Österreich

Antisemitismuskonferenz eröffnet

»Man kann nicht gewinnen, wenn man nicht weiß, wer man ist«: Bernard-Henri Lévy Foto: Ouriel Morgensztern

Ariel Muzicant, der frühere Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG), ist das, was man in Österreich einen Macher nennt. Er packt die Dinge an, legt Ergebnisse vor.

Seit einigen Jahren konstatieren jüdische Gemeinden in Europa steigenden Antisemitismus. Muzicant will nicht mehr nur klagen, sondern handeln. So initiierte er eine Konferenz zu dem Thema, die am Sonntagabend von dem französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy im Wiener Rathaus eröffnet wurde. Der Titel: »An End to Antisemitism!«, denn, so Muzicant: Judenfeindlichkeit sei ja nichts Neues. Nun gehe es um Lösungen, wie dieser beseitigt werden kann.

experten Im Anschluss an die Tagung, die von den Universitäten Wien und Tel Aviv sowie von der New York University und dem Europäischen-jüdischen Kongress (EJC) organisiert wird, soll daher aus den Erkenntnissen der rund 150 internationalen und österreichischen Experten ein Handbuch mit konkreten Handlungsanleitungen entstehen.

EJC-Präsident Moshe Kantor sprach bei der Konferenzeröffnung von einem »ehrgeizigen Vorhaben«. Wenn es gelingen solle, sei es aber wichtig, als Juden die Samen dafür selbst zu säen. Jedenfalls gelte: »Wir müssen rasch handeln, wir dürfen nicht auf die Katastrophe warten.«

Einen Dämpfer gab es allerdings vom Hauptredner des Abends, dem französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy. Dieser bezweifelt, dass es möglich ist, Antisemitismus gänzlich aus der Welt zu schaffen. Wer die Ziele zu hoch stecke, werde am Ende auch das Schaffbare nicht erreichen, gab er zu bedenken. Antisemiten werde es wohl immer geben. »Wichtig ist, dass sie keinen Schaden anrichten können.« Man müsse Antisemitismus identifizieren, darauf antworten, aber auch dagegen ankämpfen.

schoa Lévy nannte dabei drei Kategorien aktueller Ausprägungen: Den Antizionismus, das Abschwächen beziehungsweise Leugnen des Holocaust sowie einen Wettbewerb von Opfern. Letzteres treffe dann zu, wenn beklagt werde, dass das Schoa-Gedenken überbordend sei, dass es eben auch andere Opfer gebe.

Dabei verhalte es sich genau anders herum, betonte der Philosoph: Die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte habe gezeigt, dass es aufgrund des Wissens um den Holocaust eine Art von Alarm für Umstände gebe, die zu einem Genozid führen.

Wichtig sei für diesen Kampf jedenfalls ein starkes Judentum, betonte Lévy weiter. »Man kann nicht gewinnen, wenn man nicht weiß, wer man ist.« Und: Er freue sich, wenn er sehe, dass sich jüdische Organisationen gegen Rassismus allgemein starkmachten. Wenn sich dagegen jüdische Organisationen Populismus anschlössen, »dann verlieren wir unsere Stärke«.

FPÖ Immer wieder Thema war an diesem Abend die Regierungsbeteiligung der FPÖ in Österreich, die auch in den vergangenen Wochen durch Antisemitismus auffiel. Lévy betonte, Österreich brauche ein Holocaust-Mahnmal, das die Namen aller ermordeten Juden nenne, und schlug eine Wand in der Innenstadt Wiens vor nach dem Vorbild der Schoa-Gedenkstätte in Paris. EJC-Präsident Moshe Kantor entgegnete, dieses Denkmal solle die FPÖ bezahlen.

Lesen Sie mehr in der kommenden Ausgabe am Donnerstag.

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