Brasilien

Denunziert sie!

Der neue Bildungsminister Abraham Weintraub ruft Schüler dazu auf, regierungskritische Lehrer zu filmen

von Andreas Knobloch  09.05.2019 16:48 Uhr

Abraham Weintraub Foto: picture alliance/AP Photo

Der neue Bildungsminister Abraham Weintraub ruft Schüler dazu auf, regierungskritische Lehrer zu filmen

von Andreas Knobloch  09.05.2019 16:48 Uhr

Abraham Weintraub (47) ist kaum einige Wochen als neuer brasilianischer Bildungsminister im Amt – und bereits in zahlreiche Polemiken verwickelt. Ende April verteidigte der Ökonom und Professor das »Recht« der Schüler, ihre Lehrer im Klassenraum zu filmen.

Präsident Jair Bolsonaro hatte auf Twitter das Video einer Schülerin geteilt, die ihre Lehrerin im Unterricht gefilmt hatte. Die Regierung ruft Schüler dazu auf, vermeintlich »politisch indoktrinierte« Lehrer aufzunehmen und zu melden. Mindestens ein Lehrer einer Privatschule in São Paulo wurde bereits entlassen, weil er den ultrarechten Präsidenten kritisiert hatte und von einem Schüler denunziert worden war.

Erst Anfang April war Weintraub zum Bildungsminister ernannt worden.

Kritik Medienvertreter kritisierten dies als »faschistische« Praktiken. Mehrere Journalisten hielten Weintraub Doppelmoral vor, da er selbst bei Treffen in seinem Büro Mobiltelefone verbiete. Zuvor hatte Weintraub bereits mit einem Interview mit der Tageszeitung Estado de S. Paulo für Wirbel gesorgt, als er Kommunisten als die eigentlichen Besitzer des Landes bezeichnete. »Die Kommunisten sind an der Spitze des Landes. Sie sind an der Spitze der Finanzorganisationen. Ihnen gehören die Zeitungen. Sie sind die Eigentümer der großen Unternehmen. Ihnen gehören die Monopole«, sagte er.

Gerd Wenzel, Kommentator beim Pay-TV-Netzwerk ESPN Brasil und Kolumnist der Deutschen Welle, warf dem kurz zuvor ernannten Minister daraufhin per Twitter eine Kopie der Nazi-Rhetorik der 30er-Jahre vor. »Juden« würden durch »Kommunisten« ersetzt.

Schoa Weintraubs eigener Großvater überlebte nur durch Glück die deutschen Konzentrationslager. »Er hatte einen SS-Scharführer, der ihn im Lager beschützte und ihn rettete. Der Kerl sagte: Das hier ist verrückt.« Sein Großvater sei damals 14 Jahre alt gewesen, so Weintraub.

Weintraub bezeichnet sich selbst als »Humanisten, Demokraten und Liberalen«.

Zu seinen Vorhaben als Minister gehören drastische Veränderungen im Bildungssystem, das er als »in marxistische Ideologie eingerahmt« und als »weit weg« vom Leben der Menschen bezeichnete. Damit liegt Weintraub auf einer Linie mit Präsident Bolsonaro, der immer wieder Stimmung gegen vermeintliche marxistische Hegemonie an sozialwissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten macht.

Erst Anfang April war Weintraub, ein Spezialist für soziale Sicherheit und Finanzmärkte, der sich selbst als »Humanisten, Demokraten und Liberalen« bezeichnet und kaum über Lehrerfahrung verfügt, zum Bildungsminister ernannt worden.

Zuvor hatte – nach wochenlanger Ungewissheit und Gerüchten – sein umstrittener Vorgänger, Ricardo Vélez Rodríguez, ein Philosoph mit kolumbianischen Wurzeln, nach nicht einmal 100 Tagen im Amt seinen Rücktritt eingereicht. Immer wieder wurde im Ministerium polemisiert, was zu öffentlicher Entrüstung und zum Abgang von fast zwei Dutzend Funktionären führte und die Behörde beinahe zum Erliegen brachte.

Präsident Bolsonaro sendet ein klares Signal: Er wird weiterhin auf Kulturkrieg setzen.

Regierungsstreit Die Besetzung des Bildungsressorts war Teil eines nach wie vor schwelenden Richtungsstreits in der Regierung zwischen Militärs und Ultrakonservativen um Olavo de Carvalho. Der selbsternannte Philosoph, Antikommunist und Verschwörungstheo­retiker ist eine Art Guru Bolsonaros und der extremen Rechten in Brasilien.

Auch Weintraub gilt als Anhänger Carvalhos, will sich selbst aber nicht als Olavisten bezeichnen. Allerdings lobt er Carvalho als »klugen Kopf«: Er habe »großartige Ideen, aber ich stimme nicht mit allem überein«.

Mit Weintraubs Ernennung sendet Präsident Bolsonaro ein klares Signal: Er wird weiterhin auf Kulturkrieg setzen, auch wenn die Zustimmung zu seiner Amtsführung laut Meinungsforschern stark bröckelt.

USA

Berufungsgericht hebt Urteil gegen Harvey Weinstein auf

Die Entscheidung ist ein Paukenschlag – vier Jahre nach der Verurteilung des ehemaligen Filmmoguls

 25.04.2024

Mexiko

Präsidentschaftskandidatin von Bewaffneten aufgehalten

Steckt ein Drogenkartell hinter dem bedrohlichen Zwischenfall?

 22.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Der Regisseur möchte über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

USA/Israel

Biden: Pessach-Fest ist besonders hart für Familien der Geiseln

Die abscheulichen Gräueltaten der Hamas dürften niemals vergessen werden, sagt der Präsident

 22.04.2024

Ukraine

Mazze trotz Krieg

Kyivs älteste Synagogen-Bäckerei produziert seit Jahrzehnten, und nun auch bei Raketenbeschuss

von Michael Gold  22.04.2024

Pessach

Der eigene Exodus

Wie erlangt der Mensch persönliche Freiheit? Wir haben sechs Jüdinnen und Juden gefragt

von Nicole Dreyfus  22.04.2024

London

Initiative gegen Antisemitismus: Polizeichef soll zurücktreten

Hintergrund ist ein Vorfall bei einer antiisraelischen Demonstration

 22.04.2024

Columbia University

Nach judenfeindlichen Demos: Rabbiner warnt eindringlich

Jüdische Studierende sind auf dem Campus nicht mehr sicher, sagt Elie Buechler

 22.04.2024

London

Polizeichef steht in der Kritik

Die »Initiative Campaign Against Antisemitism« fordert den Rücktritt von Sir Mark Rowley

 21.04.2024