Mount Everest

Den Gipfel erreicht

Stevie Hornik und Philip Lask, ihr seid vor Kurzem gemeinsam aufgebrochen, um den Mount Everest zu besteigen. Mit welchem Ergebnis?
Stevie Hornik: Ich habe den Gipfel erreicht.
Philip Lask: Bei mir gab es leider ein paar Probleme.

Mir fällt es schwer zu entscheiden, ob wir das Gespräch eher mit dem Erfolg oder mit dem Scheitern beginnen. Legen wir mit Stevies Gipfelerlebnis los.
Hornik: Weil ich etwas langsamer ging, kamen mir bei meinem Aufstieg, den ich gemeinsam mit dem Sherpa Tenzi bewältigt habe, schon einige Bergsteiger entgegen. Oben war ich dann etwa eine halbe Stunde fast allein.
Lask: Beneidenswert!

Wie ist das, eine halbe Stunde fast allein auf dem höchsten Gipfel der Welt zu sein?
Hornik: Ich war megastolz.

Magst du die letzten Schritte, die du gegangen bist, beschreiben?
Hornik: Kurz vor dem Gipfel ist der Hillary Step, ein vorgelagerter Hügel. Wenn du den überschreitest, siehst du zum ersten Mal den Gipfel. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl, den so nah zu sehen. Dann gehst du die letzten Schritte. Und dann fühlst du dich, als ob du »on top of the world« bist.
Lask: Ja, du bist tatsächlich »on top of the world« gewesen!
Hornik: Stimmt. Man merkt da oben sehr deutlich, wie unbedeutend der Mensch ist. Man wird sehr bescheiden. Es gibt größere Sachen als das, was du täglich machst. Und du merkst, dass es nicht der Mensch ist, der alles regelt.
Lask: Das kann ich bestätigen. Da oben wird vieles irrelevant. Das ist eine Art Rückkehr zu dem, was wirklich wichtig ist: in der Nacht ein Dach über dem Kopf zu haben, etwas zu trinken und zu essen, und das zwischenmenschliche Gemeinschaftsgefühl.

Philip, du bist nicht auf dem Gipfel gewesen. Du wurdest schwer krank mit dem Helikopter ins Krankenhaus geflogen. Inwiefern fehlt dir dieses Gipfelerlebnis?
Lask:
Ich wäre so gern oben gewesen! Wir haben alles zusammen geplant, wir hatten das gemeinsame Ziel.

Willst du es noch einmal probieren?
Lask: Nach heutigem Stand, ja. Man sagt oft: »Der Weg ist das Ziel«, und es war für mich auch eine schöne Erfahrung – bis ich ins Krankenhaus musste. Den Gipfel zu erreichen, das ist etwas ganz Spezielles.

Hat am Everest das Judentum eine Bedeutung für euch gehabt?
Hornik: Dass ich jüdisch bin, spielt in meinem Leben sehr oft eine Rolle, beim Bergsteigen aber eher nicht. In den Gesprächen im Basecamp geht es manchmal um Einzigartigkeit: der erste dies, die erste das auf dem Everest – es gibt ja merkwürdige Rekorde. Vielleicht hätte ich sagen können, dass ich der erste deutsche Jude auf dem höchsten Berg der Welt bin.

Bist du das?
Hornik: Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich der erste deutsch-jüdische Bergsteiger bin, der den Gipfel des Mount Everest erreicht hat. Aber zu 100 Prozent weiß ich es nicht.

Wie erging es dir mit deinem Jüdischsein, Philip, so weit oben in den Bergen?
Lask: Als ich aus dem Krankenhaus zurück ins Basecamp kam, hatte ich einen Siddur und eine Kippa dabei und habe etwas gemacht, das ich sonst nicht mache: Ich habe jeden Morgen das Schacharit, das Morgengebet, gesprochen. Warum, kann ich nicht sagen, aber es hat mir Kraft und Zuspruch gegeben.

Schauen wir zurück an den Anfang – mögt ihr über den Verlauf eurer Expedition erzählen?
Lask: Gern. Wir waren zunächst in Kathmandu, der Hauptstadt Nepals. Von dort aus flogen wir nach Lukla. Hier beginnt der Trek zum Everest Basecamp. Neun Tage gingen wir dort hin, um uns zu akklimatisieren, uns gut an die Höhe zu gewöhnen. Die ersten Gipfel, die wir zur Vorbereitung als Teil dieses Akklimatisierungsprogramms bestiegen, klappten perfekt. Aber danach gingen die Probleme bei mir los. Ich erlebte eine schlechte Nacht, und die zweite Nacht war noch schlimmer. Hohes Fieber, Magenschmerzen und alles, was dazu gehört.

Gibt es im Basecamp einen Arzt?
Lask: Ja. Der entschied, dass ich sofort mit dem Helikopter nach Kathmandu in ein Krankenhaus geflogen werden muss – ich konnte kaum aus eigener Kraft zum Helikop­ter laufen. Im Krankenhaus, in dem man mich exzellent versorgte, wurde diagnostiziert, dass ich mir einen potenziell tödlichen Parasiten eingefangen hatte. Wie und wo, wissen wir nicht. Eine Woche lang blieb ich dort. Dann ging ich zurück ins Basecamp und sogar noch weiter, ins Camp 2. Da habe ich bemerkt, dass es nicht mehr ging, ich konnte mich auf dieser Höhe einfach nicht schnell genug erholen. Ich musste also ein zweites Mal umkehren.

Die Höhe, die dünne Luft, ein Parasit, der vermutlich durchs Essen oder Trinken in den Körper kam – bekamt ihr es da nicht mit der Angst?
Hornik: Nein. Ich hatte immer großen Res­pekt vor der Aufgabe, die wir uns gestellt hatten. Angst hatte ich nur, dass unsere Expedition scheitern könnte.
Lask: Ging mir genauso.

Und umgekehrt: Hattet ihr Glücksgefühle?
Hornik: Ich bin beim Aufstieg in der Todeszone in den Sonnenaufgang hinein gegangen, da habe ich innegehalten und ein Foto gemacht. Das war ein sehr intensiver Moment. Etwas später, als ich kurz unter dem Gipfel stand und realisiert habe, dass ich tatsächlich mein Ziel, die Besteigung des Mount Everest, schaffen werde, da habe ich geweint, Freudentränen. Es war ein wunderbares Gefühl.

Ich habe gehört, dass man in über 7800 Höhenmetern, also in der Todeszone, nicht mehr klar denken kann, im Grunde nur noch irgendwie funktioniert. Hast du noch viel wahrgenommen?
Hornik: Schwer zu sagen. Man sieht manchmal zwischendurch am Rand bunte Kleidung und weiß nicht, ob das andere Bergsteiger sind. Mein Sherpa gab mir ein Zeichen, dass es Leichen sind: Die Hand führte er an seinem Hals vorbei. Das zu realisieren, fällt da oben sehr schwer. Dennoch hast du da ein mulmiges Gefühl.

Nach dem intensiven Gipfelerlebnis, wie war da der Abstieg?
Hornik: Der Abstieg ist immer schwerer. Man ist schon müde und glaubt, alles geschafft zu haben. Die meisten Bergunfälle passieren beim Abstieg. Wir haben wieder einige Tote passiert. Ich hatte vorher noch nie eine Leiche gesehen, das geht einem nahe.

In diesem Sommer gab es ja an einem anderen Achttausender, dem K2, eine viel diskutierte Situation: Ein Träger befand sich im Todeskampf, und viele Bergsteiger stiegen einfach über ihn hinweg. Nach deiner eigenen Erfahrung in der Todeszone – wie beurteilst du das?
Hornik: Das ist unglaublich schwierig. Es ist ein Mensch, dem muss man helfen, das ist klar. Zugleich gibt es das Wissen, dass es in der Todeszone meist unmöglich ist, jemanden zu retten. So wichtig es ist, Menschen in Not zu helfen, so unsicher bin ich mir, ob man Menschen vorwerfen kann, dass sie in dieser Situation nicht geholfen haben.

Und die Vorstellung, dass du selbst derjenige sein könntest, dem die Hilfe verweigert wird?
Hornik: Das ist noch schwieriger. Du weißt und akzeptierst, wenn du losgehst, dass es keine Garantie gibt, dass du gerettet wirst und wieder gesund zurückkehrst.

Philip, wenn du das alles hörst, willst du immer noch nach oben?
Lask: Wenn ich das höre, wird mir auf jeden Fall klar, dass es für unsere Angehörigen extrem schwer nachvollziehbar ist, warum wir das machen. Wir sind uns der Risiken bewusst und haben vor jeder Besteigung Respekt. Zudem sind wir ja mit einem Bergführer unterwegs, mit dem wir gemeinsam versuchen, die Risiken zu managen.

Wie seid ihr beide überhaupt auf die Idee gekommen, den Mount Everest zu besteigen?
Lask: Vor neun Jahren, 2014, waren wir zusammen in Tansania. Dort hatten wir ziemlich spontan beschlossen, den Kilimandscharo zu besteigen, mit 5895 Meter der höchste Berg Afrikas. Wir sind hoch ohne große Vorbereitung. Das war mehr als ein Abenteuer! Man kann sagen: Das hat unser Leben verändert.

Inwiefern?
Lask:
Oben auf dem Gipfel zu stehen, das bewirkt etwas. Nach all der harten Arbeit erreicht man sein Ziel, man ist eins mit der Natur. Du siehst diese Weite und merkst, dass so vieles gar nicht wichtig ist, was du im Alltag machst. Seither blicken wir anders auf die Welt.

Und was war in den neun Jahren zwischen Kilimandscharo und Mount Everest? Da war doch noch ein bisschen mehr…
Lask:
Wir haben beschlossen, die Seven Summits, also die höchsten Gipfel der sieben Kontinente, zu besteigen. Zwei Jahre nach dem Kilimandscharo waren wir in Russland auf dem Elbrus mit seinen 5642 Metern. Dort waren wir zu dritt – Stevie, ich und noch ein Freund. Danach sind wir nach Argentinien geflogen und auf den Aconcagua geklettert. Er ist 6961 Meter hoch. 2019 bestiegen wir dann den höchsten Berg Nordamerikas, den 6190 Meter hohen Denali in Alaska. Und so reifte allmählich der Plan, auch den höchsten Berg der Welt zu besteigen, den Mount Everest.

Ihr seid nun seit einiger Zeit wieder zu Hause und könnt zurückschauen. Wie bewertet ihr euer Everest-Abenteuer heute?
Hornik:
Es hat mir gezeigt, wozu der Mensch fähig ist. Und zugleich war es schwierig, als mein bester Freund ins Krankenhaus kam und ich nicht wusste, wie es ihm geht.
Lask: Für mich war es auch schwierig. Ein Jahr lang hatten wir uns zusammen darauf vorbereitet, und dann musste ich abbrechen. Dennoch überwiegt bei mir der Stolz auf Stevie, der es geschafft hat. Ich würde sagen: ein Prozent Neid und 99 Prozent Freude.
Hornik: Philip hat mich total spüren lassen, wie sehr er sich für mich freut. Das Einzige, das größer ist als mein Erfolg, ist unsere Freundschaft.

Mit den beiden Bergsteigern sprach Martin Krauß.

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