USA

Ein Land steht still

Zwangsurlaub: Bundesangestellte verbringen ihre Freizeit in einem jüdischen Gemeindezentrum in Washington. Foto: Reuters

Das »Essen auf Rädern« wird eingestellt, die Sanktionen gegen den Iran sind in Gefahr – und Yoga füllt die Lücken. So wird der Shutdown der amerikanischen Bundesregierung im jüdischen Washington wahrgenommen. Die Gemeinden in der Nähe der Bundeshauptstadt haben es plötzlich mit Zehntausenden von beurlaubten Angestellten zu tun.

Das Jüdische Gemeindezentrum in Rockville, Maryland, bietet Ausgleichssport und Yoga-Kurse für beurlaubte Regierungsangestellte an. Der Plan sei ein doppelter, sagte Leiter Michael Feinstein: »Die Kurse sind auf den Abbau von Stress ausgerichtet. Und sie werden von beurlaubten Bundesangestellten gegeben, sodass sie etwas Geld verdienen können.«

Fitness Eine jüdische Gemeinde in Nordvirginia verschickte Mails an ihre Mitglieder: »Für diejenigen, die zurzeit beurlaubt sind, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, um sich auf ihre Wellness-Ziele zu konzentrieren. Kommen Sie zum Training ins Fitnesscenter, werfen sie Reifen in der Turnhalle oder ziehen Sie Bahnen in der Schwimmhalle.« Wer kein Gemeindemitglied ist, aber nachweisen kann, dass er beurlaubter Regierungsangestellter ist, erhält eine Freikarte.

Rabbi Amy Schwartzman amtiert im Temple Rodef Shalom, einer Synagoge in Falls Church, Virginia. Dort sind die meisten Mitglieder im Staatsdienst beschäftigt. Schwartzman hat vergangene Woche mit ihren Mitarbeitern einen Tag lang überlegt, welche Leistungen sie anbieten könnten. Das Ergebnis: Bagel-Brunches, Yogakurse und die Anwerbung von vorübergehend Arbeitslosen für Sozialprogramme der Gemeinde.

Schwartzman sagt, ihre Gemeinde hatte schon mit mehreren Shutdowns zu tun, aber sie waren immer nach zwei, drei Tagen vorbei. Diesmal könnte es mehrere Wochen dauern. »Für die meisten unserer Mitglieder ist der Verlust von drei Tagen Gehalt zu verkraften, doch ein Ausfall von mehreren Wochen hat große Auswirkungen.«

GEsundheitsreform
Weil sich Regierung und Kongress nicht einigen konnten, steht die Verwaltung seit letzter Woche still. Die Republikaner fordern von Barack Obama und seinen Demokraten, die Gesundheitsreform zu verschieben. Doch der Präsident geht darauf nicht ein und macht den führenden Republikaner John Boehner für das Schlamassel verantwortlich. Rund 800.000 Staatsangestellte sind zwangsweise in den Urlaub geschickt worden.

In den ersten Tagen schienen sie ihre Freizeit noch zu genießen. Eine Synagoge in der Innenstadt von Washington lud Bundesangestellte ein, ihr drahtloses Internet zu nutzen, um auf dem Laufenden zu bleiben. Schwartzman sagt, sie habe bisher nur von einem Gemeindemitglied gehört, das sich über seine Finanzen sorgt. Die anderen würden die freie Zeit vorerst begrüßen. Die Rabbinerin erzählt von einem Paar, »das jetzt in Ruhe die anstehende Barmizwa ihres Sohnes vorbereiten kann«.

kein Stau Ein jüdischer Mitarbeiter der Demokraten auf dem Capitol Hill twitterte ein Foto vom leeren Interstate Highway 66. Die Autobahn verbindet Virginia mit Washington – während der morgendlichen Hauptverkehrszeit ist sie in der Regel voll. »Ja, die #GOPshutdown stinkt, aber zumindest gibt es keinen Verkehr«, schrieb der Mitarbeiter.

Das US Holocaust Memorial Museum in Washington schloss seine Türen und nutzt den Shutdown zum Spendensammeln. »Die Gründer unseres Museums haben sich wahrscheinlich nicht vorstellen können, dass es eines Tages einen solchen Shutdown geben würde. Aber sie sahen voraus, dass es notwendig sein würde, dass eine einzigartige öffentlich-private Partnerschaft unser Haus unterstützt«, hieß es. »Obwohl die Regierung unser Bestehen sicherstellt und Bundesmittel dafür sorgen, dass der Eintritt kostenlos ist, verlassen sich unsere Bildungsprogramme auf Beiträge von Mitgliedern und Spendern wie Sie.«

Eine Veranstaltung zum Gedenken an die Rettung der dänischen Juden während des Holocaust, an der prominente dänische Amerikaner und ein Mitglied der Königsfamilie aus Kopenhagen teilnehmen sollten, wurde verschoben.

Regierungsbeamte und Obama-Verbündete im Capitol betonen, dass sich der Shutdown auf die amerikanische Unterstützung für Israel auswirken könnte. »Je nach dem, wie lange er dauert, könnte es die Fähigkeit des State Departments verringern, Israel und andere Verbündete militärisch zu unterstützen«, sagte Sprecherin Marie Harf vergangene Woche.

US-Vizeaußenministerin Wendy Sherman sagte vor dem Senat, Sanktionen gegen den Iran würden zu den ersten gehören, die von der Abschaltung betroffen seien. »Ein Government Shutdown leert Büros, die Sanktionen gegen den Iran durchsetzen«, erklärte sie.

Kürzungen Mitarbeiter jüdischer Organisationen klagen darüber, dass sich der Zwangsurlaub ihrer Ansprechpartner inzwischen bemerkbar macht. »Es ist niemand da für uns, wenn wir Antwort auf eine Frage haben wollen«, sagt Rachel Goldberg, Direktorin für Alterungspolitik bei B’nai B’rith International, das ein Netzwerk von Wohnungen für ältere Menschen im ganzen Land unterhält.

»Einige Programme werden auch in der nächsten Zeit gut laufen«, sagt Goldberg, »denn sie haben kurz vor dem 1. Oktober die Finanzierung erhalten.« Aber Kürzungen würden bald bei »Essen auf Rädern« und in der häuslichen Pflege zu spüren sein.

William Daroff, Direktor der Jewish Federations of North America, sagt, solange der Kongress um den Haushalt ringe, blieben viele innenpolitische Themen, mit denen sich seine Organisation befasst, auf der Strecke. Dazu gehören auch spezielle Förderprogramme für ältere Holocaust-Überlebende.

Goldberg hat festgestellt, dass der Shutdown die medizinische und soziale Grundversorgung für Senioren und Arme bislang kaum beeinträchtigt. Doch das könne sich ändern, falls Kongress und Weißes Haus ihren Streit nicht bis zum 17. Oktober beilegen. Denn dann wäre es unmöglich für den Staat, weitere Schulden aufzunehmen. Das würde alles verändern, sagt Goldberg. »Deshalb drängen wir die Menschen, ihren Kongressabgeordneten ins Gewissen zu reden.«

USA

Die US-Regierung, Trump und der Fall Jeffrey Epstein

Trump wollte die Akten zum Sexualstraftäter Epstein veröffentlichen, seine Mitarbeiter verbreiteten Verschwörungstheorien. Nun wollen sie davon nichts mehr wissen - das macht einige Trump-Fans wütend

von Benno Schwinghammer  09.07.2025

Spanien

Mallorca hat einen neuen Rabbiner

Rund 1000 Juden leben auf der bei deutschen Touristen beliebten Baleareninsel

 09.07.2025

Österreich

»Geschichte wurde schon immer politisiert«

Die US-Historikerin Sarah Abrevaya Stein über Gier, Künstliche Intelligenz und den Baron-Wissenschaftspreis

von Stefan Schocher  09.07.2025

Iran

Esthers Kinder

Wie die älteste Diaspora-Gemeinschaft 2700 Jahre überlebte – und heute erneut um ihre Existenz kämpft

von Stephen Tree  09.07.2025

Antizionismus

Blumen für iranischen Minister - Israel verbietet Rabbi Einreise

Yisroel Dovid Weiss ist das wohl bekannteste Gesicht von Neturei Karta, einer israelfeindlichen Organisation Ultraorthodoxer

 08.07.2025

Spanien

Zur Stierhatz mit Free Palestine

Den Startschuss zu Pamplonas berühmtem San-Fermín-Fest nutzten Palästina-Aktivisten für »Völkermord«-Vorwürfe gegen Israel. Das sorgt für Kritik

von Michael Thaidigsmann  08.07.2025

Brasilien

Jüdische Organisation weist Lulas Genozid-Vorwurf gegen Israel zurück

Zum wiederholten Mal hat Brasiliens Präsident Israel des Völkermordes beschuldigt. Nun kommt aus dem eigenen Land Kritik an seiner Haltung: Ein jüdischer Verband meldet sich zu Wort

 07.07.2025

Geburtstag

Mit dem Cello in Auschwitz: Anita Lasker-Wallfisch wird 100

Sie überlebte die Schoa als »Cellistin von Auschwitz« und ist eine der bekanntesten Zeitzeuginnen: Anita Lasker-Wallfisch. Mit einem besonderen Geburtstag triumphiert sie nun über den Vernichtungswahn der Nazis

von Leticia Witte  07.07.2025

Litauen

Steinmeier gedenkt NS-Opfern in Paneriai

Deutschland und Litauen sind heute enge Partner in EU und Nato. Die gemeinsame Geschichte kennt aber auch dunkle Seiten. Daran erinnert Bundespräsident Steinmeier bei seinem Besuch im Baltikum

 07.07.2025