Russland

Elf Räume Vergangenheit

Hinter Glas: Vitrinen zeigen 200 Jahre russisch-jüdische Vergangenheit. Foto: Christian Jahn

Noch in der Nacht vor der Eröffnung klebten Leonid Lifljand und seine Helfer die letzten Hinweisschilder an die Vitrinen mit den Ausstellungsstücken. Müde, aber zufrieden begrüßt der Direktor des Museums für die Geschichte der Juden in Russland Gäste und Journalisten. »Heute ist ein ganz besonderer Tag. Unser Haus ist das erste Museum für jüdische Geschichte seit den 30er-Jahren, als die Sowjetführung die letzte Einrichtung dieser Art schloss«, so Lifljand. Damit ist es derzeit auch das einzige in ganz Russland.

Das Museum befindet sich im ersten Stockwerk eines kürzlich fertiggestellten Wohn- und Bürohochhauses an der Petrowsko-Rasumowskaja-Allee im Norden Moskaus. In elf hellen und modern eingerichteten Räumen sind rund 1.000 Gegenstände zu sehen. Die meisten stammen aus Privatbesitz, viele wurden mit Sponsorengeldern eingekauft.

Konzept Die Ausstellung unterteilt sich thematisch in einen Bereich zum religiösen und zum Alltagsleben der russischen Juden sowie in einen Bereich zum Verhältnis zwischen jüdischer Gemeinde und russischer Gesellschaft. »Unser Ziel ist es, das Wissen über das Judentum in Russland und seine rund 200 Jahre andauernde Geschichte vom Ende des 18 Jahrhunderts bis zur Sowjetzeit lebendig zu erhalten«, sagt Lifljand.

Maria Kaspina, einzige festangestellte Mitarbeiterin Lifljands, führt durch die Ausstellung. Im ersten Raum geht es um »Wohltätigkeit und Bildung«. Links neben der Tür sind in Vitrinen große metallene Sammelbüchsen ausgestellt. Die Aufschriften verraten, für welchen Zweck das eingesammelte Geld bestimmt ist: »Chewra Kadischa« steht darauf oder »Waisenkinder«. »Das Sammeln von Geld für wohltätige Zwecke war und ist ein wichtiger Teil des Selbstverständnisses der russischen Juden«, kommentiert Kaspina.

Pessach-Schnaps Der zweite Raum ist dem Alltagsleben gewidmet. »Ein besonders schönes Ausstellungsstück ist dieses gezackte Rädchen mit Holzgriff, mit dem die typischen Löcher in den Mazze-Teig gedrückt wurden«, sagt Kaspina. Daneben in der Vitrine stehen Glasflaschen mit der Aufschrift »Pejsachowka«, also Pessach-Schnaps.

Interessant sind die kleinen Trinkgläser, deren Form an Bierhumpen erinnert. »Die sind für Kinder, dass sie am Pessachfest nicht das Gefühl haben, schlechter behandelt zu werden als die Erwachsenen«, erklärt Kaspina. Gegenüber den Vitrinen mit Küchengeräten, Gläsern und Backformen sind Gegenstände ausgestellt, die den Lebenszyklus beschreiben – ein Kinderwagen für die Geburt, der Chuppa-Baldachin und zweisprachige Eheverträge in Hebräisch und Russisch für die Hochzeit.

Weiter geht es durch Räume zu den Themen »Synagoge und religiöse Kunst« mit wunderschön verzierten Holzbehältnissen für Torarollen aus dem Kaukasus, »Jüdisches Kulturleben« mit Theaterplakaten und bunten Zeitschriften-Titelseiten aus den 30er-Jahren und »Jüdisches Moskau« mit Schriftstücken und Fotos der ältesten Moskauer Synagoge auf der Bolschaja- Bronnaja-Straße.

Siedlungsgebiete Auf sehr großes Interesse stößt auch der Ausstellungsteil »Juden und Staatsmacht«. Auf einer Landkarte sind jüdische Siedlungsgebiete eingezeichnet. Dokumente erzählen vom sowjetischen Experiment eines jüdischen Autonomie-Gebietes. Am Beispiel des Kiewer Prozesses gegen Menachem Bejlis, der 1913 des Ritualmords an einem Jugendlichen beschuldigt wurde, arbeitet die Ausstellung den staatlichen Antisemitismus in Russland auf.

Die Schoa thematisieren wenige Fotos und Schriftstücke. »Natürlich erwähnen wir den Holocaust in einem Museum zur Geschichte des Judentums. Wir haben ihm aber nicht zu viel Platz eingeräumt. Denn dafür gibt es in Moskau ein eigenes Holocaust-Museum«, sagt Kaspina.

Auch nach der Eröffnung gibt es keine Verschnaufpause für die Mitarbeiter des Museums. Die Ausstellung soll interaktiver werden. In einigen Räumen stehen bereits Touchscreens. Durch die Berührung der Bildschirme werden die Besucher in Zukunft zusätzliche Informationen und Hintergründe zu einem Ausstellungsgegenstand aufrufen können. An Programm und Datenbank wird eifrig gearbeitet.

Außerdem plant das Museum Kooperationen mit Schulen und anderen Lehranstalten. Schüler und Studenten sollen die Ausstellung besuchen und die Geschichte der russischen Juden kennenlernen. Und schließlich will das Museum Wechselausstellungen zeigen und damit auch ins Ausland gehen.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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