Anne Schuchat

Die Virenjägerin

Trägt bei öffentlichen Auftritten Uniform: Anne Schuchat – Ärztin im Admiralsrang Foto: imago

Eigentlich wollte Anne Schuchat Landärztin werden, mit zwei oder drei Mitarbeitern und höchstens 100 Patienten in einer kleinen Praxis irgendwo in Amerika. »Ich fand den Gedanken schön, mich um einzelne Menschen kümmern zu können, einen nach dem anderen«, sagt sie.

Heute, mehr als 30 Jahre später, hat Anne Schuchat 15.000 Mitarbeiter und mehrere Millionen Patienten in aller Welt. Die Ärztin im Admiralsrang des National Health Service, des öffentlichen Gesundheitsdienstes der USA, ist Vizechefin der mächtigen amerikanischen Gesundheits- und Seuchenschutzbehörde CDC (Center for Disease Control and Prevention) mit Sitz in Atlanta.

Herkunft Schuchat, Mitte 50, zierlich, mit grau meliertem Haar, klarem Gesicht und junger Stimme, wuchs als viertes von fünf Kindern in einer konservativen jüdischen Familie in Washington auf. Der Großvater und dessen Vorfahren arbeiteten in einer Kleinstadt in West Virginia als Schochtim, koschere Schlachter. Dieser Beruf gab der Familie ihren Namen.

Vom Schächten zur Seuchenkontrolle sei der Weg gar nicht so weit, sagt Anne Schuchat trocken. »Man könnte sagen, dass meine Familie seit Generationen im Bereich der Lebensmittelsicherheit und des Gesundheitsschutzes arbeitet.«

Schuchat, die an der renommierten Dartmouth University in New Hampshire Medizin studierte, ist zwar nicht Landärztin geworden, doch ihre gelassene und geerdete Art hilft ihr, als Chefin der Superbehörde die Gesundheitskrisen der USA und der Welt zu managen. Derzeit ist Zika die größte Herausforderung, jenes tückische Virus, das von Mücken übertragen wird und Schädelfehlbildungen (Mikrozephalie) bei ungeborenen Kindern auslösen kann.

Aufklärung Die Aufklärung über Zika und andere Infektionskrankheiten – von Salmonellen über Schweinegrippe bis zu Ebola – ist für Schuchat und ihre Kollegen stets ein heikler Balanceakt: Sie wollen warnen und informieren, aber keine Hysterie verbreiten. »Manchmal ist der Schaden, der durch Gerüchte und Mythen hervorgerufen wird, größer als der, den die Krankheitserreger selbst verursachen.«

Schwangere Frauen sollten grundsätzlich nicht in Zika-Regionen reisen, betont sie. Für alle anderen gälten die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen – vom Mückenspray bis zum Moskitonetz.

Unaufgeregt und pragmatisch – das ist der Stil, für den Anne Schuchat bei ihren Kollegen bekannt ist, seit sie 1988 bei der CDC anfing. Zunächst arbeitete die junge Ärztin als Epidemiologin – oder, im CDC-Jargon, als Seuchendetektivin. Sie erkundete Herkunft und Verbreitung von Infektionskrankheiten wie Meningitis, reiste durch Costa Rica und Gambia.

Beim Ausbruch des H1N1-Virus, der sogenannten Schweinegrippe, in den USA im Jahr 2009 wurde Schuchat auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Sie gab Pressekonferenzen und informierte den Kongress – stets in ihrer akkurat gestärkten dunkelblauen Uniform mit weißer Bluse. In dieser Zeit war sie »eine verlässliche Stimme der Ruhe und Vernunft mitten im Sturm aus Angst und Aufregung«, schrieb die Tageszeitung »The Atlanta Journal-Constitution«.

Diese Rolle hat sie bis heute beibehalten. Wenn CDC-Direktor Tom Frieden auf Reisen ist – und das kommt häufig vor – führt Schuchat die Geschäfte. Mehrmals am Tag lässt sie sich von ihren Mitarbeitern über die aktuelle Gesundheitslage briefen – und zwar im Emergency Operations Center, der Krisen-, Kommando- und Kommunikationszentrale der CDC.

Herzstück des Krisenzentrums ist ein rechteckiger, fensterloser Raum mit niedrigen Decken und langen Reihen von Schreibtischen. Über riesige Monitore flackern Karten, Daten und Grafiken. Einige Mitarbeiter sitzen vor je zwei oder drei Computerbildschirmen. Hier arbeiten erfahrene Krisenmanager in konzentrierter Stille. Selbst die höchste Alarmstufe löst nur gedämpftes Gemurmel aus.

Gelassenheit Auch Schuchat bleibt immer ruhig. Ihre Gelassenheit zieht sie unter anderem aus ihrem privaten Umfeld. Seit 24 Jahren ist sie verheiratet. Ihrem Mann attestiert sie »einen besonderen Sinn für Humor«. Das Paar hat keine Kinder, aber zahlreiche Nichten und Neffen. Neben ihrem Familiensinn fühlt sich Schuchat auch anderen jüdischen Werten verpflichtet. »Ich versuche, mich in meiner täglichen Arbeit an Prinzipien wie Gerechtigkeit und Fairness zu orientieren«, sagt sie.

Auch Hollywood hat sich von dem ganz eigenen, spröden Charisma der Anne Schuchat inspirieren lassen. In Steven Soderberghs Seuchen-Thriller Contagion ist die Figur der Epidemiologin Dr. Erin Mears der CDC-Vizechefin nachempfunden.

Die Schauspielerin Kate Winslet traf sich mit Schuchat, sprach mit ihr über ihre Arbeit, aber auch darüber, welche Kleidung, Schuhe und Frisur sie während eines Einsatzes als Seuchenjägerin im Feld trägt. »Ich musste sofort meine Mutter anrufen und ihr erzählen, dass mich Kate Winslet nach meinem Haar gefragt hat«, sagt Schuchat mit ihrer jungen Stimme und ihrem jungen Lachen. Früchte des Ruhms, den sie als Landärztin wohl kaum geerntet hätte.

Meinung

Der Stolz der australischen Juden ist ungebrochen

Der Terroranschlag von Sydney hat die jüdische Gemeinschaft des Landes erschüttert, aber resigniert oder verbittert ist sie nicht. Es bleibt zu hoffen, dass die Regierung künftig mehr für ihren Schutz tut

von Daniel Botmann  16.12.2025

Österreich

Neue Direktorin für das Jüdische Museum Hohenems

Historikerin Irene Aue-Ben-David übernimmt die Leitung und bringt internationale Erfahrung aus Jerusalem mit

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Basel

Mann wollte Juden während des ESC angreifen

Kurz vor dem »Eurovision Song Contest« in der Schweiz wurde ein 25-Jähriger wegen konkreter Gewaltdrohungen festgenommen und ausgewiesen

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Australien

Wie geht es dem »Helden von Sydney«?

Ahmed al-Ahmed gehe es schlechter als angenommen, sagt sein Anwalt. Der muslimische Familienvater drohe, seinen Arm zu verlieren

 16.12.2025

Sydney

Jüdisches Ehepaar stirbt beim Versuch, einen der Angreifer zu stoppen

Boris und Sofia Gurman versuchten, das Massaker vom Bondi Beach zu verhindern, und bezahlten dafür mit ihrem Leben

 16.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns wollen?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025

Sydney

Opera House erstrahlt mit Bild von Chanukkia

Es ist ein Zeichen der Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft

 16.12.2025

Australien

Faktencheck zum Terroranschlag in Sydney

Nach dem Blutbad am Bondi Beach ist noch vieles unklar. Solche Situationen nutzen Menschen in sozialen Netzwerken, um Verschwörungsmythen zu verbreiten

 15.12.2025

Faktencheck

Ahmed Al Ahmed hat einen Angreifer am Bondi Beach entwaffnet

Ein Passant verhindert Schlimmeres - und wird im Netz umbenannt. Angeblich soll Edward Crabtree einen der Täter von Sydney entwaffnet haben. Doch die Geschichte stammt von einer Fake-Seite

 15.12.2025