Slowenien

Beten in Ljubljana

Bei der Eröffnung: Synagogenpräsident Elie Rosen, Oberrabbiner Ariel Haddad und Sloweniens Staatspräsident Borut Pahor (v.l.) Foto: Mateja Jordovič Potočnik


Mit Provisorien hat die jüdische Gemeinde in Ljubljana zu leben gelernt. Wenn es in den vergangenen sechs Jahrzehnten etwas zu feiern gab, ging man ins Restaurant, später fuhr man nach Triest oder Graz, das ist ja nicht weit. Doch eine jüdische Infrastruktur, dauerhaft verfügbare Gebetsräume, ein eigenes Kulturzentrum, ja vielleicht sogar eine jüdische Schule – all das waren bisher Dinge, die es in der slowenischen Hauptstadt nicht gab.

Vergangene Woche jedoch, am 9. November, wurde in Ljubljana erstmals wieder eine Synagoge eröffnet. Sie befindet sich in einem alten Wohnhaus in einer Seitenstraße nahe des Flusses Ljubljanica mitten im Stadtzentrum. Weil es bislang an Geld fehlte, konnte eine dauerhafte Synagoge für die jüdische Gemeinde im Land nicht errichtet werden. Doch mit der neuen Synagoge hat ein neues Zeitalter des Judentums in Slowenien begonnen.

Seit August gibt es einen grenzüberschreitenden Gemeindeverbund –
den ersten in Europa.

Die Eröffnung vergangene Woche fand mit einem großen Festakt statt, an dem führende Politiker sowie Vertreter anderer Religionsgemeinschaften teilnahmen. Sogar Staatspräsident Borut Pahor kam. Er nannte die Synagoge ein »Symbol des Zusammenlebens« und sagte: »Ich bin fest davon überzeugt, dass es in Slowenien Platz für alle gibt. Niemand sollte sich ausgeschlossen fühlen.«

Auch der Erzbischof von Ljubljana, Stanislav Zore, und der Großmufti von Slowenien, Nevzet Poric, nahmen an der Eröffnung der Synagoge teil. Der Präsident des Europäisch Jüdischen Kongresses, Moshe Kantor, würdigte das Ereignis in einer Grußbotschaft. Er nannte das neue Bethaus einen »Meilenstein« für die Festigung und den Ausbau jüdischen Lebens in Slowenien.

AUFBAUARBEIT Das Wort, das Elie Rosen in diesem Zusammenhang benutzt, heißt: Aufbauarbeit. Der 50-jährige Betriebswirt und Jurist ist Präsident der jüdischen Gemeinde im 200 Kilometer nordöstlich von Ljubljana gelegenen Graz sowie Vizepräsident der Israelitischen Religionsgesellschaft in Österreich.

Die Aufbauarbeit, von der Rosen spricht, ist ganz die seine. Die Gemeinde in Ljubljana hat nur einige Hundert Mitglieder, in ganz Slowenien sind es an die 1500. »Das ist keine Gemeinde, die ein Sekretariat hat«, sagt Elie Rosen. Aufbauarbeit also. Oder auch, wie er es nennt: »eine Mission«.

Mit der Eröffnung des dauerhaften Gebetshauses in Ljubljana wird aber nicht nur konsolidiert und aufgebaut. Es wird viel mehr als das. Es wird ein historischer Strang wiederaufgenommen und neu belebt – ein Strang zwischen Ljubljana in Slowenien und Graz in Österreich.

funktionen Bereits seit den 1880er-Jahren bis zum Zusammenbruch der k.u.k. Monarchie unterstand die jüdische Gemeinde der Krain – einer Region, zu der auch Ljubljana gehört –, der Gemeinde in Graz. Der Oberrabbiner von Graz versah damals auch die rabbinischen Funktionen in der heutigen slowenischen Hauptstadt.

Allerdings war Ljubljana nie ein Zentrum des slowenischen Judentums. Die größten Gemeinden waren eher in den ungarischsprachigen Gebieten im Osten des Landes angesiedelt, die in k.u.k. Zeiten auch zu Ungarn gehörten und erst später zu Slowenien kamen.

Noch heute befinden sich die Standesregister der Gemeinde von Ljubljana in den Archiven der Jüdischen Gemeinde Graz. Und dass die Gemeinde in Ljubljana heute wieder ein eigenes Bethaus hat, liegt zu einem beträchtlichen Teil an der Kooperation mit der Gemeinde in Graz.

GEMEINDELEBEN Bereits im August haben die jüdischen Gemeinden in Ljubljana und Graz einen gemeinsamen Verband gegründet. Es ist der einzige derartige grenzüberschreitende Verbund zwischen zwei jüdischen Gemeinden in Europa. Das Ziel sei es, »das jüdische Gemeindeleben beider Entitäten zu stärken und auszubauen«, formuliert es Elie Rosen.

Und so pendelt er heute nicht nur zwischen Graz und Wien, sondern auch zwischen Graz und Ljubljana. »Aber immerhin«, sagt er, »von Graz ist es näher nach Ljubljana als nach Wien.«

Rosen ist jetzt auch Präsident der Synagoge von Ljubljana. »Unser Ziel ist es ja nicht, uns wechselseitig nur zu gebrauchen. Wir sehen ja das Verbindende und nicht das Benötigte«, betont er. Denn worum es hier gehe, sei eben keine »Gebrauchsgemeinschaft«, sondern eine tatsächliche »Gemeinschaft«. Eine zwischen ganz unterschiedlich in ihren Staaten etablierten Partnern. Denn die Gemeinden in Ljubljana und Graz eint zwar ein Teil ihrer Geschichte – es ist aber zugleich auch die Geschichte, die sie ganz unterschiedlich geformt hat.

regime Denn nach der Schoa erlebte die kleine Gemeinde in Slowenien sogleich das nächste autoritäre Regime mit Enteignungen und Ausweisungen: Das Land wurde Teilrepublik des sozialistischen Bundesstaates Jugoslawien. Zwar gab es in Jugoslawien die Föderation der jüdischen Gemeinden, doch vor allem in Slowenien galten viele Juden als »ethnisch deutsch« und wurden gezwungen, das Land zu verlassen. Für eine kleine Gemeinde wie die in Slowenien bedeutete das faktisch, in die Unsichtbarkeit getrieben zu werden.

Jüdisches Leben war nicht präsent, und das jüdische Erbe im Land wurde nicht gepflegt. So machte man auf staatliche Anordnung in der Stadt Murska Sobota nahe der ungarischen Grenze 1953 eine Synagoge dem Erdboden gleich, um an dem Ort einen Wohnblock zu errichten.

Der Grazer Gemeindechef ist Präsident der neuen Synagoge von Ljubljana.

Viele Juden wurden in der kommunistischen Zeit enteignet. Das ging so weit, dass sich bei der letzten Volkszählung in Jugoslawien im Jahr 1990 nur 199 Menschen als Juden zu erkennen gaben. Restituiert wird bis heute nur an slowenische Staatsbürger – was viele der Enteigneten und deren Nachfahren eben nicht mehr sind.

KONFLIKTE Auch nach dem Zerfall Jugoslawiens 1991 bestand der lose Bund Ljubljanas mit den Gemeinden in Zagreb und Belgrad weiter. »Aber da war die Kooperation offenbar schon nicht mehr so gut«, sagt Rosen. In Zagreb gebe es heute drei Gemeinden und dementsprechend Konflikte untereinander. »Wir haben also niemandem etwas weggenommen, sondern nur etwas aufgefüllt, das nicht mehr da ist.«

Da sind aber vor allem auch ganz unterschiedliche Grundvoraussetzungen in der aktuellen Politik der jeweiligen Staaten. Denn die derzeitige Führung in Ljubljana bedient gelegentlich antisemitische Ressentiments. So äußerte erst Mitte Oktober Premier Janez Janša via Twitter seine Ansicht, 226 Europa-Abgeordnete seien Marionetten von George Soros. Anlass für diese Verschwörungserzählung war, dass ein nach Slowenien entsandter EU-Ausschuss über Repressionen in dem von Janša regierten Land berichtet hatte.

Kommentar

Der »Tages-Anzeiger« und das Geraune von der jüdischen Lobby

Die Zeitung unterstellt, erst eine Intervention des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes habe zur Absage einer Veranstaltung mit Francesca Albanese durch die Uni Bern geführt. Dabei war die Intervention richtig

von Michael Thaidigsmann  15.09.2025

Argentinien

Raubkunst in der Immobilienanzeige

Die Tochter eines Naziverbrechers wollte ihre Villa verkaufen und führte Ermittler auf die Spur einer gestohlenen Kunstsammlung

von Andreas Knobloch  13.09.2025

München/Gent

Charlotte Knobloch spricht von »historischem Echo«

Nach der Ausladung des israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Musikfestival meldet sich Charlotte Knobloch mit deutlichen Worten

 11.09.2025

Italien

Jüdisches Touristen-Paar in Venedig attackiert

Die Täter schrien »Free Palestine«, bevor sie die Ehefrau mit einer Flasche attackierten und ihren Ehemann ohrfeigten

 11.09.2025

Georgien

Sicher und schön

Der Kaukasus-Staat pflegt Erbe und Zukunft der Juden. Und bietet atemberaubende Natur. Ein Besuch

von Michael Khachidze  11.09.2025

Belgien

Argerich, Maisky, Schiff empört über Gent-Festival

Bekannte jüdische und nichtjüdische Musiker haben eine Petition gestartet, um gegen die Ausladung der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani zu protestieren

 11.09.2025

Imanuels Interpreten (13)

Herb Alpert: Der Universalkünstler

Vom Trompeter zum Philantropen: Der Sohn jüdischer Einwanderer aus Kalifornien erreichte in den 90 Jahren seines bisherigen Lebens viel

von Imanuel Marcus  10.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  10.09.2025 Aktualisiert

Südafrika

Unvergessliche Stimme

Die Schoa-Überlebende Ruth Weiss hat sich als Journalistin, Schriftstellerin und Kämpferin für Menschenrechte einen Namen gemacht. Sie wurde 101 Jahre alt. Ein Nachruf

von Katrin Richter  10.09.2025