Es ist die zehnte Woche, in der Israelis gegen die Regierung von Premierminister Benjamin Netanjanu demonstrieren. Zehntausende waren am Samstagabend vor seine Jerusalemer Residenz an der Balfour-Straße gezogen, um seinen Rücktritt zu fordern. Auch in anderen Städten, auf Brücken, an Straßenkreuzungen und sogar im Ausland veranstalteten die Organisatoren Anti-Netanjahu-Kundgebungen.
Während die Polizei von rund 20.000 Demonstranten sprach, gaben die Organisatoren an, mehr als 37.000 seien nach dem Schabbatende nach Jerusalem gekommen. Mit dabei waren etwa 200 Charedim, die gegen das Verbot demonstrierten, wegen der Corona-Krise zum jüdischen Neujahr Rosch Haschana nach Uman zu pilgern. Sie beschuldigten Netanjahu, ein »Lügner« zu sein und drohten, ihm bei der nächsten Wahl keine Stimme zu geben.
Auch Charedim demonstrierten gegen Netanjahu – sie wollen nicht auf die Rosch-Haschana-Feiern in Uman verzichten.
Am nächsten Tag setzte Netanjahu ein interministerielles Team ein, um die »Möglichkeit der Reisen nach Uman zu untersuchen«, nachdem ihm Regierungsmitglieder mit einem Verlassen der Koalition gedroht hatten. Teammitglieder sind Gesundheitsminister Yuli Edelstein, Außenminister Gabi Ashkenazi, Innenminister Arie Deri und Wissenschaftsminister Yizhar Shai. Minister Zeev Elkin sitzt der Gruppe vor.
KORRUPTION Die Proteste der meisten Teilnehmer richten sich vor allem gegen Netanjahu persönlich, dem derzeit in Jerusalem der Prozess wegen Korruption in drei Fällen gemacht wird. Doch auch sein Umgang mit der Pandemie wurde heftig kritisiert. Die Massen skandierten »Crime Minister – go home« und hielten Schilder mit Sätzen wie »Sperrt ihn ein« oder »Israel verdient Besseres« in die Höhe. Auch Hunderte von blau-weißen Landesflaggen wehten im Abendwind.
Die Spannungen waren auf der Straße zu spüren, vor allem, nachdem in der vergangenen Woche Berichte über Gewalt von Polizisten gegen friedliche Demonstranten in den sozialen Netzwerken und israelischen Medien die Runde gemacht hatten. Es kam jedoch an diesem Abend zu keinen größeren Auseinandersetzungen. Insgesamt wurden 16 Protestierende festgenommen, darunter einige ultraorthodoxe Männer, wegen des Blockierens von Straßen oder Angriffen gegen Sicherheitskräfte.
BLACK FLAG Eine der Hauptorganisatoren ist die »Black Flack Bewegung«, sie sich den Schutz der Demokratie auf die Fahnen schreibt und dem Ministerpräsidenten vorwirft, diese zu untergraben. Sie schrieb in einer Erklärung: »Das Land muss das Joch ablegen, das Netanjahu ihm auferlegt hat. Ein Joch, das die Wirtschaft, das Gesundheitssystem und das soziale Zusammengehörigkeitsgefühl zerquetscht. Israel verdient die Hoffnung und eine bessere Zukunft. Wir wollen nicht in Angst vor einem Tyrannen leben«.
Auch in 18 Städten weltweit, darunter in Berlin und New York, demonstrierten in meist kleinen Protesten Israelis gegen die Netanjahu-Regierung. Die Proteste wurden live auf Zoom übertragen.