Polen

Der Mob ist los

Tatort Breslau: Antisemiten in Aktion Foto: Screenshot JA

Das Schweigen aus Warschau lastet schwer. Unter Polens Juden, Muslimen und anderen Minderheiten macht sich Angst breit. »Erst verbrennen sie eine ›Juden-Puppe‹, dann Bücher, und am Ende kommen wir an die Reihe«, fürchtet Bente Kahan, eine norwegisch-jüdische Schauspielerin und Sängerin, die seit Jahren mit ihrer Familie im niederschlesischen Wroclaw (Breslau) lebt.

Als Mitte vergangener Woche knapp 100 Rechtsradikale mitten auf dem Rathausplatz mit polnischen Flaggen und großen Transparenten »Gegen Islam in Polen« und für »Gott, Ehre und Vaterland« demonstrierten, traute sie zunächst ihren Ohren nicht. Das passierte tatsächlich in der für ihre Toleranz und Kulturoffenheit so berühmten Stadt Wroclaw? Brüllten die Skinheads und Rechtsradikalen vom Nationalradikalen Lager (ONR) und der Allpolnischen Jugend tatsächlich »Keine muslimischen Terroristen! Gegen die EU! Für ein nationales Polen!«?

Fanal Fassungslos musste Bente Kahan dann auch noch erleben, wie der stadtbekannte Antisemit Piotr Rybak geradezu feierlich um eine lebensgroße Puppe mit Schläfenlocken, schwarzem Hut und Kaftan herumging, sie wie in Zeitlupe mit Benzin übergoss und anzündete, während die Umstehenden »Polska dla Polakow! – Polen den Polen!« grölten. Knapp zehn Minuten lang dauerte das Fanal. Die Flammen schlugen lichterloh in den dunklen Himmel. Mit der »Juden-Puppe« verbrannte auch eine Europa-Flagge. Niemand griff ein: weder die Polizei, die sich im Hintergrund hielt, noch die Passanten, die eher gleichgültig weitergingen, noch die Beamten, die von den Rathausfenstern genau verfolgen konnten, was sich unten auf dem Platz abspielte.

Die nationalistische Demonstration in Breslau ist kein Einzelfall. Der braune Sumpf an Verachtung, Hass und Niedertracht brodelt schon länger unter der Oberfläche. Bislang war bei Attacken auf Ausländer, Juden, Muslime oder Homosexuelle immer wieder die Rede von »Einzelfällen«. Staatsanwälte und Richter verharmlosten es, wenn Fußball-Rowdys in den Stadien »Juden ins Gas« oder »Haut ab nach Auschwitz!« brüllten. Nur selten gab es Strafen. Auch die Schändungen jüdischer Friedhöfe gingen meist als »dumme Jungenstreiche« durch.

Seit den Parlamentswahlen am 25. Oktober sitzen nun auch Vertreter der Allpolnischen Jugend im Sejm, dem polnischen Parlament. Die Neonazi-Organisation Nationalradikales Lager wie auch die Allpolnische Jugend machen »die Juden« für die angebliche »Islamisierung Europas« verantwortlich. Die Kriegsflüchtlinge aus Syrien seien Sozialschmarotzer oder gar Terroristen. Auf dem größten Transparent in Breslau war zu lesen: »Sie kommen hierher, um unsere Welt zu verändern, um zu zerstören, abzufackeln und zu vergewaltigen!« Als Piotr Rybak »den Juden« abfackelte, hetzte einer der Organisatoren auf der Bühne: »Jemand gibt ihnen Geld – für die Boote, für die Waffen in Europa. Jemand finanziert diese ganzen Ausschreitungen. Wir müssen wissen, wer das tut. Noch weiß ich es nicht. Noch nicht!«

Terrorattacken Polens neue Regierung will nach den Terrorattacken von Paris die von der Vorgängerregierung zugesagte Zahl an Flüchtlingen nicht mehr aufnehmen. Angeblich sei das 38-Millionen-Volk auf die Aufnahme von insgesamt 7000 zumeist muslimischen Flüchtlingen nicht vorbereitet. Der neuen Premierministerin Beata Szydlo zufolge ist Deutschland an der Flüchtlingskrise und indirekt auch am Terror schuld. Auch deshalb will Szydlo die Flüchtlingsquote neu verhandeln.

Aleksander Gleichgewicht, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Breslau, reagierte als einer der Ersten auf die anti-islamische Demonstration in seiner Stadt. Es ginge nicht an, dass »ungelöste politische Weltprobleme, die auch unser Land betreffen können, keine verantwortungsvolle Diskussion in Polen auslösen, sondern zur Rechtfertigung einer immer größer werdenden Welle von braunem Rassismus dienen, von Chauvinismus, Antisemitismus und primitivem Antiislamismus«. Besonders enttäuscht sei er über die Passivität von Polizei, Staatsanwaltschaft und Politikern, sagte er.

In einigen Wochen schon werde Breslau Kulturhauptstadt Europas sein. »Unsere wunderschöne Stadt darf nicht von diesen zynischen und rassistischen Schurken in den Dreck gezogen werden«, appellierte er vor allem an Polens Politiker.

Gut eine Woche nach der Breslauer »Juden-Verbrennung« schwiegen Polens Präsident Andrzej Duda, die neue Premierministerin Beata Szydlo und die rechtsnationale Regierung noch immer.

Tel Aviv

Noa Kirel und Daniel Peretz heiraten mit »kleiner Feier«

Die Sängerin und der HSV-Torwart standen in Jaffa unter großen Sicherheitsvorkehrungen unter der Chuppa

von Nicole Dreyfus  13.11.2025

Ausstellung

Avantgardistin der Avantgarde

Berthe Weill förderte nicht nur die moderne Kunst der Jahrhundertwende, als Galeristin war sie selbst eine Schlüsselfigur. Eine Ausstellung in Paris ehrt die Pionierin

von Sabine Schereck  13.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  11.11.2025 Aktualisiert

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  11.11.2025

USA

Mehrgewichtig, zionistisch und stolz

Alexa Lemieux ist Influencerin in den sozialen Medien und zum Vorbild für viele junge jüdische Frauen geworden

von Sarah Thalia Pines  11.11.2025

Prag

Der Golem-Effekt

Seit mehr als fünf Jahrhunderten beflügelt das zum Schutz der Juden geschaffene Wesen aus Staub und Worten die Fantasie. Ein Blick zurück mit Büchern, Filmen und den »Simpsons«

von Sophie Albers Ben Chamo  11.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Wien

Österreichs Regierung mit neuer Strategie gegen Antisemitismus

KI-gestützte Systeme zum Aufspüren von Hate Speech, eine Erklärung für Integrationskurse, vielleicht auch Errichtung eines Holocaust-Museums: Mit 49 Maßnahmen bis zum Jahr 2030 will Wien gegen Antisemitismus vorgehen

 10.11.2025

Jerusalem

Zerstrittene Zionisten

Der Zionistische Weltkongress tagt zum 39. Mal seit seiner Gründung im Jahr 1897 durch Theodor Herzl. Doch das Treffen droht zum Fiasko für die Organisation zu werden. Die Hintergründe

von Joshua Schultheis  10.11.2025