Frankreich

Damenwahl im Palais Bourbon

Über dem Hohen Haus: Frankreichs Flagge Foto: imago

Frankreich

Damenwahl im Palais Bourbon

Die Nationalversammlung wird weiblicher. Eine Abgeordnete kommt aus Tel Aviv

von Iris Hartl  19.06.2012 10:59 Uhr

In Frankreich ist seit Sonntag offiziell, was seit Wochen alle vorhergesagt hatten: Die Sozialistenpartei von Präsident François Hollande erhält die absolute Mehrheit im Parlament. Das ganze Land spricht von einer »roten Welle«, die linke Tageszeitung »Libération« bildete Hollande gar als Superman ab. Insgesamt erhielten die Sozialisten 280 der insgesamt 577 Sitze, die konservative UMP kam dagegen nur auf 194.

Eine solche Mehrheit für die Parti Socialiste hat es seit 31 Jahren nicht gegeben. Historisch ist die Wahl auch für die Frauen, die die Nationalversammlung mit 155 Abgeordneten (26,86 Prozent) zur »weiblichsten« aller Zeiten machen. Unter ihnen ist die israelische Sozialistin Daphna Poznanski-Benhamou, die den achten Wahlkreis gewann.

Dieser ist neu und repräsentiert alle französischen Staatsbürger, die in Israel, Zypern, Griechenland, Italien, Malta, Saint-Marin, dem Vatikan oder in der Türkei leben. Die beiden anderen israelischen Kandidaten, Valerie Hoffenberg (UMP) und Philippe Karsenty (unabhängig, Mitte-Rechts), verpassten den Einzug ins Parlament.

gewaltakte Dass ausgerechnet eine Israelin die im Ausland ansässigen Franzosen vertritt, ist im Hinblick auf zwei Ereignisse sehr wichtig: die jüngsten Gewaltakte gegen Juden in Frankreich sowie der Einzug des Front National ins Parlament. Die jüdische Gemeinde sieht ihre Sicherheit mehr denn je in Gefahr und fürchtet vor allem Untätigkeit vonseiten der Regierung. Hier kann Poznanski-Benhamou vielleicht den nötigen Druck ausüben.

Der Vorsitzende des jüdischen Dachverbandes CRIF, Richard Prasquier, hatte bereits vor der Präsidentschaftswahl im Mai keinen Hehl daraus gemacht, dass er die UMP von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy den Sozialisten vorzieht. Denn Letztere seien zu sehr im »Gutmenschentum« verhaftet. Aus diesem Grund könnten sie den zunehmend gewaltbereiten Antisemitismus vor allem der aus dem Maghreb stammenden Bevölkerung nicht wirkungsvoll bekämpfen.

Etwas ausgeglichener ist die Haltung von Großrabbiner Gilles Bernheim. Dieser schrieb Ende Mai in einem Gastbeitrag für das Wochenmagazin »L’Express«, dass ihm »alle Hauptparteien sowohl Grund zur Sorge als auch Grund zur Hoffnung« gäben. Dabei betonte er jedoch auch, wie beängstigend es sei, »dass es wieder möglich wurde, in Frankreich Juden brutal zu ermorden, nur weil sie Juden sind«. Bernheim bezog sich auf das Attentat von Toulouse, bei dem am 19. März ein islamistischer Terrorist drei Kinder und einen Rabbiner erschoss. Was Bernheim nicht ahnen konnte: Nur ein paar Tage später wurden Juden erneut Opfer antisemitischer Gewalt.

In der Nähe von Lyon griff Anfang Juni eine Horde junger Männer drei Juden an. Mit einem Hammer und einer Eisenstange gingen sie auf die drei los und verletzten sie schwer. Die neue Regierung reagierte umgehend: Premierminister Jean-Marc Ayrault sprach von einer »sehr schwerwiegenden« Aggression, Innenminister Manuel Valls versprach der jüdischen Gemeinde verstärkte Sicherheitsmaßnahmen.

front national Wirklich beruhigen dürften diese Versprechungen die Gemeinde nicht. Zu groß ist die Angst, dass sich die französische Gesellschaft weiter in Richtung Intoleranz und Hass entwickelt. Der rechtsextreme Front National (FN), der gegen die EU, Einwanderer und das Schächten Stimmung macht, bekam am Sonntag zwei Sitze in der Nationalversammlung und zieht erstmals seit 1998 wieder ins Palais Bourbon ein. Auf der anderen Seite sind die israelkritischen Linksextremen im Aufschwung.

Die Tatsache, dass die Lieblingspartei der französischen Juden, die UMP, der große Verlierer bei der Parlamentswahl war, erscheint unter diesen Umständen noch schmerzlicher. Die seit der Bekanntgabe der Wahlergebnisse ausgebliebenen Reaktionen der Vertreter der jüdischen Gemeinde untermauern diesen Eindruck.

Hurrikan Melissa

»Ich habe seit einer Woche nicht geschlafen«

Wie ein Rabbiner vom Wirbelsturm in Jamaika überrascht wurde – und nun selbst Betroffenen auf der Insel hilft

von Mascha Malburg  06.11.2025

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  05.11.2025 Aktualisiert

New York

ADL will Mamdani unter Beobachtung stellen

Die Anti-Defamation League erwartet vom neugewählten New York Bürgermeister nichts Gutes. Jetzt hat die jüdische Organisation angekündigt, man werde genau hinschauen

 05.11.2025

Amsterdam

Wegen IDF-Kantor: Concertgebouw sagt Chanukka-Konzert ab

Die renommierte Musikhalle hat wegen des geplanten Auftritts von IDF-Chefkantor Shai Abramson das alljährliche Konzert abgesagt. Die jüdische Gemeinschaft ist empört und will gegen den Entscheid klagen

von Michael Thaidigsmann  05.11.2025 Aktualisiert

Essay

Mamdanis demokratische Steigbügelhalter

Führende Politiker der Demokraten haben aus Opportunismus die Wahl des Israel-Hassers Zohran Mamdani zum New Yorker Bürgermeister ermöglicht - und so in Kauf genommen, dass aus Worten gegen Israel wieder Gewalt gegen Juden werden könnte

von Menachem Z. Rosensaft  05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025

Spanien

Francos Erbe

Das Land, das den Sefardim einst ihren Namen gab, verlangt seinen Juden heute einiges ab

von Valentin Suckut  03.11.2025