USA

Das relaxte siebte Jahr

Ausruhen und Kraft schöpfen: Manche reisen um die Welt, andere legen sich in den Garten. Foto: Thinkstock

Das neue Jahr 5775, das diese Woche beginnt, ist ein Schmitta-Jahr, ein landwirtschaftliches Ruhejahr. Die Tora verlangt, Felder in Israel während des siebten Jahres brach liegen zu lassen.

Dass nicht nur der Ackerboden, sondern auch Menschen eine Ruhephase brauchen, ist ein Kerngedanke im Judentum: Der Schabbat ist Ausdruck der Wertschätzung von Mensch und Natur, der göttlichen Schöpfung. Er dient der Erholung und der Erneuerung der physischen und spirituellen Kräfte für kommende Anstrengungen.

Energie Davon können vor allem Rabbiner ein Lied singen. Sie sind Seelsorger und Planer, leisten spirituellen und organisatorischen Beistand und sorgen für den Zusammenhalt der Gemeinde. »Der Job kostet viel Zeit und Energie«, sagt Billy Dreskin, seit mehr als 20 Jahren Rabbiner in White Plains im Bundesstaat New York. Er hatte bereits über zehn Dienstjahre hinter sich, als er 2005 sein erstes Sabbatical antrat – »mit vielen Ideen, aber ohne konkreten Plan«, sagt er. »Ich wollte niemandem, nicht mal mir selbst, feste Zusagen machen.«

Auch seine Gemeinde drängte ihn nicht, eine Agenda für seine Auszeit vorzulegen. »Ich sollte mich einfach ausruhen und regenerieren – und wenn ich sechs Monate lang Zeichentrickfilme gucken würde. Was ich aber nicht gemacht habe!«, sagt Dreskin lachend. Stattdessen engagierte sich der Rabbiner, der in jungen Jahren Musik studiert und zahlreiche Preise für Kompositionen gewonnen hatte, in einem Musikprojekt und lernte den Umgang mit digitaler Projektionstechnik. Daraus entstand das Projekt »A Joyful Noise«, ein von Gospeltraditionen inspirierter Schabbatgottesdienst mit einer zwölfköpfigen Band und auf Leinwände projizierten Gebetstexten, der inzwischen alle sechs bis acht Wochen in der Gemeinde stattfindet.

Dreskin war froh, während seines Sabbaticals oft mit seiner Frau und den Kindern zusammen sein zu können. »Die fehlende Zeit für die Familie ist das größte Opfer, das ein Rabbiner bringen muss«, sagt er. Auch seine zweite Auszeit im Jahr 2012, drei Jahre nach dem Tod seines damals 19-jährigen Sohnes Jonah, verbrachte Dreskin weitestgehend zu Hause. Er las viel, schrieb und gründete eine Stiftung, die Projekte in Bereichen fördert, die seinem Sohn wichtig waren: jüdische Erziehung, Sozialarbeit, Kunst. »Der Aufbau der Stiftung war – und ist – ein Teil meiner kontinuierlichen Trauerarbeit«, sagt Dreskin.

auszeit Nur wenige Rabbiner bleiben während ihrer Auszeit vor Ort. Die meisten nutzen das Sabbatical zum Reisen. Rabbiner Paul Kerbel aus Atlanta verbrachte zwei Monate in Israel, besuchte seine Partnergemeinde, traf sich mit Offizieren, Lehrern, Journalisten und genoss es, wie er in einem Interview beschreibt, »ohne Zeitdruck über Märkte zu schlendern, Kunstgalerien zu besuchen und die Eindrücke dieses speziellen, uns von Gott gegebenen Ortes aufzusaugen«.

Rabbiner Patrick Beaulier, Schöpfer des jüdischen Webportals PunkTorah, zog es während seines Sabbaticals nach Italien. »Rom, Florenz, Venedig – es war wunderbar«, schwärmt er. Mit seiner Frau besuchte er Synagogen, Ruinen und Weingüter – ohne Handy oder Computer. »Nicht mal meine Mutter wusste, wie sie mich erreichen konnte«, sagt Beaulier.

Auch Janet Marder, Rabbinerin im kalifornischen Los Altos Hills, brach den Kontakt mit ihrer Gemeinde während ihres Sabbaticals komplett ab: keine Telefonate, keine E-Mails, und – bis auf einen Notfall –keine Einsätze in amtlicher Funktion. »Natürlich habe ich meine Gemeinde vermisst, und es tat mir leid, dass ich wichtige Ereignisse verpasst habe«, sagt die Rabbinerin. Aber sie sei auch zutiefst dankbar, dass sie die Möglichkeit hatte, sich auszuruhen und neue Kräfte zu sammeln.

Marder betrieb Studien in Israel, besuchte europäische Kunstmuseen, las Bücher und arbeitete an einem neuen Gebetbuch für die Hohen Feiertage. »Ich gebe kontinuierlich Unterricht. Daher finde ich es wichtig, Zeit zum Nachdenken zu haben und mich selbst weiterzubilden«, betont sie. »Und ich habe es genossen, jede Nacht acht Stunden zu schlafen, regelmäßig zu kochen und Sport zu treiben.«

Rückkehr
Nicht alle Rabbiner schaffen es, während ihres Sabbaticals abzuschalten. Agatha Walker, Assistentin von Rabbiner Josh Lesser in Atlanta, stand mit ihrem Chef in ständigem Kontakt. »Meistens wegen unvorhergesehener organisatorischer Dinge, zum Beispiel, als ich versuchen musste, ihm während der heißen Phase im Gaza-Konflikt einen Rückflug von Israel zu besorgen«, erzählt sie.

Seine Aufgaben teilten sich ein Rabbiner im Praktikum und ehrenamtliche Mitarbeiter, und statt des üblichen Kidduschs in der Gemeinde feierten die Gemeindemitglieder den Schabbat gruppenweise in ihrer Nachbarschaft. »Dieses Engagement hat den Zusammenhalt gestärkt und Raum für neue Ideen geschaffen, die wir auch nach der Rückkehr von Rabbiner Lesser umsetzen«, sagt Walker.

Die Unterstützung durch die Gemeinde ist enorm wichtig. »Das Sabbatical spiegelt die Fürsorge einer Gemeinde für ihren Rabbiner wider«, sagt Rabbiner Dreskin. »Es ist keine Pflicht, sondern ein Geschenk.«

lücke
Wenn die Lücke, die der Rabbiner hinterlässt, nicht von den Mitgliedern geschlossen werden kann, muss die Gemeinde einen Ersatzrabbiner bezahlen, zusätzlich zu dem Gehalt des abwesenden Rabbiners – eine nicht unwesentliche Ausgabe. »Meine Gemeinde hat für mein Sabbatical gespart«, erzählt Rabbiner Dreskin. Er sei glücklich, dass ihm die Auszeit ermöglicht wurde. Es war das erste Mal in der Geschichte seiner Gemeinde.

In den von der Union of Reform Judaism 1984 herausgegebenen, aber weitgehend unbekannten »Richtlinien für das Verhältnis Gemeinde – Rabbiner« ist ein Sabbatical zwar als »üblich« vorgesehen. Doch nicht alle Rabbiner haben ein solches im Vertrag stehen. Der New Yorker Rabbiner Jonathan Morgenstern zum Beispiel hat noch nie ein Sabbatical genommen. »In orthodoxen Gemeinden steht das in der Regel nur Rabbinern zu, die schon 15 oder 20 Jahre in der Gemeinde amtiert haben«, sagt Morgenstern. »Was das Bedürfnis nach einer Auszeit und die Vorbeugung eines klerikalen Burn-outs angeht, sind uns andere Denominationen offenbar eine Nasenlänge voraus.«

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