Irland

Der gälische Patient

Die Eurokrise trifft die überalterte Gemeinde hart. Viele sind jetzt auf Sozialhilfe angewiesen

von Moritz Piehler  30.11.2010 10:23 Uhr

Rollt nicht mehr wie früher: kranker Euro Foto: imago

Die Eurokrise trifft die überalterte Gemeinde hart. Viele sind jetzt auf Sozialhilfe angewiesen

von Moritz Piehler  30.11.2010 10:23 Uhr

Lange Zeit galt Irland als ein sehr erfolgreiches europäisches Wirtschaftsmodell, der »keltische Tiger« als ein Vorzeigeprojekt der Europäischen Union. Nun hat es auch die in ihrer Geschichte oft gebeutelten Iren heftig in die Finanzkrise gezogen. Zehn Milliarden Euro will der irische Premier Brian Cowen an öffentlichen Ausgaben einsparen, mehr als die Hälfte davon soll schon im kommenden Jahr umgesetzt werden. Die ohnehin hohe Mehrwertsteuer wird nochmals erhöht, auch Trinkwasser soll in Zukunft keine staatliche Leistung mehr sein.

Altersvorsorge In der Öffentlichkeit sind die direkten Folgen der Krise bisher nicht zu sehen. Die Restaurants haben nach wie vor genug Kundschaft, die Geschäfte sind gefüllt und verkaufen gut. Doch weiß inzwischen jeder im Land: Alle sind von den Auswirkungen der Wirtschaftskrise betroffen, auch die kleine jüdische Gemeinde. Viele Banken haben im Immobiliensektor waghalsige Kreditspekulationen betrieben, die letztlich nur durch ein staatliches Rettungspaket aufzufangen waren. Die »schlechten« Kredite der Banken wurden inzwischen auch für den Staat zu viel, den Iren blieb nur die Hoffnung auf europäische Hilfe. Viele Privatpersonen haben ihre Altersvorsorge verloren, die alternde jüdische Gemeinschaft trifft dies besonders schwer.

Ohnehin haben die Gemeinden auf der grünen Insel stark mit Mitgliederschwund zu kämpfen, vor allem fehlt es an jungen Menschen, die die Gemeinden am Leben erhalten können. Auf rund 1.100 schätzt Debbie Briscoe die Anzahl der Juden, die heute in Irland leben. Briscoes Vater saß im Jewish Representative Council, der jüdischen Dachorganisation des Landes, sie selbst ist Ehrenpräsidentin des Museums für irisch-jüdische Geschichte in der Hauptstadt.

»Bisher kenne ich kein jüdisches Unternehmen, das von Schließung bedroht wäre«, sagt Briscoe. Gerade für die jüdische Gemeinde könnten sich die Auswirkungen allerdings erst mit einiger Verzögerung zeigen. »Die Gemeinde besteht ja hauptsächlich aus älteren Menschen, von denen viele ihre Altersvorsorge bei den Banken investiert hatten. Zum Teil sind die Aktien von 24 Euro auf 30 Cent gefallen«, sagt Briscoe. Die Stimmung sei dementsprechend gedämpft. »Wir schauen jetzt auf Europa und hoffen, dass die Politiker zusammenarbeiten, anstatt zu versuchen, von dieser Krise politisch zu profitieren.«

Maurice Cohen, der ein Technologieunternehmen in Dublin leitet, erzählt: »Die Leute sind sehr besorgt. Bei uns gehen die Geschäfte momentan nicht gut, und die Arbeitslosigkeit ist um das Fünffache gestiegen.« Auch Cohen berichtet von den Problemen, die die Wirtschaftskrise nach sich zieht und von der besonders ältere Gemeindemitglieder betroffen sind: »Viele können nicht mehr von ihrem eigenen Geld leben und sind auf Sozialhilfe angewiesen.«

auswanderung Irland ist ein traditionelles Auswandererland. Wegen der Armut aufgrund der jahrhundertelangen Ausbeutung durch die Engländer und der geografischen Lage kehrten lange Zeit viele Iren der Heimat den Rücken, um ihr Glück im Ausland zu suchen. Diese Entwicklung wurde erst durch die ökonomische Entwicklung in den vergangenen 20 Jahren gestoppt.

Für die jüdische Gemeinde hat die Auswanderung jedoch nie aufgehört. Es blieb immer so, dass die meisten Jungen das Land verließen und nach England, in die USA oder nach Israel gingen. »Ich bemerke nicht, dass es jetzt eine erneute Auswanderungswelle gibt«, sagt Debbie Briscoe. »Denn die Älteren können gerade wegen der Krise nicht weggehen.«

Spanien

Mallorca als Vorbild

Das Stadtparlament von Palma hat eine Antisemitismus-Resolution verabschiedet – anders als der Rest des Landes

von Sabina Wolf  26.07.2024

Sport

Der Überflieger

Artem Dolgopyat ist in Israel ein Star. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio gewann der Turner Gold, 2023 wurde er Weltmeister. Nun tritt er in Paris an

von Martin Krauß  26.07.2024

Europäisches Parlament

»Zittert. Das hier ist nur der Anfang«

Die frisch gebackene französische Abgeordnete Rima Hassan hetzt gegen Israel

von Michael Thaidigsmann  25.07.2024

Ausstellung

Olympioniken im KZ Buchenwald

Auf dem Ettersberg bei Weimar treffen unterschiedlichste Biografien aufeinander

von Matthias Thüsing  25.07.2024

Frankreich

»Man ist schließlich französisch«

Ganz Paris feiert die Olympischen Spiele. Ganz Paris? Nicht alle Juden fühlen sich vom erwünschten »Wir-Effekt« angesprochen. Denn das Land bleibt zerrissen

von Sophie Albers Ben Chamo  25.07.2024

USA

Die zweite Wahl?

Mit dem Rückzug von Joe Biden und der Kandidatur von Kamala Harris könnte das Rennen um die Präsidentschaft noch einmal richtig spannend werden

von Michael Thaidigsmann  24.07.2024

Jüdische Emigration

Die Niederlande - Ein Ort der Zuflucht für Juden?

Die Historikerin Christine Kausch nimmt das Leben jüdischer Flüchtlinge in den Blick

von Christiane Laudage  24.07.2024

Vor 80 Jahren

Von Rhodos nach Auschwitz

1944 wurden 2000 Jüdinnen und Juden von Rhodos nach Auschwitz deportiert. Nur wenige überlebten

von Irene Dänzer-Vanotti  23.07.2024

Jerusalem

Nach Gaza entführter Holocaust-Experte für tot erklärt 

Der Historiker Alex Dancyg ist in der Geiselhaft umgekommen

 22.07.2024