Geisel

»Zum Geburtstag schlug er mich mit einer Eisenstange«

Zu seinem Geburtstag bekam er extra brutale Schläge. »Der Terrorist kam mit einer Eisenstange auf mich zu, mit unvorstellbarer Aggressivität, schlug mir auf den Kopf. Es war der tiefste Punkt in meinem Leben. Und trotzdem wollte ich nicht, dass er mich gebrochen sieht. Ich schaute ihm in die Augen…« Worte von Omer Wenkert über einen Tag in der Geiselhaft der Hamas – seinem 23. Geburtstag.

In einem bewegenden Interview mit dem israelischen Kanal 12 schilderte der junge Israeli aus Gedera jetzt den verheerenden Tag seiner Entführung während des Hamas-Massakers am 7. Oktober 2023 und die Geschehnisse der 505 Tage Geiselhaft bis zu seiner Freilassung vor wenigen Wochen.

Lange Zeit habe er völlig isoliert von der Außenwelt in einem Raum, der nur einen Quadratmeter maß, »in Dunkelheit, Stille und absoluter Angst« gelebt. Geschehnisse habe er nur »am Maß der Brutalität seiner Entführer« erahnen können. »Wenn ein Geiseldeal platzte oder ein Hamas-Anführer getötet wurde, waren die Schläge besonders schlimm.« Er sei beschimpft, bespuckt, immer wieder geschlagen oder mit Gegenständen beworfen und mit Insektenvernichtungsspray besprüht worden. Ob er geweint habe, fragte ihn der Journalist Almog Boker. »Natürlich«, sagte Omer. »Andauernd.«

Omer Wenkert war 22 Jahre alt, als ihn Terroristen der Hamas vom Nova-Musikfestival verschleppten. Am 22. Februar dieses Jahres kam er im Rahmen des zweiten Waffenstillstands- und Geiselabkommens frei. Er leidet an der Autoimmunerkrankung Colitis, die durch Stress verschlimmert werden kann. Er ist das älteste von drei Kindern. Vor seiner Entführung arbeitete er in einem Restaurant und träumte davon, Restaurantkritiker zu werden.

Leute verbrannten am lebendigen Leib

In dem Interview erinnerte sich Omer auch an die Momente vor seiner Geiselnahme. Er war um 6.30 Uhr morgens in einen Luftschutzbunker geflohen, als die Raketensirenen losgingen, und wusste, dass gegen sieben Uhr Terroristen der Hamas auf das Festival gestürmt waren. »Plötzlich wurde überall geschossen.« Als er das letzte Mal auf seine Uhr sah, um 7.29 Uhr, hörte er, dass jemand brüllte, »Allahu Akbar, wie der Stift einer Granate gezogen wurde, und dann – bumm. Drei Granaten explodierten in unserem Unterschlupf«.

»Ich sah Leichen am anderen Ende. Die Leute schrien«, beschrieb Wenkert den Horror des Moments. »Und dann verstummte alles. Hitze und Rauch füllten den Raum. Ich begann zu ersticken.« Wenkert wusste, dass einige der Leute, die sich mit ihm versteckten, bereits »am lebendigen Leib verbrannt« waren, und fügte hinzu, er habe sich entschieden, ihre Körper als Schutz zu benutzen. »Ich wollte nicht von einer Granate getroffen werden, also versuchte ich, meinen Kopf unter den Leichen zu vergraben, aber jede Explosion bewegte sie«, erklärte er seine unvorstellbar grausamen Erlebnisse.

Eine junge Frau, die er nicht kennt, habe ihm das Leben gerettet, indem sie eine Granate, die vier Meter von ihm entfernt eingeschlagen wäre, auffing und nach draußen warf. Er weiß nicht, ob sie überlebte. Was Kim Damti, seiner besten Freundin, geschah, erfuhr er erst am Tag seiner Freilassung: Die 22-Jährige starb in dem »Todesbunker«. Vor Kurzem besuchte er ihr Grab und verabschiedete sich mit herzzerreißenden Worten von »seiner Fee«, die ihn seit seinem 14. Lebensjahr durch das Leben begleitet hatte. »Jetzt bist du mein Engel«, schrieb er auf Instagram.

»Ich weigere mich, so zu sterben. Wenn ich sterbe, sterbe ich draußen – auf meinen Beinen.«

Noch in dem Sicherheitsraum sei Omer dann plötzlich etwas klar geworden: »Meine Eltern verdienen es nicht, meinen verbrannten Körper zu erhalten. Ich weigere mich, so zu sterben. Wenn ich sterbe, sterbe ich draußen – auf meinen Beinen«, schilderte er die Worte, die er damals zu sich selbst gesagt habe.

Er verließ den Schutzraum und sah sieben oder acht Terroristen weniger als zehn Meter entfernt stehen. Einer von ihnen habe gesagt: »Wir schießen nicht. Komm her.« In diesem Moment wurde sei ihm klar geworden, dass er entführt wird. Die Terroristen fesselten Füße und Hände und luden ihn in seiner Unterhose auf die Ladefläche eines Pickup-Trucks.

Er habe darauf geachtet, in jede Kamera zu schauen, in der Hoffnung, dass wenigstens ein Bild von ihm auftaucht, das zeigen würde, dass er noch am Leben war, sagte er. Innerhalb von 20 Minuten nach seiner Ankunft kam er in den Terrortunneln an. Dort habe er fünf thailändische Geiseln und den jungen Israeli Liam Or getroffen. Als Liam nach  53 Tagen freigelassen wurde, sagten ihm die Terroristen, auch er könne »morgen oder übermorgen nach Hause«. Doch stattdessen sollte es noch 452 weitere Tage dauern.

245 Tage war Omer völlig allein in einem winzigen Raum

245 Tage davon war Omer allein in dem winzigen Raum, in den ein Loch als Toilette gegraben war. Dort habe er täglich zwei Stunden mit sich selbst gesprochen, »um nicht den Verstand zu verlieren«. Bis sich eines Tages die Tür öffnete und drei weitere Geiseln – Tal Shoham, Evyatar David und Guy Gilboa-Dalal – in den Raum »geworfen« worden seien.

»Ich brauche eine Umarmung, ich brauche menschlichen Kontakt«, habe er ihnen sofort gesagt. Von diesem Moment an teilten die Männer alles. Irgendwann seien Terroristen gekommen und hätten den Raum mit Sprengfallen versehen. »Wenn die IDF kommt, um euch zu retten, werdet ihr alle zusammen sterben«, hätten sie nur gesagt.

Wenkert war zutiefst traurig, als er erfuhr, dass er freigelassen wurde, zwei seiner Mitgeiseln, Evyatar und Guy, aber weiterhin in der Gewalt der Terroristen bleiben mussten. Sie sind noch immer in Gaza. »Ich kann nicht aufhören, an sie zu denken. Ich weiß, was sie durchmachen, es ist unerträglich.« Die Zeremonie der Hamas am Tag seiner Freilassung habe er nicht als demütigend, sondern als seinen persönlichen »Sieg« empfunden. »Ich habe gekämpft, gekämpft, gekämpft und gewonnen! Deshalb hatte ich ein breites Grinsen auf dem Gesicht.«

»Ich sah sie durch das Fenster und ein schwaches Lächeln auf ihren Gesichtern. Doch dieses Lächeln war einfach alles für mich.«

Während er, Eliya Cohen und Omer Shem Tov auf der Hamas-Bühne standen, mussten sich Evyatar und Guy die Zeremonie von einem Minibus aus anschauen. »Ich sah sie durch das Fenster und ein schwaches Lächeln auf ihren Gesichtern. Doch dieses Lächeln war einfach alles für mich.«

Seit seiner Rückkehr hat Omer Wenkert vor allem einen Traum: eine Familie gründen und Vater werden. Zunächst jedoch, sagte er, werde er »nicht ruhen, bis alle Geiseln zu Hause sind«.

Auf die Frage des Journalisten Boker, ob er Rachegefühle gegen seine Peiniger hege, sagte er: »Nein. Überhaupt nicht. Ich beschäftige mich nicht damit. Denn wie Tal [seine Mitgeisel Tal Shoham] uns immer sagte: »Sie sind diejenigen, die in ihrem Hass steckenbleiben. Aber wir... wir werden unser Leben weiterleben.«

In seiner ersten Botschaft in den sozialen Medien nach dem Ende seiner Geiselhaft postete der Israeli: »505 Tage heldenhafter Kampf, und ich bin stolz zu sagen: ›Ich habe die Gefangenschaft besiegt‹«, gefolgt von einem lächelnden Engel-Emoji. »Ich bin frei! Freiheit ist unbezahlbar, und ich konnte mich kaum daran erinnern, wie schön und wohltuend sie ist.« Dem Post fügte er Bilder und Videos hinzu, darunter eins, das ihn und seinen Vater beim Tanzen zeigt.

»Jetzt begebe ich mich auf einen neuen Weg!« Verwirrend, herausfordernd, kompliziert, verrückt, freudig, anstrengend, komplex, erhebend, anders, kraftvoll und mächtig! Und dieser Weg? Dieser Weg, in all seinen Facetten, sind mein Leben und meine Freiheit«, schrieb Omer und fügte das hinzu, was er am Tag seiner Befreiung im Helikopter auf dem Weg ins Krankenhaus auf eine Tafel schrieb: »Ach’schaw tow – Jetzt ist es gut.«

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