Gaza-Geiseln

»Wir sind in der Hölle«

Angehörige flehen um ein Lebenszeichen ihrer Liebsten. Foto: Sabine Brandes

Nicht morgen, nicht heute. Sofort! Es ist der verzweifelte Ruf von Angehörigen der Geiseln, die nach Gaza verschleppt wurden. »Wir wollen sie zurück! Bitte, bitte bringt sie nach Hause«, flehen sie inständig. Die Familien der Menschen, die von der Hamas festgehalten werden, sind völlig verzweifelt. »Wir trinken, wir essen, wir schlafen etwas. Aber wir leben nicht. Wir sind in der Hölle«, schreit Zehava Eshel an diesem Samstag in die Tel Aviver Abendluft.

Zwei Wochen ist es her, dass ihre Enkelin, die 18-jährige Soldatin Roni Eshel, an der Grenze zu Gaza Dienst tat. Seitdem ist sie verschwunden. Die Großmutter will ihre Enkelin zurück. »Save Roni«, steht auf ihrem weißen T-Shirt.

»Meine Enkelin, sie ist wunderbar, sie ist großartig. Wir müssen sie zurückbekommen. Bitte...«, bettelt sie immer wieder. »Sie war Späherin, die Augen des Landes, hat im Geheimdienst der Armee gedient. Und jetzt ist sie weg. Das darf nicht sein.«

SOLIDARITÄT Das Forum für Geiseln und vermisste Familien, das die Angehörigen der Gaza-Geiseln vertritt, rief die Israelis auf, am Samstagabend um 20.00 Uhr für fünf Minuten ein Licht auf ihren Balkonen oder in den Fenstern anzuzünden, »um Solidarität und Stärke für die Geiseln und Vermissten zu zeigen«.

Damit soll die Kampagne »Lighting up the Light« gestartet werden.  Neben den Familien haben sich verschiedene öffentliche Einrichtungen, Gruppierungen und Organisationen im Land der Initiative angeschlossen, darunter die Knesset, Gemeinden, Einkaufszentren, Stadien, Theater und mehr. Auch El Al-Flüge machen mit und haben auf jedem Flug ihre Bildschirme mit einem speziellen Licht beleuchtet.

»Was wird diskutiert? Womit beschäftigt ihr euch? Bringt die Geiseln endlich zurück!«

Zehava eshel, großmutter einer geisel

Die Menschen in Israel sollen dokumentieren, wie sie mit Handys oder Taschenlampen auf Balkonen und in Fenstern ein Licht entzünden, Ha‘Tikva singen und anschließend Videos oder Fotos mit dem Hashtag #BringThemHomeNow in den sozialen Medien teilen.

PLAKATE Versammelt stehen die Angehörigen auf der Straße hinter dem Tel Aviver Kunstmuseum und umklammern die Plakate, als wollten sie sich an ihnen festhalten. Oben steht der Name der vermissten oder gekidnappten Person: Omri Miran, Omer Shem Tov, Karina Ariev, Tal Shoham und viele andere. Darunter in fetten roten Lettern: »Bring them home now«. Bringt sie nach Hause. Jetzt. Die israelische Regierung bestätigte mittlerweile 210 Geiseln, die sich in Gefangenschaft im Gazastreifen befinden.

Die Mütter, Väter, Geschwister, Großeltern, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen haben dunkle Ränder unter den Augen, als hätten sie Nächte nicht geschlafen. Sie halten einander an den Händen, nehmen sich immer wieder in den Arm. Wenn jemand zusammenbricht, fangen sie ihn auf. »Was wird denn diskutiert, womit beschäftigt ihr euch?«, ruft Ronis Großmutter. »Kümmert euch endlich um das Wesentliche: die Babys, die Kinder, die Väter und Mütter, die Soldaten und Soldatinnen, die Kranken zurückzubringen. Das ist eure Hauptaufgabe. Jetzt!«

NETANJAHU »Ich beschuldige niemanden, aber wenn ein Kind von Netanjahu eine Geisel wäre, würde sofort etwas geschehen. Du bist ein Demagoge, ein unfassbarer Demagoge«, richtet sie sich gegen den Ministerpräsidenten. »Sprich mit dem Roten Kreuz und nicht über eine Bodenoffensive!« Man habe die beiden Amerikanerinnen mit dem Roten Kreuz gesehen. »Aber warum kümmern sie sich nicht um unsere Familien? Und warum gibt uns Bibi keine Antworten?«

Andere Angehörige pflichten ihr bei. »Es ist nicht logisch, es ergibt keinen Sinn!  Alle schweigen nur, und wir wissen nichts. Und dann hören wir plötzlich, dass zuerst Menschen mit ausländischen Pässen freigelassen werden. Warum?«, fragt der Bruder einer Geisel, während sich seine Stimme überschlägt.  »Lama? Lama? Lama?«

»Ich muss doch wissen, wo mein Sohn ist. Was ist mit ihm geschehen?«

vater omri miran

»Wir sind immer die ersten, die in andere Länder fliegen, wenn ein Unglück geschieht und helfen«, ruft die Mutter einer vermissten jungen Frau. »Jetzt brauchen wir euch. Wo seid ihr? Bitte helft uns, wir brauchen eure Hilfe!«

LANDSLEUTE »Helft euren Landsleuten nach diesen furchtbaren Morden, die geschehen sind«, wendet sich nochmal Zehava Eshel an die Regierung in Jerusalem. »Lasst sie das Licht wieder sehen. Lasst sie heiraten und Kinder haben. Rettet sie! Macht doch endlich etwas!«  

Shelly Shem Tov, die Mutter des 21-jährigen Omer Shem Tov, der auf der Party in der Nähe des Kibbutzes Re’im war, ist außer sich vor Sorge. Ihr Sohn brauche dringend Medikamente, sagt sie unter Tränen. Ohne sie könne er nicht atmen. Sie ist eine Mutter, die um das Leben ihres Kindes bangt. »Er braucht die Medikamente sofort«, sagt sie, ruft sie, schreit sie. »Bitte, er braucht sie. Jetzt!«

INFORMATIONEN Der Vater von Omri Miran fordert die Regierung und das ganze Volk Israels auf, »dass sie an unserer Seite stehen«. Aber die Familien seien wie in einem dichten Nebel, durch den nichts hindurchdringt. »Wir wissen nichts. Gar nichts.« Miran verlangt zumindest ein Lebenszeichen der Geiseln. Es könne nicht sein, dass humanitäre Hilfe an die Palästinenser fließe, doch nichts über die Verschleppten bekannt sei. Nicht einmal, wie viele Geiseln überhaupt am Leben seien. »Ich muss doch wissen, wo mein Sohn ist. Was ist mit ihm geschehen?«

Alle gemeinsam wollen sie das Licht der Welt auf das Schicksal ihrer Liebsten lenken. Dafür stellen sich die Angehörigen auf die Straße, halten ihre Telefone in die Höhe und singen die israelische Nationalhymne Ha’Tikva – die Hoffnung. Sie singen aus vollem Hals, einigen bricht immer wieder die Stimme. Doch die Hoffnung, sind sich alle einig, die werden sie nicht aufgeben.

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