Frankreich

Beten und Baden

Der Strand Le Grand Travers mit seinen Dünen im südfranzösischen Badeort La Grande Motte gilt als Geheimtipp. Jetzt, nachdem die Saison längst zu Ende ist, trifft man dort auch bei Sonnenschein nur wenige Menschen. Sie lassen Drachen steigen oder führen ihre Hunde spazieren. Musik dröhnt aus den Bars und Restaurants der Amüsierviertel, doch in den meisten von ihnen sitzt niemand.

La Grande Motte ist einer jener Orte, die vor allem auf die Ferienmonate Juli und August hin leben. Offiziell existiert die Stadt erst seit 1968. Charakteristisch sind die weißen, pyramidenartigen Hochhäuser, in denen die Ferienwohnungen wie Bienenwaben angeordnet sind. Eine Reise zu einer mexikanischen Kultstätte, wo die Pyramiden die Form der umliegenden Berge wiedergeben, hatte den Architekten Jean Balladur inspiriert. Damals galt die Architektur als revolutionär, heute mutet sie sozialistisch an.

hochhäuser Doch die meisten Urlauber kommen ohnehin wegen der Strände hierher. Im Sommer sind alle Hotels und Ferienwohnungen ausgebucht, und die Einwohnerzahl von La Grande Motte verzehnfacht sich auf über 100.000 Menschen. Die Touristen beziehen dann Hochhäuser aus den 60er-Jahren, die sich »Bali« oder »Les Marquises« nennen. Die jüdische Gemeinde umfasst im Sommer mehr als 1000 Mitglieder.

Im Juli öffnete hier die Synagoge Beth Yaacov Atlan. Sie ist das Werk der Brüder Gaby und Sylvain Atlan, zweier Geschäftsleute, die in den 60er-Jahren Pioniere des aufkeimenden Tourismus waren. Sie betrieben das erste Casino in La Grande Motte und zwei Freizeitkomplexe mit Restaurants und einem Kino.

einheimische Der 77-jährige Gaby Atlan, Präsident der örtlichen jüdischen Gemeinde, ist stolz darauf, Touristen und Einheimischen endlich einen Ort zum Beten bieten zu können: »Die Synagoge ist die erste in einem Badeort der Region Languedoc-Roussillon. Im Sommer kommen am Schabbat bis zu 400 Personen in die Synagoge, es gibt jeden Tag zwei Gottesdienste«, berichtet er stolz. Zur Synagoge gehört auch das Kulturzentrum Les Tibbonides mit einem Saal für etwa 150 Gäste, den man für alle traditionellen Feste mieten kann.

Von außen sieht man nicht, welcher Schatz sich im unscheinbaren, dezent gelb gestrichenen Gebäude des Zentrums verbirgt. Im ersten Stock hat Rabbiner Didier Kassabi seine Wohnung. Gaby Atlan führt in die Synagoge Beth Yaacov Atlan, benannt nach seinem Vater. »Ein Traum ist für mich in Erfüllung gegangen«, sagt der elegante Mann mit Schal und Hut und fährt fort: »Ich habe auch schon Nichtjuden die Synagoge gezeigt, und sie waren sehr beeindruckt.« Zur offiziellen Eröffnungszeremonie Anfang Juli kamen auch Frankreichs Oberrabbiner Gilles Bernheim und der Präsident des Consistoire Central Israélite, Joël Mergui, nach La Grande Motte.

kuppel Über dem Besucher spannt sich die luftige Kuppel, deren Fenster die Form eines Davidsterns hat. Auf weißen Säulen erstrahlt der goldverzierte Toraschrank im Licht. Auf der Parochet, dem Vorhang, stehen die Worte: »In Erinnerung an unsere Eltern Jacob und Adrienne Atlan«. Ringsum schimmert die Sonne durch die bunten Glasfenster.

In der ersten Sitzreihe hat Gabys Bruder Sylvain Atlan seinen Platz. Er wird für immer leer bleiben. »Vor 14 Monaten ist er gestorben, leider konnte er die Vollendung der Synagoge nicht mehr miterleben«, berichtet Gaby Atlan und ringt dabei mit den Tränen. Mehr als 30 Jahre lang haben die beiden Geschäftsmänner für die Synagoge gekämpft. Schon 1974 hatte der damalige Bürgermeister die Brüder Atlan gebeten, ein Kulturzentrum aufzubauen, doch das Projekt schlief ein, und die jüdische Gemeinde musste sich mit einem städtischen Saal begnügen.

Charisma Die Brüder Atlan hatten 1962 mit ihrer Familie Algerien den Rücken gekehrt und sich in Südfrankreich, in der Region von Montpellier, niedergelassen. Der charismatische Gaby setzte sich öffentlich für das Kulturzentrum ein, pflegte den Kontakt zu Politikern. Doch ohne seinen Bruder wäre das Projekt nie verwirklicht worden, gibt er zu. »Sylvain war mein Schatten und mein Beschützer, er war reflektierter, aber auch sehr hartnäckig.«

Der Bau konnte erst 2004 beginnen. Obwohl Gaby und Sylvain Atlan immer wieder mit ihrem Privatvermögen nachhalfen, gingen oft die Materialien aus, wurde das Geld knapp. Heute hat das Kulturzentrum einen Angestellten, den Rabbiner, und fünf ehrenamtliche Mitarbeiter.

Am Abend fährt Gaby Atlan zum Hafen. Die Sonne geht hinter den »Pyramiden« unter. Er deutet auf einen Komplex aus Restaurants und Geschäften: »Das habe ich aufgebaut«, sagt er. Inzwischen hat er alles verkauft und widmet sich ganz der Gemeinde.

München/Gent

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