Interview

»Die FPÖ gilt als Prototyp des Rechtspopulismus«

Der Göttinger Demokratieforscher Simon Franzmann (vorne), hier mit Niedersachsens Ministerpräsident Weil (li.) Foto: picture alliance/dpa

Konservative Politikerinnen und Politiker in Deutschland haben immer wieder betont, sie wollten mit rechtspopulistischen Parteien wie der AfD nicht zusammenarbeiten.

Dafür prägten sie das Bild von einer »Brandmauer«. In Österreich jedoch ist dieses Tabu Anfang der Woche gefallen, seit die Österreichische Volkspartei (ÖVP) sich auf nationaler Ebene zu Koalitionsverhandlungen mit der rechtspopulistischen »Freiheitlichen Partei Österreichs« (FPÖ) bereiterklärt hat, die sie bisher abgelehnt hatte. Im Gespräch ordnet der Göttinger Demokratieforscher Simon Franzmann die Entwicklung im südlichen Nachbarland ein und zieht Vergleiche zur Situation in Deutschland.

Sind FPÖ und AfD aus Ihrer Sicht vergleichbar, oder gibt es große Unterschiede zwischen den Parteien?
Sie sind zum Teil vergleichbar. Die FPÖ gilt in Stil und Thematik als Prototyp des westeuropäischen Rechtspopulismus. Die AfD und andere westeuropäische Parteien orientieren sich zum Teil an ihr und stehen im Austausch. Insofern sind sie vergleichbar. Allerdings gehören sie unterschiedlichen Fraktionen im Europäischen Parlament an. Zudem ist die FPÖ eine vergleichsweise alte Partei mit zum Teil regierungserfahrenem Personal.

Ist die Übertragung der »Brandmauer«-Metapher auf Österreich zutreffend oder irreführend?
Sie ist zum Teil irreführend. Koalitionen mit der FPÖ in Österreich gibt es auf Landesebene schon seit einem Vierteljahrhundert, und sie war auf Bundesebene schon zweimal Juniorpartner der ÖVP. Neu ist, dass die FPÖ jetzt eine Regierung auf nationaler Ebene anführen soll.

Ist das, was gerade in Österreich passiert, ein Tabubruch oder normales parlamentarisches Geschäft?
Beides. Zum einen ist es normal, denn wenn keine andere Mehrheitsbildung funktioniert, liegt es im Wesen der parlamentarischen Demokratie, die stärkste Partei mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Es ist aber auch ein Tabubruch, weil die aktuelle FPÖ-Parteispitze anders als in der Vergangenheit deutliche Schnittmengen und Sympathien zu Rechtsextremen aufgezeigt hat.

Müssen wir uns Deutschland zumindest längerfristig auf ähnliche Bündnisse einstellen - oder steht die »Brandmauer« nach rechts felsenfest, wie immer wieder von den etablierten demokratischen Parteien betont wird?
Die »Brandmauer« habe ich persönlich nie für eine sonderlich glückliche Metapher gehalten. In der repräsentativen Demokratie sollten Mauern weniger eine Rolle spielen als eine harte thematische Auseinandersetzung. Was richtig ist: Wer die demokratischen Spielregeln nicht mitspielen will, mit dem kann und sollte man keine Regierung bilden. Was ich mittelfristig erwarte, ist, dass es - ähnlich wie nun absehbar im Europäischen Parlament - bei hoher thematischer Übereinstimmung punktuell zu gemeinsamen Abstimmungen kommt. Wir hätten dann eine Art »flexible Mauer«. Keine gemeinsame Regierung, aber möglicherweise gemeinsame Abstimmungen auf nationaler Ebene.

Welche politischen, gesellschaftlichen oder sozialen Fragen entscheiden darüber, ob Kräfte wie die AfD weiteren Zulauf erhalten werden?
Das sind aktuell Themen des Lebensstandards und der Lebenshaltungskosten. Weiterhin gilt es, ein Gefühl von Sicherheit vor Kriminalität zu vermitteln und die Migrationsdynamik kontrollierbar zu gestalten. Die Zuwanderung von Arbeitskräften ist weniger das Problem als das Gefühl, dass die Zuwanderung unkontrolliert erfolgt.

Was muss die kommende Bundesregierung konkret tun, um die politische und gesellschaftliche Mitte zu stärken?
Entscheidend wird sein, Perspektiven für die wirtschaftliche Entwicklung aufzuzeigen. Zudem ist wichtig, dass sich Menschen aufgehoben und mit ihren Problemen gesehen fühlen. Aktuell sind Themen des Lebensstandards und der Lebenshaltungskosten etwas, was viele Menschen umtreibt. Dies ist aber alles nicht nur Aufgabe der Regierung. Es gilt, als Gesellschaft als Ganzes zu funktionieren und allen das Gefühl zu geben, mit ihren Nöten wirklich gesehen zu werden.

Immer wieder ist zu hören: Viele Wähler der AfD fühlen sich und ihre Sorgen nicht hinreichend gehört und ernst genommen. Würde Zuhören und Ernstnehmen aus Ihrer Sicht dazu beitragen, die gesellschaftliche Mitte zu stärken, oder würde dadurch rechtsextremes Gedankengut noch mehr Raum gewinnen?
Die Umfragedaten zeigen sehr gut, dass die AfD eher trotz ihres zum Teil rechtsextremen Personals gewählt wird - und nicht wegen dieses Personals. Zuhören und versuchen, die wirklichen Probleme zu verstehen, bedeutet ja nicht, die gleichen Konzepte anzubieten, sondern sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Etwas mehr normaler Parteienwettbewerb um die Menschen, die zeitweilig AfD wählen, könnte meines Erachtens wirklich helfen, die gesellschaftliche Mitte zu stärken. Wichtige Themen gehören in die Mitte der Gesellschaft, nicht an die Ränder.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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