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Die Erwählten

Amerika im Herzen: Viele Menschen sind gespannt, wie die Midterm Elections die Innenpolitik der nächsten Jahre verändern werden. Foto: dpa

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Die Erwählten

Auch dem neuen Kongress gehören einige jüdische Abgeordnete an

von Hannes Stein  09.11.2010 15:41 Uhr

Was ist nur mit Wisconsin los? Ungefähr 28.000 Juden sollen dort oben im Norden Amerikas leben, das ist nicht mal ein halbes Prozent der Gesamtbevölkerung. Aber Wisconsin war bis zu dieser Zwischenwahl im November einer von zwei Bundesstaaten (der andere ist Kalifornien), der in Washington gleich von zwei jüdischen Senatoren vertreten wurde: Russ Feingold und Herb Kohl. Aber nun haben die Wähler den Feingold in den Ruhestand geschickt, und Herb Kohl muss im Senat ganz allein die Ehre der Juden aus dem hohen Norden verteidigen.

Zahlen Insgesamt sei festgehalten, dass die Kinder Israels im amerikanischen Kongress nicht ganz so doll eins auf die Mütze gekriegt haben wie die Demokraten. Reden wir von Zahlen: Im Senat, sozusagen dem noblen Oberhaus des Kongresses, sitzen zwölf oder 13 Juden (insgesamt hat der Senat 200 Mitglieder, und über die Nummer 13 gleich mehr). Im Repräsentantenhaus sitzen künftig 25 Juden (früher 30 von 435 Abgeordneten).

Hier also das Problem mit Nummer 13 im Senat: Die Mutter von Senator Michael Bennet ist Jüdin – sie hat das Warschauer Ghetto überlebt –, die Vorfahren seines Vaters kamen mit der »Mayflower« nach Amerika, dem Auswandererschiff der Puritaner. Bennet, ein Demokrat, sei mit zwei Traditionen aufgewachsen, sagt er, der jüdischen und der christlichen; er glaubt übrigens an Gott. Und nun streiten sich die Gelehrten des Internets: Sollen wir ihn dazuzählen oder nicht? Nach der Halacha: gewiss. Andererseits scheint er sich selbst nicht ganz sicher zu sein. Außerdem ist der Mann aus Colorado.

Keine Identitätsprobleme hat offenbar David Cicilline aus Rhode Island: jüdische Mutter, italienischer Vater, und er betrachtet sich selbst ohne jeden Zweifel als Juden. Bis gerade eben war er Bürgermeister von Providence, nun zieht er ins Repräsentantenhaus ein. Cicilline ist übrigens nicht nur Jude, sondern außerdem noch schwul. Damit sitzt nun der dritte bekennende Schwule im Repräsentantenhaus, die anderen beiden sind Barney Frank und Jared Polis. Und wer hätte das gedacht? Auch die Herren Frank und Polis sind Juden.

Häuptling Die Herzen der meisten jüdischen Amerikaner schlagen bekanntlich links von der Mitte für die Demokraten; das spiegelt sich auch im Kongress wider. Wenn man den seiner Identität unsicheren Michael Bennet einrechnet, stellen Juden von nun an, man staune, ein Viertel der demokratischen Senatoren. Aber es gibt natürlich auch jüdische Republikaner, und sie werden im Kapitol von Eric Cantor vertreten, dem eine glänzende Karriere prophezeit wird. Bislang war der Abgeordnete aus Virginia »minority whip«, das heißt, seine Aufgabe bestand darin, die anderen Republikaner auf Parteilinie zu bringen. Doch nun haben die Republikaner die Mehrheit, und es wird fest damit gerechnet, dass er zu ihrem Häuptling aufsteigt.

Eher offen muss die Frage bleiben, ob Cantor der einzige republikanische Jude im Kapitol ist. AIPAC, die amerikanische »Israel-Lobby«, gratuliert nämlich außer ihm auch einer gewissen Nan Hayworth aus dem Bundesstaat New York, einer Augenärztin, die dem Tea Party Movement nahesteht – jener halb anarchistischen, halb konservativen und im Ganzen ziemlich christlichen Bewegung, die aus der Wut über die Fantastilliarden entstanden ist, die Präsident Obama in die Wirtschaft gepumpt hat.

Im Wahlbezirk der Abgeordneten Nan Hayworth liegt Kirias Yoel, ein Schtetl in Orange County, dessen Bewohner Satmar Chassidim sind, die Jiddisch miteinander sprechen – aber reicht das wirklich aus, um sie zur Jüdin zu erklären? Ein Blogger des jüdischen Nachrichtenportals JTA berichtet, Nan Hayworth sei als protestantische Christin aufgewachsen, aber mit einem Juden verheiratet und betrachte sich selbst als Jew by choice, als Konvertitin also. Na dann!

Schwindelei Zu den farbigsten Gestalten, die neu in den Senat einziehen, gehört gewiss Richard Blumenthal aus Connecticut. Er hätte beinahe gegen seine republikanische Gegenkandidatin verloren, als herauskam, dass seine Behauptung, er habe in Vietnam gedient, eher nicht der Wahrheit entsprach. Tatsächlich saß er den Vietnamkrieg als Mitglied des Reservekorps der Marine in der Etappe aus. Nachdem Blumenthal bei dieser Schwindelei erwischt worden war, schien es eine Zeit lang zweifelhaft, ob er denn auch Chef des Schwimmteams in Harvard gewesen war, wie er behauptet hatte. Immerhin tauchten ein paar Zeugen auf, die sich erinnern konnten, neben Blumenthal im Wasser geplätschert zu haben, aber in den offiziellen Jahrbüchern von Harvard hat er keine Spuren hinterlassen. Die Wähler haben ihm seine Angeberpose offenkundig verziehen. Und damit ist nun Connecticut (anstelle von Wisconsin, siehe oben) einer jener Staaten, die von zwei Juden im Senat vertreten werden: Richard Blumenthals Kollege ist Joe Lieberman, der im Jahr 2000 Vizepräsident an der Seite von Al Gore werden wollte – es kam dann bekanntlich der Wahlsieg von George W. Bush dazwischen.

Nun wurden am 2. November nicht nur die beiden Kammern der amerikanischen gesetzgebenden Versammlung, sondern auch die meisten Gouverneure der Bundesstaaten neu gewählt. Leider kann hier kein jüdischer Zugewinn verzeichnet werden. Der einzige Gouverneur, dessen Name wenigstens jüdisch klingt, ist Dave Freudenthal aus Wyoming. Er gehört der Episkopalkirche der Vereinigten Staaten von Amerika an. Außerdem hat er gerade den Schreibtisch für seinen Nachfolger geräumt. Trösten wir uns mit dem bereits mehrfach in diesem Artikel erwähnten Kalifornien. Dianne Feinstein und Barbara Boxer – zwei prima Frauen, zwei prima Senatorinnen, beide jüdisch. Und der scheidende Gouverneur Arnold Schwarzenegger ist zwar kein Jude, aber er hat immerhin in einer Talkshow erklärt, dass es völlig okay sei, wenn man gelegentlich einen Joint raucht.

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