Nachruf

Ein israelischer Patriot, der Polen liebte

Schewach Weiss im Jahr 2007 vor der Knesset Foto: Flash 90

Schewach Weiss ist tot. Der Schoa-Überlebende und ehemalige Knessetsprecher starb am vergangenen Samstag im Alter von 87 Jahren in Israel.

Geboren wurde Schewach Weiss 1935 im damals polnischen, heute ukrainischen Boryslaw, rund 90 Kilometer südwestlich von Lemberg. Zusammen mit seiner Familie überlebte er als Kind die Schoa in seiner Heimatstadt. Die Nachbarn hätten sie versteckt, sagte er vor einigen Jahren in einem Interview. Es seien »gewöhnliche, aber heldenhafte Menschen« gewesen, betonte er, denn in Polen sei jeder sofort getötet worden, der Juden half. »Die Tatsache, dass ich gerettet wurde, ist wirklich ein Wunder.«

höhle Weiss und seine Familie hielten sich monatelang in einer 60 Zentimeter breiten Höhle auf, die sein Vater gebaut hatte. »Er hatte die Kojen übereinander gezimmert, bis unter die Decke. Wir mussten den ganzen Tag liegen«, erinnerte sich Weiss in dem Interview.

In der Nordwand habe es einen Riss gegeben, durch den er auf die Straße blicken konnte, die aus dem Wald führte, sagte Weiss gegenüber der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. »Auf dieser Straße führten die Soldaten die jüdischen Männer und Frauen in den Wald, und dann hörten wir Schüsse. Als ich einmal durch diesen Spalt auf den täglichen Todesmarsch (…) schaute, sah ich meine Tante und ihre Kinder, meine Cousins.«

Die Nachbarn, die Weiss und seiner Familie im Versteck halfen und damit das Leben retteten, erkannte Yad Vashem später als »Gerechte unter den Völkern« an.

ALIJA 1947 wanderte Schewach Weiss’ Familie ins britische Mandatsgebiet Palästina aus. Im Jahr darauf wurde der Staat Israel gegründet. Schewach Weiss beendete die Schule und schrieb sich an der Hebräischen Universität Jerusalem ein: Er studierte Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen, später auch Jüdische Studien und promovierte in Politischer Philosophie.

Nach dem Studium zog er nach Haifa, ging in die Kommunalpolitik und saß für die Arbeitspartei im Stadtrat. 1975 erhielt er an der Universität der Küstenstadt eine Professur für Politologie. Doch es zog ihn in die Landespolitik, und so kandidierte er 1981 für die Knesset. Mit Erfolg: Mehrere Legislaturperioden saß er im israelischen Parlament, zwischenzeitlich gar als Präsident.

In dieser Zeit wurde er unmittelbarer Zeuge des Mordes an Israels damaligem Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin. Weiss stand am 4. November 1995 bei einer Friedenskundgebung in Tel Aviv neben Rabin, als dieser von dem rechtsextremen Terroristen Yigal Amir erschossen wurde. Rabin und Weiss gehörten nicht nur derselben Partei an, sondern es verband sie eine persönliche Freundschaft.

YAD VASHEM Bei den Wahlen 1999 schaffte es Weiss nicht erneut in die Knesset und schied aus. Kurz darauf, im Jahr 2000, wurde er Vorsitzender des Rates der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Im selben Jahr wurde er auch Israels Botschafter in Warschau, ein Amt, das er bis 2004 bekleidete. In diesen vier Jahren wurde er in Polen vielfach geehrt als ein Mann, der sich um die Beziehungen zwischen beiden Ländern verdient gemacht hatte. Bevor er nach Israel zurückkehrte, gründete er an der Warschauer Universität ein Zentrum für Israelstudien.

In Polen blieb Schewach Weiss über die Jahre als großer israelischer Politiker in Erinnerung. So lobte ihn Präsident Andrzej Duda 2017 in der Knesset als Förderer engerer Beziehungen zwischen Israel und Polen, nannte ihn »einen Sohn der jüdischen Nation und des polnischen Bodens« und verlieh ihm die Auszeichnung »Ritter des Ordens des Weißen Adlers«.
»Mit großer Trauer« habe er die Nachricht von Weiss’ Tod erhalten, erklärte Duda am Sonntag und lobte den Verstorbenen als »israelischen Patrioten, der Polen liebte und respektierte«.

Israels Präsident Isaac Herzog würdigte Weiss als einen Mann, der »sein Volk und den Staat liebte, den er mit Stolz vertrat«.

Jüdische Studenten zeigen Parlamentspräsidenten an

von Stefan Schocher  05.12.2024

USA

Trump will Jared Isaacman zum NASA-Chef ernennen

Der mögliche zweite Jude auf dem Chefsessel der Weltraumbehörde hat ehrgeizige Vorstellungen

von Imanuel Marcus  05.12.2024

Frankreich und der Nahe Osten

Diplomatisches Tauziehen

Paris soll eine Schlüsselrolle im Aushandeln der Waffenruhe im Libanon gespielt haben

von Florian Kappelsberger  04.12.2024

Nachruf

Der Mann mit dem bestechenden Lächeln

Der israelische Resilienz-Experte David Gidron starb am Sonntag

von Imanuel Marcus  04.12.2024 Aktualisiert

Chabad

Gruppenfoto mit 6500 Rabbinern

Tausende Rabbiner haben sich in New York zu ihrer alljährlichen Konferenz getroffen. Einer von ihnen aber fehlte

 02.12.2024

Marokko

Drahtseilakt

Das Land ist Heimat der größten jüdischen Gemeinschaft in der arabischen Welt. Wie erlebt sie die Folgen des 7. Oktober 2023?

von Ralf Balke  01.12.2024

Schweiz

Säkularisierungstrend in der Schweiz - Stabile Zahlen in der jüdischen Gemeinschaft

Die Zahl religiöser Gruppen in der Schweiz sinkt. In der jüdischen Gemeinschaft sind die Zahlen konstant

 29.11.2024

Großbritannien

Über den eigenen Tod selbst bestimmen?

Ein Gesetzentwurf soll die Sterbehilfe ermöglichen. Das führt zu Diskussionen, auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  29.11.2024

USA

Junger Israeli in Memphis erschossen - Eltern vermuten Hassverbrechen

Die Polizei geht von Raubmord aus, doch die Eltern des Opfers vermuten ein anderes Motiv

 29.11.2024