielle Abteilungen für Aschenurnen und »gemischte« Ehepaare einrichten. »Ich kann meinen Kopf nicht in den Sand stecken und sagen, dass es halachisch nicht korrekt ist«, so Zuckerman. »Die Entwicklung geht in diese Richtung, und wir müssen für alle Juden da sein.« Doch es sollte nicht den Friedhofdirektoren überlassen werden, derartige Entscheidungen zu treffen, fügt er hinzu.

David Zinner, geschäftsführender Direktor von Kavod v’Nichum, sieht das ähnlich. Es liege im Verantwortungsbereich der örtlichen Bestattungsvereine, ihre Gemeinden über jüdische Ansichten zu Tod, Trauer und Bestattung zu unterrichten.

Wandel »Die Ansichten verändern sich«, sagt Dan Goldblatt, Rabbiner in Danville, Kalifornien. »In einer Zeit, in der der Umweltschutz vielen am Herzen liegt und die Kaschrut-Vorschriften als ethische Kaschrut neu gedacht werden, stellt sich die Frage, was eine ethische Bestattung ist.«

Margaret Holub, Rabbinerin im kalifornischen Albion, gehört zu jenen, die eine Feuerbestattung als legitim anerkennen. »Ich sehe darin eine vernünftige Alternative«, sagt sie. »Es ist schwierig, jemandem zu sagen, er solle 8.000 Dollar für ein Begräbnis ausgeben. Ich kann verstehen, warum einige sich für etwas anderes entscheiden und ihren Toten dennoch Ehre bezeugen.«

Shlomo Graber anlässlich eines Vortrags in einer Schule in Rosenheim im Jahr 2017.

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