Frankreich

Eine Kampagne für die schweigende Mehrheit

Die französische Liga gegen Rassismus und Antisemitismus (LICRA, »Ligue contre le racisme et l’antisémitisme«) hat eine landesweite Aufklärungskampagne gestartet, um das Bewusstsein der Bevölkerung für Antisemitismus zu schärfen. Passenderweise am »Quatorze Juillet«, Frankreichs Nationalfeiertag, der die revolutionären Grundwerte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zelebriert.

Das knapp zweiminütige Video zeigt eine jüdische Familie in Frankreich, die alles unternimmt, um ihre jüdischen Wurzeln zu verbergen oder sogar zu tilgen. Aus Angst.

Angefangen bei der Namensänderung von »Cohen« zu »Dubois« bei der Lieferdienstbestellung über dem Einkauf im Koscher-Supermarkt, wo die Ware in einem neutralen Beutel nach Hause getragen wird, anstatt in der Plastiktüte mit dem Davidstern des Geschäfts, bis hin zum Abmontieren der Mesusa an der eigenen Haustür.

Dann gibt Frankreich seine Brüderlichkeit auf

Ein Freund eines Sohnes der Familie, der durch seine dunklere Hautfarbe selbst einer Minderheit angehört, beobachtet die Veränderungen mit großer Sorge. Am Ende des Videos wird eingeblendet: »Wenn Frauen und Männer ihre Identität verbergen, gibt Frankreich seine Brüderlichkeit auf.«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Als Grundstein für diese über mehrere Jahre angelegte Kampagne wird der Clip mit dem Titel »Lasst uns unsere Brüderlichkeit wiedererlangen« seit dieser Woche auf allen französischen TV-Kanälen sowie in sozialen Netzwerken gezeigt. Die Erstausstrahlung erfolgte zur Hauptsendezeit kurz vor dem Finale der Fußball-Europameisterschaft, um möglichst viele Menschen zu erreichen.

»Seit dem 7. Oktober erleben wir einen exponentiellen Anstieg antisemitischer Kommentare und Handlungen in sozialen Netzwerken wie im täglichen Leben», betonte Mario Stasi, Präsident von LICRA, auf einer Pressekonferenz vor der Erstausstrahlung. Es sei »unglaublich, dass ein Teil der nationalen Gemeinschaft gezwungen ist, unsichtbar zu werden und sich zu verstecken. Es ist unvorstellbar, dass wir weiterhin unter dem Triptychon von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit leben können, ohne dieser Brüderlichkeit einen Sinn zu geben«, fügte er hinzu.

Gezwungen, unsichtbar zu werden

Der vom multinationalen Werbedienstleister Publicis produzierte Spot soll die Auswirkungen des 7. Oktobers 2023 aufzeigen. Für Maurice Lévy, Ehrenpräsident von Publicis, wird es diesem Spot »nicht gelingen, eingefleischte Antisemiten zu überzeugen, aber wir wollen junge Menschen ansprechen und diejenigen, die noch einen Impuls zur Brüderlichkeit in sich haben«. Viele Juden würden sich nicht mehr trauen, Essen über eine Liefer-App zu bestellen oder ein Taxi mit ihrem richtigen Namen zu buchen. »Juden fühlen sich fast überall furchtbar isoliert.«

Nach Angaben des französischen Innenministeriums ist die Zahl antisemitischer Vorfälle in Frankreich förmlich explodiert: Im Jahr 2023 waren es mit 1676 Fällen viermal mehr als im Vorjahr. Im ersten Quartal 2024 erreichte der Anstieg 300 Prozent.

Lesen Sie auch

Amsterdam

Spätherbst in Mokum

Einen Monat nach der Hetzjagd auf israelische Fußballfans diskutieren die Niederlande über Antisemitismus. In der jüdischen Gemeinschaft bleibt eine fundamentale Unsicherheit

von Tobias Müller  12.12.2024

Schweiz

Fünf Übergriffe auf Juden an einem Wochenende in Zürich

Die jüdische Gemeinschaft der Schweiz ist zunehmend verunsichert - der Antisemitismus hat ein Allzeithoch erreicht

 11.12.2024

Osteuropa

Der Zauber von Lublin

Isaac Bashevis Singer machte die polnische Stadt im Roman weltberühmt – jetzt entdeckt sie ihr jüdisches Erbe und bezieht es in die Vorbereitungen auf das Europäische Kulturhauptstadtjahr 2029 mit ein

von Dorothee Baer-Bogenschütz  10.12.2024

Sofia

Nach Nichtwahl ausgeschlossen

Bulgarien steckt in einer politischen Dauerkrise - und mittendrin steht ein jüdischer Politiker, den seine Partei jetzt ausschloss

von Michael Thaidigsmann  09.12.2024

Vatikan

Papst Franziskus betet an Krippe mit Palästinensertuch

Die Krippe wurde von der PLO organisiert

 09.12.2024

Österreich

Jüdisch? Arabisch? Beides!

Mit »Yalla« widmet sich das Jüdische Museum Hohenems einer komplexen Beziehungsgeschichte

von Nicole Dreyfus  07.12.2024

Australien

Anschlag auf Synagoge »völlig vorhersebare Entwicklung«

Die jüdische Gemeinde in Australien steht unter Schock. Auf die Synagoge in Melbourne wurde ein Anschlag verübt. Die Ermittlungen laufen

 06.12.2024

Streit um FPÖ-Immunität

Jüdische Studenten zeigen Parlamentspräsidenten an

Walter Rosenkranz habe Ansuchen der österreichischen Staatsanwaltschaft auf Aufhebung der Immunität von drei FPÖ-Parteifreunden verschleppt.

von Stefan Schocher  05.12.2024

USA

Trump will Jared Isaacman zum NASA-Chef ernennen

Der mögliche zweite Jude auf dem Chefsessel der Weltraumbehörde hat ehrgeizige Vorstellungen

von Imanuel Marcus  05.12.2024