Ukraine

Ehrung für Wehrmachts-Kollaborateure?

Das neue Anti-Propaganda-Gesetz wird heftig kritisiert. Jüdischer Verband verteidigt die Initiative

von Nina Jeglinski  20.04.2015 18:48 Uhr

Nationalisten-Demo im Januar in Kiew Foto: dpa

Das neue Anti-Propaganda-Gesetz wird heftig kritisiert. Jüdischer Verband verteidigt die Initiative

von Nina Jeglinski  20.04.2015 18:48 Uhr

Seitdem das ukrainische Parlament am 9. April ein Anti-Propaganda-Gesetzespaket verabschiedet hat, reißt die Kritik national wie international nicht ab. Die Gesetze, die Präsident Petro Poroschenko noch nicht unterzeichnet hat, stellen das aktive Werben für Kommunismus und Nationalsozialismus unter Strafe. Zudem erklärten die Abgeordneten mehrere Gruppen, die jahrzehntelang für einen eigenen ukrainischen Staat gekämpft hatten, offiziell zu Unabhängigkeitskämpfern.

Vor allem dieser Schritt wird heftig kritisiert, weil dadurch auch Gruppen wie die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und die Ukrainische Aufständische Armee (UPA) geehrt werden, die im Zweiten Weltkrieg mit Nazi-Deutschland kollaborierten und in den 50er-Jahren in der Westukraine einen Partisanenkrieg gegen die Sowjetunion führten.

Die Jerusalem Post reagierte in mehreren Artikeln sehr heftig auf die Gesetze und schrieb etwa: »Das ukrainische Parlament erkennt Nazi-Kollaborateure an.« Mit einem solchen Schritt würden die nationalistischen Milizen, die in den 40er-Jahren aktiv mit den Nazis zusammengearbeitet haben, reingewaschen.

Faschismus Auch in Russland werden die Gesetze scharf verurteilt. Allerdings stößt man sich in Moskau eher daran, dass in der Ukraine demnächst Symbole, Straßennamen, Flaggen, Denkmäler und Gedenktafeln, die auf die Kommunistische Partei verweisen, verboten sein sollen. Der russische Staatssender Vesti kritisierte, die Ukraine wolle künftig den Sieg über den Faschismus gemeinsam mit Europa und den USA feiern. Statt des Gedenkens an den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg wolle Kiew an das »Ende des Zweiten Weltkriegs« erinnern und einen »Tag des Gedenkens und der Aussöhnung« begehen, so der Vorwurf.

Josef Zissels, der Vorsitzende der Vereinigung jüdischer Organisationen und Gemeinden in der Ukraine (VAAD), hält die Empörung vor allem aus Israel für unangebracht. »Den Redakteuren in Israel empfehle ich, das Gesetz erst einmal in aller Ruhe zu lesen«, sagte er der Jüdischen Allgemeinen. Zissels, der als externer Experte an dem Gesetz mitgearbeitet hat, verteidigt die Maßnahmen. »Es bleiben zwar sehr viele kritische Anmerkungen, aber insgesamt halte ich den Schritt für richtig«, sagt er.

Laut Zissels haben in einer modernen Gesellschaft weder kommunistische noch nationalistische Propaganda etwas zu suchen. Das kommunistische Regime sei zwar nicht deckungsgleich mit dem Naziregime, aber es habe der Menschheit mindestens genauso viel Schaden zugefügt.

Trotzdem wird es die ukrainische Regierung nicht leicht haben, international zu erklären, weshalb sie nun mehrere ultranationalistische Gruppen als Unabhängigkeitskämpfer ehrt und den Nachkommen soziale Vergünstigungen zuspricht.

Würdigung Anders als Josef Zissels kritisiert der Kiewer Rechtsextremismusforscher Anton Schechhowtsow das Vorhaben. Er schrieb kurz nach der Abstimmung: »Im ukrainischen Parlament wurden zwei kontroverse Gesetze verabschiedet. Das erste verurteilt die kommunistischen und nationalsozialistischen totalitären Regime und verbietet die Propaganda ihrer Symbole. Das zweite betrifft den Rechtsstatus und die Würdigung der Ehre der Kämpfer für die ukrainische Unabhängigkeit im 20. Jahrhundert.« Laut Schechhowtsow wurden beide Gesetze ohne angemessene akademische, öffentliche und rechtliche Debatte verabschiedet, sie seien »extrem unprofessionell«.

Die Gesetze ließen eine breite Interpretation von Kommunismus, Nazismus und des nationalen Befreiungskampfes zu. Sie öffneten Tür und Tor für willkürliche und undemokratische politische Verfolgung und Repression, so Schechhowtsow. Sie trügen nicht zum Aufbau einer starken Zivilgesellschaft oder zur Stärkung der Demokratie bei.

Zissels kann dem nicht zustimmen. Er verweist auf die »sehr niedrige Zahl antisemitischer Fälle«. In Deutschland und Frankreich gebe es »derzeit mehr Antisemitismus als bei uns«, betont Zissels. Dass die Kiewer Regierung den Problemen der Juden nicht genug Aufmerksamkeit schenke, wie manche Kritiker meinen, lässt er nicht gelten. »Wir befinden uns im Krieg, da muss man Prioritäten setzen«, betont Zissels. Es rege ihn »sehr auf, dass laufend die gesamte Arbeit der derzeitigen ukrainischen Regierung infrage gestellt wird«.

Die »Ukraine-Kritiker« sollten sich vor Augen halten, unter welchen Bedingungen und unter welchem Druck derzeit in Kiew Regierungsarbeit geleistet werde. »Wir sehen uns einer massiven russischen Aggression gegenüber und haben mit erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen«, gibt der 69-Jährige zu bedenken.

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