Gleich der erste Versuch, den Streamer in Berlin auszuprobieren, scheitert nach wenigen Sekunden. Es erscheint die ernüchternde Nachricht: »Entschuldigung. – Dieser Service ist in Ihrer Region derzeit nicht verfügbar. Schreiben Sie Ihre E-Mail-Adresse in das Feld unten und teilen Sie den Produzenten mit, dass Sie in Ihrem Land Zugang haben wollen!« Zumindest im Moment ist ChaiFlicks der englischsprachigen Welt vorbehalten. Wer also in Australien, Kanada, Neuseeland, dem Vereinigten Königreich oder den USA lebt, kann sich über das besondere Streamer-Programm freuen.
In der Welt der Streamingdienste ist ChaiFlicks angetreten, nur jüdische und israelische Filme und Serien zu zeigen. Die Zielgruppe sind Juden in der Diaspora. Von ihnen gibt es in Nordamerika, England und Australien einige Millionen, also deutlich mehr als in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Ausgeschlossen sei die baldige Ausweitung auf neue Regionen dennoch nicht, sagen die Macher.
Erfahrung mit Netflix
Als die Pandemie den Boom der Streamer befeuerte, war die Idee für ChaiFlicks nicht weit. Menschen konnten fast überall in der Welt nicht mehr ins Kino gehen. Zugleich stieg die Nachfrage nach Unterhaltung am heimischen Bildschirm. Denn womit sollte man sich sonst im Homeoffice-Feierabend beschäftigen, wenn die Bücher schon gelesen, das Essen fertig zubereitet und die Wohnung schon geputzt war? Die Zahl der Streamingdienst-Abonnenten explodierte.
Für Produzent Neil Friedman war der Fall klar. Er hatte bereits Erfahrungen mit Netflix gesammelt, als der große Streamer seinem Filmverleih Menemsha Films die britisch-ungarische Komödie Dough über eine jüdische Bäckerei, die einen muslimischen Migranten aus Afrika einstellt, und Emil Ben-Shimons Emanzipationsdrama The Women’s Balcony abgekauft hatte.
Dann, als Netflix anfing, den Schwerpunkt auf exklusive Inhalte zu verlagern, beschloss Friedman, einen eigenen Streamingdienst zu gründen – und zwar möglichst schnell. Aufgrund ihrer Arbeit mit Menemsha Films kannten Friedman und seine Kollegin Heidi Bogin Oshin das Business und wussten, was zu tun war.
»The Lesson« und auch »Shtisel«
Mit Bill Weiner fanden sie einen weiteren Mitstreiter, und nach einer kurzen Testphase brachten sie schon im August 2020 ChaiFlicks an den Start. Damals umfasste das Programm für die Abonnenten 150 Titel, darunter Spiel- und Kurzfilme sowie Dokumentationen, die ChaiFlicks in der ganzen Welt zusammenkaufte. Schnell gewann das Trio eine weitere Erkenntnis: Der Erfolg, den Netflix mit Fauda oder Shtisel feierte, machte klar, dass man überzeugende Serien akquirieren muss, wenn man die Abonnenten bei der Stange halten und neue hinzugewinnen will. Und so geschah es.
ChaiFlicks ist im Vergleich zu Prime und Netflix winzig klein. Sozusagen der David unter den Streamingdiensten. Die Technik basiert auf dem Videodienst Vimeo. Aber der ausschließlich jüdische Inhalt hat es in sich. Jüngst wurden die gefeierte israelische Psychodrama-Serie The Lesson, die ungarische Produktion Those Who Remained und die Doku-Serie The Hebrews hinzugefügt.
Und im vergangenen November ging mit dem Food-Dokutainment Schmoozing and Cruising die erste eigene Serie an den Start: alles über koscheres Essen in den USA. Die Filmauswahl wächst täglich und soll nicht nur Juden ansprechen, so die Gründer. Shtisel gibt es jetzt auch. Fehlt also nur noch der Zugang für den Rest der Welt.