Niederlande

Chanukka unter Palmen

Als Indonesien noch »Niederländisch-Indien« war: Familienfoto Foto: jhm

Während der Überfahrt griff Joseph De Jong zum Stift: »Wenn du etwas größer bist«, schrieb er seiner kleinen Tochter Marianne, »nimmt Mami dich auch mit auf so ein Schiff, um bei Papi in einem sehr fernen und schönen Land zu wohnen. Dort spielen die Äffchen in den Bäumen, und du darfst in einem großen Garten herumlaufen«. Joseph De Jong, ein niederländischer Jude, brach 1938 auf, um im fernen Niederländisch-Indien ein neues Leben zu beginnen. Frau und Tochter, so der Plan, sollten bald nachkommen.

De Jongs Postkarte ist derzeit im Jüdisch-Historischen Museum Amsterdam (JHM) zu sehen. Sie gehört zur Ausstellung Selamat Sjabbat, die sich einem, so heißt es am Eingang, »vernachlässigten Thema« widmet: dem Leben der schätzungsweise 3000 bis 5000 Juden (Stand 1940) im heutigen Indonesien.

bagdad-juden
Meist machten sie sich auf den Weg, weil es in der Kolonie reichlich Arbeit gab, nachdem die niederländische Krone um das Jahr 1900 von der Vereinigten Ostindische Kompanie (VOC) die Verwaltung übernommen hatte. Im tropischen Archipel trafen sie auf die sogenannten Bagdad-Juden, die seit Generationen vor allem in der Hafenstadt Surabaya lebten.

Selamat Sjabbat (malaysisch-hebräisch für den Gruß »Schabbat Schalom«) vermittelt einen Eindruck davon, was der Umzug in die Kolonie für viele bedeutete. Von einer »anderen Welt« spricht eine der Tafeln, nennt die fremde »Landschaft, Mischung von Kulturen, neue Gerüche und Geschmäcker«, aber auch die für manchen Einwanderer ungewohnte soziale Position: In der kolonialen Ständegesellschaft gehörte man plötzlich zur (weißen) Oberschicht.

All dies dokumentieren Fotos, zum Beispiel von Familien unter Palmen oder Ausflügen in den Regenwald, und ein Acht-Millimeter-Film, in dem indonesische Hausangestellte die Tore zu einer Villa öffnen und ein Diener den europäischen Besitzern auf der Veranda Drinks einschenkt.

Leihgaben In ihrer Alltäglichkeit bieten die Exponate eine Intimität, die den Besucher geradezu hineinzieht in diese ferne Welt. Genau darin liegt die Stärke der Schau. »Es ist eine sehr persönliche Ausstellung«, sagt Valerie Touw, die als Assistentin der Konservatorin Hetty Berg für das Konzept verantwortlich ist. Basierend auf persönlichen Leihgaben, wird erstmals ein Teil der jüngeren Geschichte illustriert, die nach Schoa und Zweitem Weltkrieg in der niederländischen Gesellschaft in Vergessenheit geraten ist.

»Es gab bisher keinen Platz für dieses Thema«, sagt Touw, »dabei haben nicht wenige jüdische Familien in den Niederlanden einen Bezug dazu. So haben viele irgendeinen verrückten Onkel, der nach Indonesien ging.« Auch Touw selbst hatte Verwandtschaft dort. Der Anfang fern der Heimat war nicht leicht. Gemeindeinstitutionen mussten aufgebaut werden. Weil aus den Niederlanden kein Rabbiner abbestellt wurde, holte man an den Hohen Feiertagen einen aus Indonesien. Und weil es keinen Schächter gab, aßen viele Juden kein Fleisch, während immerhin einige Amsterdamer Auswanderer befugt waren, Beschneidungen vorzunehmen oder Paare zu trauen.

Fotos Von der kurzen Blüte jüdischen Lebens zeugen Fotos der Synagoge in der Hafenstadt Surabaya, ein Exemplar der Gratis-Monatszeitschrift »Erets Israel« und Fotos von Chanukka- oder Purimfeiern mit sommerlich gekleideter Festgemeinde. Die japanische Besatzung Indonesiens bereitete dem Aufschwung 1942 dann ein rasches Ende. Auch das Leben der jüdischen Bevölkerung fand nun in japanischen Internierungslagern statt. Und weil nach der Kapitulation Japans sofort der Unabhängigkeitskampf begann, verließen auch die Juden Indonesien: Die niederländischen kehrten zurück in ein Land, das nicht mehr ihres war, und die Bagdad-Juden wanderten in die USA, nach Australien oder Israel aus.

Die wenigen Juden, die heute noch in Indonesien leben, versammeln sich im Geheimen, da der Staat sie nicht als religiöse Gemeinschaft anerkennt. Von ihrem Leben sieht der Besucher am Ende der Ausstellung einige überraschende Zeugnisse: zum Beispiel ein Foto von 50 Konvertiten, die ihren Übertritt zum Judentum in Ermangelung einer Mikwe mit einem Tauchbad in der Java-See begehen.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 8. März 2015.
www.jhm.nl/current/exhibitions/selamat-sjabbat

Österreich

Wiener Kunstblut

Ein jüdischer Aktivist sorgte mit einer Aktion bei einer Antisemitismustagung in Wien für Aufsehen

 07.05.2024

Lausanne

»Es ist ein Angriff auf das Prinzip der Universität«

Israelfeindliche Aktivisten besetzen die Universität, hetzen gegen den jüdischen Staat und setzen die Hochschule unter Druck. Ein Interview mit Professor Jacques Ehrenfreund

von Sophie Albers Ben Chamo  07.05.2024

Präsidentschaftswahl

Frauenwahlkampf in Macho-Land

Mexiko wählt erstmals eine Präsidentin

von Wolf-Dieter Vogel  07.05.2024

USA

Bernie Sanders will wieder als Senator kandidieren

Seit mehr als drei Jahrzehnten sitzt der jüdische Politiker bereits im US-Kongress

 07.05.2024

Schoa

Tausende beim »Marsch der Lebenden« in Auschwitz

An der Gedenkveranstaltung nahmen auch Menschen teil, die das Hamas-Massaker am 7. Oktober mit rund 1200 Toten in Israel erlebt hatten

 06.05.2024

Jom Haschoa

Auszeit vom Schmerz

Einmal im Monat treffen sich Holocaust-Überlebende im »Club 2600« in New York. Für ein paar Stunden sind sie dann nicht allein, denn mit dem Alter nehmen Einsamkeit und Depressionen zu

von Sebastian Moll  05.05.2024

Israel

»Oft war es der reine Zufall«

Fast 40 Jahre lang jagte Efraim Zuroff Nazis. Im Sommer hört der Direktor des Wiesenthal Center auf

von Ralf Balke  05.05.2024

Baku/Malmö

»Wachsendes Unbehagen«

Der Hamas-Terror und der Krieg in Gaza haben den jüdisch-muslimischen Dialog in Mitleidenschaft gezogen - dennoch gab es nun einen gemeinsamen Aufruf

 03.05.2024

Nachruf

Winter in Brooklyn

Im Oktober erschien sein letztes Buch: Der Ausnahmeschriftsteller Paul Auster wird nie wieder schreiben. Er wurde 77 Jahre alt

von Katrin Richter  02.05.2024