Türkei

Barde und Sefarde

Der jüdische Sänger Can Bonomo tritt bei der Eurovision in Baku an

von Thomas Seibert  17.01.2012 15:55 Uhr

Mischt Ska mit Rock: Can Bonomo Foto: cc

Der jüdische Sänger Can Bonomo tritt bei der Eurovision in Baku an

von Thomas Seibert  17.01.2012 15:55 Uhr

Can Bonomo entspricht so ganz und gar nicht der landläufigen Vorstellung eines Gesangsstars aus der Türkei: Auf Schnauzbart, sehnsuchtsvolles Gesäusel oder Disco-Pop wie bei Tarkan wartet man bei dem 24-Jährigen aus dem westtürkischen Izmir vergebens.

Bonomo tritt mit einem an Frank Sinatra erinnernden Hut auf, in seinen Videos ist er mitunter als Insasse eines Irrenhauses zu sehen, bei seiner Musik benutzt er zwar hin und wieder auch traditionelle türkische Instrumente, aber nicht für die üblichen gefälligen Rhythmen, sondern für eine ganz eigene Mischung aus Ska und Rock.

Und er ist Jude. Umso größer war die Überraschung, als Bonomo jetzt vom türkischen Staatsfernsehen TRT als Vertreter des zu 99 Prozent muslimischen Landes beim nächsten Eurovisions-Wettbewerb ausgesucht wurde. Auch der Künstler selbst hatte das nicht erwartet: »Ganz schön mutig« sei TRT da gewesen, sagte er.

Album Einige von Bonomos Künstlerkollegen reagierten verschnupft. Sie glaube nicht, dass TRT die richtige Entscheidung getroffen habe, maulte die bekannte Sängerin Hülya Avsar. Sie kenne Bonomo überhaupt nicht. Der Sänger selbst sagte in diversen Interviews mit türkischen Medien, er könne sich auch nicht erklären, warum er von TRT auserwählt worden sei. Schließlich sei er noch sehr jung und habe gerade einmal vor einem Jahr sein erstes Album herausgebracht. Nun arbeitet er gleichzeitig an drei verschiedenen Songs, von denen einer der türkische Beitrag für Baku werden soll.

TRT hat mit seiner Auswahl der türkischen Eurovisions-Kandidaten schon mehrmals überrascht, dem Land in den vergangenen Jahren damit aber einige respektable Ergebnisse ermöglicht. Auch Bonomo versprach, in Aserbaidschan sein Bestes zu tun. »Ich werde mich sehr bemühen, mein Land auf meine Weise und mit meiner Musik so gut zu vertreten, wie ich kann.«

Sprache, Religion oder Rasse spielten bei der Musik keine Rolle, sagt er. »Ich bin Türke, das Judentum ist meine Religion.« Bonomo betrachtet sich als Nachfahre der sefardischen Juden, die im 15. Jahrhundert vor der Inquisition aus Spanien flohen und vom osmanischen Sultan in die heutige Türkei eingeladen wurden. »Wir sind seit 540 Jahren hier«, sagte er einem Fernsehsender. »Mit Israel haben wir nichts zu tun«, fügte er hinzu und distanzierte sich damit von dem in der Türkei sehr unbeliebten jüdischen Staat. »Ich bin Türke und werde die Türkei vertreten.«

Englisch Mit seiner Berufung zum Eurovisions-Vertreter ist Bonomo über Nacht zum prominentesten sefardischen Künstler der Türkei geworden, aber der erste oder einzige ist er nicht. So hat es die Gruppe »Sefarad«, die ihre Lieder teilweise in Ladino, der alten Sprache der sefardischen Juden vorträgt, zu einigen Hits gebracht. Bonomo singt dagegen normalerweise auf Türkisch, erwägt aber auch ein Lied mit englischem Text für den großen Auftritt in Baku – schließlich hatte das der bisher einzigen Eurovisions-Siegerin der Türkei, Sertab Erener, im Jahr 2003 den Erfolg beschert.

»Wenn wir auf Englisch singen, haben wir bei der Eurovision mehr Chancen«, sagt Bonomo. Kritik an seiner Nominierung weist er zurück. Natürlich habe er Chancen auf einen Sieg, betont er immer wieder – der Künstler spürt wohl, dass er vor seinem Auftritt bei der Eurovision in Baku zuerst noch das Publikum im eigenen Land für sich gewinnen muss.

Spanien

Mallorca als Vorbild

Das Stadtparlament von Palma hat eine Antisemitismus-Resolution verabschiedet – anders als der Rest des Landes

von Sabina Wolf  26.07.2024

Sport

Der Überflieger

Artem Dolgopyat ist in Israel ein Star. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio gewann der Turner Gold, 2023 wurde er Weltmeister. Nun tritt er in Paris an

von Martin Krauß  26.07.2024

Europäisches Parlament

»Zittert. Das hier ist nur der Anfang«

Die frisch gebackene französische Abgeordnete Rima Hassan hetzt gegen Israel

von Michael Thaidigsmann  25.07.2024

Ausstellung

Olympioniken im KZ Buchenwald

Auf dem Ettersberg bei Weimar treffen unterschiedlichste Biografien aufeinander

von Matthias Thüsing  25.07.2024

Frankreich

»Man ist schließlich französisch«

Ganz Paris feiert die Olympischen Spiele. Ganz Paris? Nicht alle Juden fühlen sich vom erwünschten »Wir-Effekt« angesprochen. Denn das Land bleibt zerrissen

von Sophie Albers Ben Chamo  25.07.2024

USA

Die zweite Wahl?

Mit dem Rückzug von Joe Biden und der Kandidatur von Kamala Harris könnte das Rennen um die Präsidentschaft noch einmal richtig spannend werden

von Michael Thaidigsmann  24.07.2024

Jüdische Emigration

Die Niederlande - Ein Ort der Zuflucht für Juden?

Die Historikerin Christine Kausch nimmt das Leben jüdischer Flüchtlinge in den Blick

von Christiane Laudage  24.07.2024

Vor 80 Jahren

Von Rhodos nach Auschwitz

1944 wurden 2000 Jüdinnen und Juden von Rhodos nach Auschwitz deportiert. Nur wenige überlebten

von Irene Dänzer-Vanotti  23.07.2024

Jerusalem

Nach Gaza entführter Holocaust-Experte für tot erklärt 

Der Historiker Alex Dancyg ist in der Geiselhaft umgekommen

 22.07.2024